# taz.de -- Inszenierung des Dramas "Strauss-Kahn": Prozess mit verteilten Roll… | |
> Warten auf das Schauspiel: Gerichts- und Gefängniskanäle im US-TV führen | |
> vor, wie das Drama um den Ex-IWF-Präsidenten Strauss-Kahn inszeniert | |
> wird. | |
Bild: Abwarten und Kaugummi kauen diesseits und jenseits der Straße des Hauses… | |
Die beiden Polizisten vor dem Haus Franklin Street 153 in TriBeCa, | |
Manhattan. Einer von ihnen schaut immer auf die Haustür und der andere | |
beobachtet die Medienleute auf der Straßenseite gegenüber. Dann drehen sie | |
sich mit kleinen Schritten und wechseln die Position. Sie kauen Kaugummi so | |
laut, dass das Gnatschen beim Vorbeigehen zu hören ist. | |
Drüben. Auf der anderen Straßenseite. Die Kameras sind auf die Haustür | |
ausgerichtet. Die Journalisten und Journalistinnen lehnen gegen die | |
Hauswand hinter ihnen oder sie gehen auch mit diesen kleinen Schrittchen | |
vor und zurück. Auch hier wird Kaugummi gekaut. In New York ist seit dieser | |
Woche das Rauchen auch an öffentlichen Orten im Freien verboten. Es wurde | |
zwar noch kein Ticket dafür verteilt. Aber angesichts der Polizeipräsenz | |
hier wäre es ziemlich dreist, sich die Zeit mit Zigaretten zu verkürzen. | |
Rund um den Block stehen an allen Ecken Polizeiautos. Das Gesetz wird hier | |
gehütet. | |
Strauss-Kahn wurde das letzte Mal gefilmt, wie er einen Koffer über die | |
Schwelle zum Haus zerrt. Seither starren alle auf die Fenster des Hauses. | |
Die sind mattgraugrün verhangen. Das Interessanteste wird sein, ob Pizza | |
gebracht wird. Oder thailändisches Essen. Diese Probleme kann man oder frau | |
aber auf dem Twitteraccount von Frau Strauss-Kahn mitverfolgen. | |
Da stellt sie ironisch fest, dass es schwierig sein wird, "help" zu | |
bekommen. Aber mit genügend Geld wird sich das beheben lassen. Obwohl. | |
Neben den Anwaltskosten wird schon die Monatsmiete von 14.000 Dollar für | |
Franklin Street 153 billig aussehen. | |
## Beraterinnen der Anklage | |
Während vor dem Haus der Kaugummikonsum ansteigt, werden die Strategien für | |
den Prozess klar. Anklage und Verteidigung verstärken ihre Teams. | |
Aggression wird zugekauft, und in den Medien werden die Profile der | |
Beteiligten besprochen. Zwei Frauen, Ms Illuzzi-Orbon und Ms Prunty, | |
beraten zusätzlich die Anklage. Beide haben mehr Erfahrung in | |
Vergewaltigungsprozessen als Artie MacConell, der die Anklage anführt. | |
Ms. Prunty beobachtete einen Prozess gegen zwei Polizisten, denen | |
vorgeworfen worden war, eine betrunkene Frau nach der Verhaftung | |
vergewaltigt zu haben. Die beiden Polizisten wurden gerade von der | |
Vergewaltigungsanklage freigesprochen. Ms Prunty hat also studiert, wie das | |
zugeht, dass die Geschworenen den Angeklagten glauben. Zwei weitere | |
prominente Anwälte ergänzen das Team der Klägerin. | |
Das Casting für das Drama ist damit abgeschlossen. Die Rollen sind | |
verteilt. Die Kameras sind eingestellt. Auf Twitter und Facebook werden die | |
Stichworte gegeben. Alle lehnen sich zurück und warten auf das Schauspiel. | |
Bis dahin kann man sich auf den vielen Gerichts-und Gefängniskanälen die | |
Realität vorführen lassen. Die Tränen bei der Urteilsverkündung. Das Toben | |
in der Einzelzelle. Die Überwältigungen. Die Fesselungen. Die Demütigungen. | |
Strafe. Das muss hier öffentlich sein. | |
## Ein verbrüderndes Schmunzeln | |
Strauss-Kahn lächelt aber wieder. Er schmunzelt eigentlich. Auf dem Weg | |
nach Franklin Street 153. Auf Seite 28 der New York Times vom 26. Mai | |
schmunzelt er zwischen zwei Beamten in Zivil in die Kamera. Ein | |
verbrüderndes Schmunzeln ist das. "Also Leute", sagt das. "Was soll denn | |
die ganze Sache." Auf Seite 1 dieser New York Times steht Präsident Obama | |
neben der englischen Königin und Michelle spielt Prinzessin, während Prinz | |
Philip sich etwas weggestellt hat. Strauss-Kahn muss auf seinen Auftritt | |
nun warten. Mittlerweile kann er in seinem Haus schwimmen, Filme anschauen, | |
in die Sauna gehen und in zwei Küchen kochen. | |
Wie gesagt. Die Angestellten sind das Problem. Aber das sind sie in diesen | |
Kreisen ja immer schon gewesen. Denn, was immer auch geschehen sein mag. | |
Ganz sicher liegt diese Hierarchie vor. Der Herr des Hauses und das | |
Dienstmädchen. Hierarchie. Das beschreibt es gar nicht. Es ist kulturell | |
und eine jener Vereinbarungen, wie die Macht sich Ausdruck verschafft. Der | |
römische Hausvater ist das, dem alles und alle in seinem Haus gehören. | |
Selbstverständlich so. Die Anklage der Angestellten des Hotels Sofitel ist | |
der Versuch, sich aus dieser Kultur herauszureklamieren. Darin wiederum | |
knallen zwei Kulturen dieser Hausvaterei aufeinander. | |
Während für den Europäer und Franzosen sich promiphilosophische | |
Entschuldigungen finden und wiederum das Recht auf diesen hausvaterischen | |
Blick auf die Welt als Freiheit des Mannes zurückreklamiert wird, muss in | |
der US-amerikanischen Kultur das Theater anders gespielt werden. Der Blick, | |
den wir in der Operette ausgedrückt und erhalten haben, den darf er schon | |
entwickeln. Es darf auch in den USA ein Mann in ein Zimmer kommen und das | |
"Stubenmädchen" überfallen. Das kann er sogar öffentlich tun. Er muss nur | |
in der Villa von Hugh Heffner vor die Kamera treten und das "Stubenmädchen" | |
Bunny nennen. | |
Das Ganze wird dann in einer ewigen Schleife auf dem Bunny-Kanal gesendet. | |
Und schwupps. Es geht alles. Aber. Die Bezahlung war eben vorher | |
sichergestellt und die Abmachungen wurden eingehalten. Sexuelle Freiheit | |
für den Mann gibt es in den USA gegen ein bisschen Geflunkere. So eine rohe | |
Realität und die einfache Annahme, jedes "Stubenmädchen" wäre ohnehin eine | |
Prostituierte. Das geht gegen diesen winzigen Augenblick, der jeder Person | |
hier zugestanden wird, in dem eine Selbstdefinition möglich ist. Im | |
amerikanischen Traum selbst ist diese Selbsterfindung enthalten. Wünsche | |
sind zugestanden. Die Durchführung. Die ist dann schon wieder dem Spiel der | |
Macht überlassen und ungesichert. | |
## We don't do that | |
"So was machen wir nicht." "We dont do that." Das ist einer der wichtigsten | |
Sätze der Moral in den USA. Damit wird Strauss-Kahn sich auseinandersetzen | |
müssen. Wenn er so schmunzelt vor Gericht. Da wird es nichts werden. In den | |
Schauspielen der Öffentlichkeit wird in den USA sehr genau die Miene | |
beurteilt. Das amerikanische Theater hat sich nicht ohne Grund auf den | |
Ausdruck von Gefühlen beschränkt. | |
Auch vor Gericht wird die Stanislawski-Methode angewendet werden. Die | |
Person muss sich insgesamt in die verlangte Emotion verwandeln und diese in | |
Gesicht und Geste ausdrücken. In den Gerichtsübertragungen wird dieses | |
Mienenspiel von je zwei Kommentatoren besprochen. Je ein Mann und eine Frau | |
bringen ihre Beurteilung der Auftritte vor. Das wird dann vollkommen | |
altmodisch rollenspezifisch. | |
Die Kommentatorin beurteilt das Emotionale. Der Kommentator den | |
Verfahrenshintergrund. Das ist ganz Theaterkritik. Das Stück und die | |
Schauspieler. Die Protagonisten werden darauf angesehen, wie sehr sie in | |
ihrer Rolle aufgehen. Erst wenn es ganz realistisch wird und dem zu | |
lebenslangem Gefängnis Verurteilten die echten Tränen über die Wange | |
purzeln. Dann schweigen die Kommentatoren und überlassen dem Zuschauer den | |
Augenblick. Denn. Es geht ganz sicher um diesen Augenblick des | |
Todesurteils. Augenblicke des Schicksals oder der Wahrheit wird das dann | |
genannt. | |
## Widerspruch zwischen Staatlichkeit und privatem Profitwunsch | |
Aber. Dieses Todesurteil ist hier dem Hausvater entzogen. Es ist eine Jury | |
amerikanischer Bürger, die dieses Todesurteil fällt. Vielleicht ist diese | |
Insistenz auf dieses Gerichtstheater ja einer der Versuche, das | |
Gewaltmonopol des Staates noch zu behaupten. Ein Monopol, das längst | |
privatisiert, nicht mehr existiert. Der Widerspruch zwischen Staatlichkeit | |
und privatem Profitwunsch. In den Auftritten der Richter und Richterinnen | |
wird Staatlichkeit und Gerechtigkeit beschworen. | |
Alles andere läuft nach den Gesetzen der Deregulierung und löscht die | |
Grundrechte aus. Wenn ein privates Gefängnis einen privaten Vertrag mit | |
einem privaten Medienkonzern hat und in private Haushalte das Leben der | |
privatisierten "prison population" überträgt. Dann ist der Hausvater in | |
einer abstrakten Form zurück. Shareholder und ein Management, das den | |
Gewinn sichert. Der Zugriff auf die Körper wird über das Geld geregelt. Ein | |
direkter Zugriff findet nicht mehr statt. | |
Vor gar nicht Langem. Ich war zu einem Rotary-Club eingeladen, um etwas | |
über Feminismus zu erzählen. Da stand der Abendpräsident auf und erzählte | |
den versammelten Mitgliedern, dass der eigentliche Präsident nicht anwesend | |
sein könne. Er habe sich nämlich in eine Tänzerin im Crazy Horse | |
"verschaut" und müsse sich da noch darum "kümmern". Auf allen Gesichtern | |
der anwesenden Männer (nur Männer, natürlich) stieg genau das | |
Strauss-Kahnsche Schmunzeln auf. Leichtes, glucksendes Gelächter war zu | |
hören. Ein Mann am Vorstandstisch neben mir murmelte "Ach. Diese | |
Grisetterln" vor sich hin. | |
Es herrschte tiefes Verständnis für das "Problem", dafür, dass die | |
Angelegenheit diesem Mann nun schon 40.000 Euro gekostet hatte und dass er | |
für dieses Geld etwas "haben wollte". Strauss-Kahn ging es da sicher nicht | |
anders. Er wollte etwas "haben", und wie die Männer des Rotary-Clubs in | |
Wien kann er eigentlich nicht verstehen, was da nun los ist. Seine Frau ja | |
auch nicht. Das wiederum wird einer vorgehalten, als würde das | |
Einverständnis der Frau für die Ausbeutung anderer eine Genehmigung | |
darstellen. Die Rotarier und die Ehefrau. Eliten, die ihren Besitzstand | |
wahren wollen, verstehen die Bedürfnisse der anderen nie. Sonst müssten sie | |
ja ihre Dekadenz begreifen. | |
## Stubenmädchen gehören dem erfolgreichen Burschen | |
Und. Sie helfen einander dabei. Über viele ideologische Grenzen hinweg | |
geschieht das. Es ist schließlich einer der "benefits", die beruflicher | |
Erfolg und der damit verbundene gesellschaftliche Aufstieg versprechen. | |
Alle "Stubenmädchen" der Welt gehören dem erfolgreichen Burschen. Das ist | |
dann mit einer der Gründe, warum Frauen der Aufstieg nicht zugetraut oder | |
zugestanden wird. Sie können ihre Macht nicht in diesem Zugriff auf die | |
Körper ausspielen. Der Verdacht bleibt dann, dass Frauen in diesem Punkt | |
nicht Verbündete werden können, und sie werden im mittleren Management | |
zurückgelassen. | |
Der Rotarier aus Wien, der im Crazy Horse zum neiderfüllten Gaudium seiner | |
Rotarierkollegen "etwas" zu erfüllen hatte. Der war damals der Vorstand | |
einer staatlichen Institution. Der Abendpräsident ein Banker, der dann | |
später nur 300 Millionen verzockt hatte. Der Mann, der bildungsbürgerlich | |
etwas von den Pariser Grisetten wusste. Der war Vorstand einer Privatbank. | |
Gute Kollegen von Strauss-Kahn. Hier. In den USA. Man wird alles | |
daransetzen, dass Strauss-Kahn eben dieses hausvatersolidarische Schmunzeln | |
vergeht. | |
Den Film "Pretty Woman" wird man trotzdem nicht verbieten. Oder die | |
"Lustige Witwe". Es geht natürlich weiterhin darum, den hausväterlichen | |
Besitz an den "Stubenmädchen" in aller Verlockung vorzuführen. Je nach | |
Kontinent kann dann der Wunsch ausgelebt werden. In Europa mit diesem | |
einverständigen Grinsen von Mann zu Mann und der Twitterzustimmung der | |
Ehefrau. In den USA als Vaudeville und Erfolgsstory. | |
Es wurde dann Pizza an die Franklin Street 153 geliefert. Mehrere Kartons. | |
Zumindest gleiches Essen für alle. Die Herrschaft and the help. | |
30 May 2011 | |
## AUTOREN | |
Marlene Streeruwitz | |
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Roman | |
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