Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Kommentar Atomausstieg: Ein Moment wie der Mauerfall
> Die spannende Frage ist, ob diese Regierung sich die Empfehlungen der
> Ethikkommission zu Herzen nehmen wird. Mit dem Gutachten hat sie alle
> Gründe dafür in der Hand.
Es ist ein bisschen wie im Film "Good Bye Lenin!". Wer vor drei Monaten ins
Koma gefallen wäre, würde Deutschland heute nicht mehr wiedererkennen. Die
Ethikkommission, die die Bundesregierung berät, legt heute ihren Bericht
vor, der ein völlig neues Kapitel in der deutschen Energiepolitik
aufschlagen soll: weg vom Atom, hin zu mehr Effizienz und Erneuerbaren,
Klimaschutz, Innovation, Bürgerbeteiligung.
Historische Momente erkennt man meist nicht, wenn man direkt danebensteht.
Und man sollte mit diesem Etikett sehr sparsam sein. Aber hier ist einer:
der Fahrplan eines Industrielandes zu einer zukunftsfähigen
Energieversorgung, jenseits des gefährlichen und teuren Atoms und der
dreckigen Kohle. Das hat es noch nicht gegeben, es geht in die richtige
Richtung - und die Welt schaut zu.
Die spannende Frage ist, ob diese Regierung sich die Empfehlungen zu Herzen
nehmen wird. Politisch und ökonomisch hat sie mit dem Gutachten alle guten
Gründe dafür in der Hand. Innenpolitisch kann Angela Merkel hinter ihre
plötzlich heftig erwachte Aversion gegen die Atomkraft nicht mehr zurück.
Und auch machtpolitisch macht dieser Schwenk Sinn: Nur eine wirtschaftsnahe
konservative Regierung kann eine solche Wende vollziehen, weil sie die
lautesten Gegner dafür in den eigenen Reihen hat.
Nur eine rot-grüne Regierung konnte, im Kosovo-Konflikt, deutsche Soldaten
zum ersten Mal wieder in einen Krieg schicken. Nur Schwarz-Gelb kann aus
der Atomkraft aussteigen, ohne dass die Republik im Streit gelähmt wird.
Setzt Merkel die Empfehlungen der Ethikkommission um, wäre das nicht der
mühsam erquälte Kompromiss, zu dem Rot-Grün sich vor einem Jahrzehnt
durchgebissen hatte, sondern ein wirklicher Atom-Konsens. Er steht auf den
Schultern von tausenden Demonstranten, Experten und Politikern, die sich
für ihre Vision einer Energiewende über Jahrzehnte hinweg körperlich und
verbal haben verprügeln lassen. Ohne ihre Vorarbeit gäbe es den Bericht der
Ethikkommission nicht, und ohne den rot-grünen Ausstieg und den Anschub der
erneuerbaren Energien im EEG wäre er utopisch.
Die Ethikkommission hat recht: Es ist an der Zeit, diesen Konflikt zu
beenden - und es sieht so aus, als hätten die Atomkraftgegner gesiegt. Das
ist schön für sie und gut für das Land. Manchmal braucht man etwas Abstand,
um zu begreifen, dass die Mauer gefallen ist.
29 May 2011
## AUTOREN
Bernhard Pötter
## TAGS
Schwerpunkt Atomkraft
Schwerpunkt Atomkraft
Schwerpunkt Atomkraft
## ARTIKEL ZUM THEMA
Vor dem Grünen-Sonderparteitag: Die grüne Kernfrage
Der grüne Kreisverband Lüchow-Dannenberg und die Anti-Atom-Bewegung wollen
keinen Konsens. Ein Besuch im Wendland, dem Kernland des Widerstands.
Große Kraftwerke werden bevorteilt: Ökostrom lohnt sich für Konzerne
Das Erneuerbare-Energien-Gesetz wird novelliert. Zum Ärger der kleinen
Ökostromanbieter werden die großen Anlagen der Energiekonzerne bevorzugt.
Atomzeichen im Gemeindewappen: Strahlende Vergangenheit
Das Image der Atomkraft war nie so schlecht wie heute. Dumm nur, wenn man
in diesen Tagen ausgerechnet im Gemeindewappen ein Atomzeichen führt.
Gutachten der Ethikkommission: Die große Chance Atomausstieg
Die Ethikkommission empfiehlt einen raschen Ausstieg aus der Atomkraft
innerhalb von zehn Jahren. Die Energiewende sei auch ohne ausländischen
Atomstrom möglich.
Anti-AKW-Proteste: Zu Fuß, im Boot, auf dem Traktor
160.000 Menschen demonstrierten am Wochenende für den schnellen Ausstieg
aus der Atomkraft. Göttingen erlebte die größte Anti-AKW-Demo seiner
Geschichte.
Jahreszahlen für den Atomausstieg: Wer bietet was?
2014, 2017, 2022 – zurzeit schwirren viele Jahreszahlen herum. Auch wenn es
beim Atomausstieg nicht nur darauf ankommt: Die Positionen der Parteien und
Verbände im Überblick.
Nach kritischem Kommissionsbericht: Klageweg gegen Krümmel offen
Die Kritik der Reaktorsicherheitskommission am fehlenden Schutz deutscher
Atomkraftwerke vor Flugzeugcrashs erhöht die Klagechancen gegen den Meiler
in Krümmel - der hält nur ein Kleinflugzeug aus.
Sicherheit deutscher Reaktoren: Regierung macht Schnarchtest
Die Wissenschaftler der Reaktorsicherheitskommission haben sich auf das
verlassen, was ihnen die Konzerne geliefert haben. Vor Ort umschauen? Keine
Zeit.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.