| # taz.de -- Imagewechsel einer Insel: „Das braucht etwas Zeit“ | |
| > Helgolands Bürgermeister Jörg Singer über das neue Tourismuskonzept der | |
| > Hochseeinsel, Duty-free-Shops und das traditionelle Ausbooten. | |
| Bild: Mehr Urlaubs-, weniger Tagesgäste: Touristen auf dem Weg nach Helgoland. | |
| taz: Herr Singer, wieso gibt es bei Ihnen noch so viele Duty-free-Shops? | |
| Fällt den Helgoländern seit 1952 nichts Neues ein? | |
| Jörg Singer: Es gibt unterschiedliche Konzepte: einerseits solche, die | |
| Geschäftsmodelle aus den 1980er-, 1990er-Jahren verfolgen. Inzwischen | |
| existieren aber auch Nebenkonzepte, die sehr modern sind und auf ein | |
| anderes Publikum zielen. | |
| Wie würden Sie die „alten“ Konzepte beschreiben? | |
| Sie bestehen im Verkauf möglichst hochwertiger zollfreier Waren – vor allem | |
| an Gäste, die nur kurz auf der Insel sind. | |
| Und was verkaufen die modernen Läden? | |
| Hochwertige Bekleidung im Sport-, Fitness- und Outdoor-Bereich. Aber auch | |
| Schmuck, Uhren, Porzellan und Maritimes. | |
| Welche Geschäfte überwiegen? | |
| Ich kenne keine Statistik, kann aber sagen, dass in den letzten fünf Jahren | |
| zumindest kein Duty-free-Laden dazu gekommen ist. Dafür viele Geschäfte mit | |
| modernem Sortiment. | |
| Warum halten sich die Duty-free-Shops so lange? | |
| Ich glaube, dass es zum Teil eine Generationsfrage ist. Jemand, der 40 | |
| Jahre lang ein aus seiner Sicht erfolgreiches Geschäft betrieben hat, wird | |
| daran vermutlich festhalten. | |
| Wie viele Zollfrei-Läden wurden aufgegeben, weil sie nicht mehr liefen? | |
| Ich glaube, sie sind immer noch lukrativ. Und dass viele an ihren Themen | |
| festhalten, ist eine Mentalitäts- und Traditionsfrage. | |
| Wie wollen Sie das „Fuselfelsen“-Image endgültig ablegen? | |
| Ich wünsche mir mehr Angebote für die sogenannten Lohas, die Genießer des | |
| Hochwertigen. Und für alle, die auf Nachhaltigkeit Wert legen – etwa bei | |
| Kosmetik und Nahrungsmitteln. Und ich wünsche mir mehr Kunsthandwerk. Aber | |
| das braucht Zeit. | |
| Könnten Sie das steuern – etwa durch Existenzgründerförderung für | |
| nachhaltige Läden? | |
| Wir planen, durch eine Gestaltungssatzung etwas in dieser Richtung zu tun. | |
| Aber wir können nicht bestimmte Ladenkonzepte fördern. Ich wünsche mir | |
| aber, dass sich die Geschäftstreibenden inspirieren lassen, wenn sie | |
| anderswo Urlaub machen. Dass sie nach Trends schauen und sie Stück für | |
| Stück in ihre Laden-Ideen integrieren. | |
| Wird auf Helgoland offen über Tourismuskonzepte diskutiert? | |
| Wir wollen bei der nächsten Bürgerversammlung über die touristische | |
| Ausrichtung sprechen – und dazu gehört auch der Handel. Was uns nämlich zu | |
| denken geben sollte: Nur noch 20 Prozent der Tagesgäste kommen wegen der | |
| Zollfreiheit. Sehr gut zieht dagegen ein neues Butterfahrt-Konzept, bei dem | |
| man bis 430 Euro zollfrei einkaufen kann. Diese Variante funktioniert noch | |
| wie vor 50 Jahren. Bloß: Wir müssen lernen, dass diese Zollfreiheit mehr | |
| Potenziale hat – etwa für elektronische Geräte. Das berücksichtigen wir | |
| noch kaum. | |
| Wieso kommt der Großteil der Touristen? | |
| Weil die Leute einen tollen Tag erleben wollen. Mit einer Schifffahrt weit | |
| draußen im Meer; auch hier arbeiten wir an neuen Konzepten. Da ist Natur, | |
| Geschichte, Robben, die Düne, man kann um den Felsen laufen. Es kommen ja | |
| immer mehr Urlaubsgäste, während die Zahl der Tagesgäste stagniert. | |
| Apropos Natur: Auf dem Klippenweg beschwören mehrere Schilder den Zweiten | |
| Weltkrieg. Hier ein Bombentrichter, dort die Nazi-Hummerschere. Ist diese | |
| Beschilderung dem Naturerlebnis zuträglich? | |
| Bombardierung und Evakuierung waren negative Erfahrungen für die | |
| Helgoländer, und damit muss man sich auseinandersetzen. Und wenn man das so | |
| plakativ erleben kann, finde ich es schon richtig. Außerdem: Das sind | |
| Informationen, die man mitnehmen kann, nicht muss. | |
| Aber wenn man, verträumt-urlaubs-gestimmt, auf diese Schilder trifft, | |
| verpufft die Erholung. Würde nicht eine Broschüre genügen, die man bei | |
| Bedarf liest? | |
| Wenn Menschen, die diese Schilder stören, zur größten Zielgruppe gehörten, | |
| müsste man überlegen, ob man den Weg anders beschriebe und ihnen ein | |
| positiveres Naturerlebnis gäbe, ja. | |
| Auch Bunkerführungen gehören zum Touristen-Programm, sie erinnern an den | |
| Zweiten Weltkrieg. Ist Ihnen bewusst, dass Sie so Kriegsveteranen und | |
| -verherrlicher anziehen? | |
| Es ist nicht das Ziel, solchen Menschen einen „Nährboden“ zu geben. Und wir | |
| gehen ja auch nicht verherrlichend mit dieser Vergangenheit um. Sie wird | |
| nicht hochstilisiert, sondern hat eine große Schlichtheit. Ich weiß auch | |
| nicht, ob Menschen gezielt nach Helgoland fahren, um in die Bunkeranlage zu | |
| gehen. | |
| Trotzdem hat man den Eindruck, dass die Helgoländer in einer Opferhaltung | |
| verharren. | |
| Die Evakuierung und die Wiederaufbau-Phase ab 1952 waren für die | |
| Helgoländer sehr emotionale Erlebnisse. Der Stolz, etwas aufgebaut zu | |
| haben, prägt die Insel bis heute. Und damit verbunden die | |
| Erwartungshaltung, dass Helgoland nationale Bedeutung hat und man für die | |
| Insel immer noch etwas tun muss. | |
| Wer? Der Staat? | |
| Ja. Und es stimmt ja, dass jede Kommune für manche Dinge die Unterstützung | |
| von Land und Bund braucht. Aber wir müssen auch Wege finden, möglichst | |
| selbstständig Dinge erfolgreich zu machen. Wir müssen selbstbewusster | |
| werden und aus eigenem Antrieb versuchen, etwas zu bewegen. | |
| Sprechen wir über den konkreten Touristen-Empfang: Warum werden sie immer | |
| noch ausgebootet, obwohl Schiffe längst die Pier anlaufen können? | |
| In den 1980er-, 1990er-Jahren hatten wir in der Tat zu wenig Liegeplätze | |
| für Schiffe. Deshalb sind sie draußen vor Anker gegangen und wurden von | |
| Börtebooten an Land gebracht. Das war früher eine touristische Attraktion. | |
| Neuere Umfragen zeigen aber, dass das immer weniger Gäste wollen. Wir | |
| arbeiten deshalb daran, dass die Schiffe anlanden können. | |
| Wie teuer ist der Börteboot-Betrieb eigentlich? | |
| Die Börte ist in Gemeindehand und sehr kostspielig. Die Boote bestehen aus | |
| Edelhölzern, deren Wartung sehr aufwendig ist. | |
| Bezahlt die Gemeinde die Börte-Kapitäne? | |
| Ja. Einige von ihnen sind auch öffentliche Angestellte. | |
| Warum? | |
| Anfang der 1990er-Jahre, als die Fahrgastzahlen sanken, war das der Wunsch, | |
| und deshalb haben wir das umgestellt ... | |
| ... von Privatunternehmern auf öffentliche Bedienstete? | |
| Ja. | |
| Werden die nicht gegen die Reduktion der Börte protestieren? | |
| Einige Mitarbeiter der Börte werden in ein paar Jahren in Rente gehen. Und | |
| was die Jüngeren betrifft: Wir bauen ja gerade den Offshore-Hafen aus und | |
| werden dort Dienstleistungen anbieten. Da werden sich diese Menschen | |
| sukzessive in andere Arbeitsfelder entwickeln können. Die Kommune steckt | |
| zur Zeit sehr viel Geld in Ausbildung, damit diejenigen, die früher in der | |
| klassischen Börte gearbeitet haben, hier eine Zukunft finden. | |
| Welches ist eigentlich das größte Problem auf Helgoland? Alkoholismus? | |
| Nein, der ist nicht größer als anderswo. Was uns Sorge macht, ist das Thema | |
| Wohnen. Neue Wohnformen sind angesichts des Denkmalschutzes eine | |
| Herausforderung. Wir müssen das bald lösen, denn durch die | |
| Offshore-Bauarbeiten entstehen 150 neue Arbeitsplätze, und diese Leute | |
| müssen beherbergt werden. | |
| Wo werden die neuen Wohnungen stehen? | |
| Da die Landaufschüttung leider gescheitert ist, werden wir zwischen | |
| Vogelwarte und Leuchtturm auf 8.000 Quadratmetern neuen Wohnraum hinsetzen. | |
| Der darf dann auch eine andere Architektur haben. | |
| Das heißt? | |
| Da es verschiedene Stufen des Denkmalschutzes gibt, nehmen sie Elemente der | |
| alten Häuser auf– Farben und Dachform –, sind aber ansonsten modern, mit | |
| Glas, größeren Zimmern, Solarthermie und Dachterrasse. | |
| 4 Apr 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Petra Schellen | |
| ## TAGS | |
| Helgoland | |
| Steuerflüchtlinge | |
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