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# taz.de -- Konfliktvermeidung beim Kirchentag: Keine Armen, keine Reichen
> Angeblich ist dem Kirchentag die "soziale Gerechtigkeit" wichtig,
> faktisch kommt sie kaum vor. Besuchern wird erklärt, warum Geld nicht
> glücklich macht.
Bild: Für alle, die noch Zweifel haben ...
Die Deutschen sind unzufrieden mit ihrer Gesellschaft: Nur 21 Prozent
finden die wirtschaftlichen Verhältnisse gerecht, wie das Institut für
Demoskopie in Allensbach ermittelt hat. Und nur 14 Prozent stimmen "voll
und ganz" der Aussage zu, dass Deutschland eine soziale Marktwirtschaft
sei. Der Rest hat seine Zweifel. Es rumort in der Republik. Dies zeigt auch
eine Erhebung der Friedrich-Ebert-Stiftung, die sich mit der
Politikverdrossenheit befasst: 94 Prozent der Bundesbürger glauben, dass
sie keinen Einfluss darauf haben, was die Regierung tut.
Der Kirchentag liegt also richtig, wenn er "Gerechtigkeit" zu einem seiner
Hauptthemen macht. Zudem befindet er sich damit in bester christlicher
Tradition: Schon Jesus äußerte sich zu Verteilungsfragen, wie das
Markusevangelium überliefert.
Als Jesus einmal dem Opferkasten gegenüber saß, sah er zu, wie die Leute
Geld in den Kasten warfen. Viele Reiche kamen und gaben viel. Da kam auch
eine arme Witwe und legte zwei Scherflein hinein, das macht zusammen einen
Pfennig. Und er rief seine Jünger zu sich und sagte ihnen: Wahrlich, ich
sage euch: Diese arme Witwe hat mehr in den Opferkasten gelegt als alle
anderen. Denn sie alle haben etwas von ihrem Überfluss hergegeben; diese
aber, die kaum das Nötigste zum Leben hat, sie hat alles gegeben, was sie
besaß. (Mk. 12, 41-44)
## Gott, Geld, Glück
Aber wie modernisiert man diese Tradition? Während Jesus predigte, wird auf
dem Kirchentag debattiert. Die Veranstaltungen heißen fein abgestuft
"Hauptpodienreihen" oder nur "Podienreihen", um die Relevanz der Themen
anzuzeigen. "Soziale Gerechtigkeit ist für den Kirchentag zentral",
versichert Studienleiterin Silke Lechner.
Und richtig, gleich die erste Hauptpodienreihe läuft unter dem Titel "Gott,
Geld, Glück". Dieses alliterarische Dreifach-G offenbart jedoch bereits das
Problem vieler Veranstaltungen: Der harte Konflikt um Macht und Einkommen
wird lieber vermieden. Ungerechtigkeiten werden nicht geleugnet - sondern
implizit für unwichtig erklärt. Geld allein macht auch nicht zufrieden, ist
dann die Botschaft. "Warum uns wirtschaftliches Wachstum nicht glücklicher
macht", wird etwa der Schweizer Ökonom Mathias Binswanger in einem
Hauptvortrag erläutern.
Dazu passt bestens die Erkenntnis, dass die "Grenzen des wirtschaftlichen
Wachstums" längst erreicht sind, was sich ebenfalls als Leitmotto durch den
Kirchentag zieht. Bei diesen ökologischen Erwägungen verschwindet dann die
Frage, wer vom bisherigen Wachstum eigentlich profitiert hat. Jetzt müssen
eben alle verzichten. Ohne die Ungleichheit zu leugnen, wird sie dennoch
entsorgt: Die Reichen kommen gar nicht vor - und die Armen nur selten.
Typisch für diese soziale Harmoniesucht ist eine Veranstaltung am
Freitagnachmittag, die sich explizit mit dem Thema Geld befassen soll. In
drei Stunden treten auf: ein Ordenskanzler des Johanniterordens, Gerhard
Schick von den Grünen, der ehemalige Berliner Bischof Wolfgang Huber, der
Kabarettist Okko Herlyn, eine Filialleiterin der GLS-Bank, der Soziologe
Heinz Bude, eine Unternehmerin und Ulrich Schneider vom paritätischen
Gesamtverband. Die Themen in diesen drei Stunden rangieren von der
"theologischen Dimension des Geldes" über "das Primat der Politik" bis zum
"Teilen und Behalten". Bei dieser Vielfalt ist Beliebigkeit garantiert.
Immerhin wurde mit Ulrich Schneider einer der scharfzüngigsten
Hartz-IV-Kritiker gewonnen. Es ist sein allererster Auftritt auf einem
Kirchentag. "Ich war auch erstaunt über die Einladung", sagt Schneider.
"Die Kirchen haben doch ihre eigenen Wohlfahrtsverbände." Offenbar galten
die aber als zu brav. Bleibt nur noch die Frage, wie Schneider es auf dem
überfüllten Podium schaffen soll, Gehör zu finden. Auf diese
Herausforderung bereitet er sich bereits gedanklich vor: "Thematisch wird
da ein so breites Spielfeld eröffnet, dass man weite Flanken nutzen muss,
um den Aspekt Verteilungsgerechtigkeit zu platzieren."
## Die Eurokrise fehlt
Auffällig ist am Kirchentagsprogramm zudem, dass Geld nur als Abstraktum
vorkommt. Die Eurokrise hingegen fehlt, obwohl sie Fragen zur Gerechtigkeit
aufwirft. Teils hat dies organisatorische Gründe: "Die Planung war im
vergangenen Sommer abgeschlossen", erläutert Studienleiterin Lechner.
"Damals war Griechenland nicht aktuell."
Doch ganz kann dieses Argument nicht überzeugen, denn bei anderen Themen
reagierte der Kirchentag schnell. Zur Katastrophe in Fukushima gibt es drei
Veranstaltungen, und der arabische Frühling wird mit einem zusätzlichen
Podium bedacht.
Doch bei der Eurokrise verließ man sich darauf, dass CDU-Finanzminister
Wolfgang Schäuble, der für zwei andere Veranstaltungen eingeplant war,
nebenher auch dazu etwas sagen würde. Inzwischen hat er abgesagt -
vielleicht um den Euro zu retten. Das wäre eine Pointe.
Nur ein einziges Mal geht der Kirchentag in Dresden das Thema Gerechtigkeit
frontal an - und zwar bei den Steuern. Am Donnerstagvormittag prallen der
ehemalige SPD-Finanzminister Hans Eichel, der FDP-Steuerexperte Hermann
Otto Solms, die Attac-Finanzexpertin Astrid Kraus und die Ökonomin Margit
Schratzenstaller vom österreichischen Wirtschaftsforschungsinstitut
aufeinander. Gegenseitige Schonung ist nicht zu erwarten. Zu weit liegen
die Vorschläge auseinander, wie etwa die Spitzenverdiener oder die
Unternehmen zu belasten sind.
Für den Kirchentag ist eine konfrontative Veranstaltung zum Thema
Steuergerechtigkeit eine Premiere. "Es ist ein Wagnis", sagt Lechner. Sie
kann nicht einschätzen, wie viele Besucher kommen. "Aber wir wollten dieses
Thema setzen." Deswegen wurde auch einer der attraktivsten Orte dafür
reserviert: das Staatsschauspiel in Dresden. Attac-Expertin Kraus hat gern
zugesagt: "Es ist ja eher selten, dass sich die Kirche in die harten
Wirtschaftsthemen einmischt."
1 Jun 2011
## AUTOREN
Ulrike Herrmann
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