# taz.de -- Helgolands Alkoholproblem: Die Insel der roten Köpfe | |
> Die Helgoländer leben nicht nur vom Alkoholkonsum ihrer | |
> Duty-Free-Touristen. Sie frönen ihm auch selbst. Und gehen ihren | |
> Besuchern zudem noch im schönsten Landschaftsidyll mit den alten | |
> Kriegsgeschichten auf die Nerven. | |
Bild: Eigentlich eine schöne Gegend, dieses Helgoland - wenn nur die Einwohner… | |
Diese Insel ist das totale Paradies. Und sie ist die Hölle. Ein Platz, an | |
dem sich Militaristen und Ornithologen treffen. Robben-Freaks und | |
Alkoholiker. Wie, das geht nicht? Aber ja geht es, und der Ort des | |
Geschehens hat sogar einen heiligen Namen: Helgoland, früher "Hilligland" | |
(Heilig Land) heißt sie, und etliche Männer heißen dort Helgo, bis heute. | |
Doch davon ein ander Mal. Denn eigentlich geht es ja um die Frage, wie es | |
ums Image Helgolands steht, das aus zwei Inseln eine machen will - falls | |
die Bewohner am 26. 6. der Landaufschüttung zur "Düne" zustimmen. Wie kann | |
es sein, dass dort eine so absurde Mixtur aus Ökologen und Suchtkranken | |
existiert? Wie ertragen sie einander? | |
Man könnte sichs natürlich leicht machen: Ornitho- und Ökologen ins Ober-, | |
Alkoholiker und Raucher ins Unterland. Aber das funktioniert nicht. Denn | |
die Ökologen müssen durchs Unterland, und die Süchtigen wollen zu den | |
Vogelfelsen, und da begegnen sie sich dann wieder, auf kaum meterbreiten | |
Pfaden. | |
Dabei war die Insel während des Zweiten Weltkriegs ja mehrfach aufgegeben, | |
erst von den Nazis, dann von den Briten, die sie zu sprengen versuchten. | |
Erst 1950 haben dann irgendwelche Revoluzzer-Studenten die deutsche Flagge | |
gehisst und die Rückgabe des britischen Sperrgebiets an Deutschland und | |
dessen Wiederbesiedlung mit erzwungen. | |
Die fand statt, im 50er-Jahre-Stil, und daran hat sich bis heute nichts | |
geändert. Auch ästhetisch nicht: Trostlos wirken die breiten schmucklosen | |
Betonwege am Hafen, verrostet der Anleger der "Düne". Am Strand alte | |
Reifen, verrottetes Werkzeug. | |
Ein Bagger rast geräuschvoll längs der Robben-Kolonie. Fast könnte man, | |
derlei bemängelnd, selbst zum Spießer werden. Aber diese Insel heißt eben | |
nicht "Isle of Trash" sondern setzt so ausdrücklich auf Tourismus, dass ein | |
paar liebevolle Details schon zu erwarten wären ... | |
Aber so sind die Helgoländer nicht. Sie machen es dem Touristen nicht | |
gemütlich. Sie hämmern und bohren fröhlich ab sieben und über Mittag - | |
Fremdenzimmer hin oder her. Und pflegen dabei nimmermüde den Mythos vom | |
Seebären. | |
Dabei fährt der heute auch bloß noch ein Börteboot, um die Touristen vom | |
Schiff in den angeblich zu flachen Hafen zu holen. Überdacht sind weder | |
Boote noch Stege, soll der Tourist doch selbst sehen. | |
Ein bisschen wundert es einen und dann auch wieder nicht, wenn man bedenkt, | |
dass die Helgoländer - wie Meta Schoepp in ihrem Helgoland-Roman schrieb -, | |
noch im 19. Jahrhundert keinen Leuchtturm aufstellten, damit Schiffe an den | |
Klippen zerschellten und man vom Strandraub leben konnte. | |
Ein bisschen, scheints, ist von jener Mentalität geblieben, von der Idee, | |
zu nehmen, aber wenig zu geben. War ja auch lange der zollfreie | |
"Fuselfelsen", zu dem man auf Kaffee- oder Butterfahrt fuhr. Von der | |
Schnäppchenjagd profitierten die Touristen, von den Erlösen die | |
Helgoländer. | |
Zollfreie Butter gibts inzwischen nicht mehr, aber dafür Alkoholika, | |
Parfum, Schokolade. Und das nicht nur in einem Laden, sondern in fünfzehn. | |
Alle hintereinander, dazwischen ein liebloses Fischbrötchen-Geschäft, ein | |
muffiges Café. | |
Die Preise: überall gleich, die Auslagen: lieblos. Kaufen und verschwinden | |
soll man, aber dalli! Da kann die anfangs nette Dame schon mal grantig | |
werden, wenn man nur zwei Postkarten kauft: Wie ein Gewehr hält sie das | |
Etikettendruck-Gerät, bereit zuzuschlagen. Da sagt man "nein danke" und | |
geht. Es ist ihr egal. | |
Und die Gästezimmer? Auch die haben sich seit 1952 nicht verändert: | |
Auslegware, löchrige Bettvorleger und Käse zum Frühstück muss man selbst | |
mitbringen, wofür hat man den Kühlschrank auf dem Zimmer. | |
Andererseits kann man den Gastgebern schwer böse sein: Ist das Gesicht | |
nicht ungesund gerötet? Zittern nicht die Hände beim Tee-Einschenken? War | |
es nicht genauso bei den Vermietern im Jahr davor? "Wir feiern unser | |
Abendmal mit Traubensaft!" ist groß an die Nicolai-Kirche gepinnt. Gleich | |
daneben der Aufruf zum Treffen der Selbsthilfegruppe "Blaues Kreuz". Dass | |
sie Alkoholabhängigen helfen, steht da nicht. | |
Aber wohin man auch schaut, das Problem ist da. Ein Teufelspakt, denkt man, | |
ein Fluch vielleicht, dass gerade die, die von der Sucht der Touristen | |
leben, ihr selbst verfallen. Denn auch der Schiffskarten-Verkäufer, der | |
Börteboot-Führer ... alle mit diesen roten Köpfen. | |
Die Geister, die man rief - die ist auch der Bürgermeister noch nicht | |
losgeworden. Ob er weiß, was er sagt, wenn er sich über die steigenden | |
Tagestouristen-Zahlen freut? | |
Denn die kommen bestimmt nicht wegen des Lummensprungs, eines aufregenden | |
ornithologischen Spektakels, mit dem immer geworben wird. Der einzige | |
Erfolg: Die Ornithologen haben nicht mal mehr auf den Klippen ihre Ruhe, | |
sondern werden auch dort heimgesucht vom Duty-Free-und-Jubel-Volk. | |
Dabei ist Helgolands Fauna eine echte Rarität: An keiner andern Stelle in | |
Deutschland brüten solche Mengen skandinavischer Wasservögel und im Juni | |
springen die Lummen-Jungen hoch vom Fels ins Wasser, wo Vater wartet, damit | |
man gemeinsam ins Nordmeer schwimmt. | |
Dies ist die eigentliche Attraktion der Insel, die Massen an Fotografen | |
lockt. Da wird man mit kamerabewehrtem Arm auch schon mal weggeboxt, wenn | |
man unbequem im Blickfeld steht. | |
Abgesehen davon ist es aber durchaus angenehm, Vögel mal von oben erleben | |
zu können, ihre Lust am Fliegen, ihr archaisches Geschrei. Ein bisschen wie | |
in Cornwall sieht es hier aus, und fast begänne man von Tintagel zu | |
träumen, würde man nicht jäh zurückgerissen: "Dieser Krater stammt von | |
einer Fünf-Tonnen-Bombe" steht da in riesigen Lettern. | |
Ohne das Schild hätte man vielleicht an eine Feenhöhle gedacht. Oder an | |
eine hügelige Landschaft, einfach so. Aber es soll nicht sein: "Hier hatten | |
die Nazis das Projekt Hummerschere geplant", verkündet das nächste Schild | |
am schönsten aller Aussichtspunkte. | |
So geht das den ganzen Klippenwanderweg lang, als gönnten es einem die | |
Helgoländer nicht, ihre Geschichte zu vergessen. "Wir sind Opfer, wir haben | |
gelitten", schreien sie - dabei haben sie die britischen Luftangriffe im | |
Bunker überlebt. Führungen durch jenen Bunker werden natürlich heftigst | |
beworben. | |
Und der Buchladen informiert vor allem über Helgoland im Krieg. Eine | |
merkwürdig antiquierte Nachkriegs-Mentalität, die inzwischen vor allem | |
Ostdeutsche anzieht, die sich am ehesten noch vom Phänomen "Hamsterkauf" | |
beeindrucken lassen. | |
Gesamttdeutsch dagegen der andere Teil der Klientel: Militaristen mit | |
zackigem Gang, kantigen Gesichtern. Da kann es durchaus vorkommen, dass man | |
unvermittelt angeblafft wird: "Möwen füttern verboten, sehen Sie das | |
nicht"! Niemand im weiten Umkreis hatte derlei Anstalten gemacht. Aber zu | |
streiten wagt man auch nicht, so nah an den Klippen ... | |
Später im Fanggarten der Vogelwarte trifft man sich wieder. "Die stehen | |
wohl auch erst um 10 Uhr auf",sagt der Kantige. Als er hört, dass die | |
Ehrenamtlichen sommers zwölf Stunden arbeiten, um verirrte Lummenjunge zu | |
retten, schweigt er. Vorerst. | |
30 May 2011 | |
## AUTOREN | |
Petra Schellen | |
Petra Schellen | |
## TAGS | |
Fische | |
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