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# taz.de -- Interview mit Religionskritiker: "Warum ich kein Christ sein will"
> Die Kirche kritisieren viele. Uwe Lehnert reicht das längst nicht mehr.
> Nach seiner Emeritierung schrieb sich der Pädagoge eine Abrechnung von
> der Seele.
Bild: Kirchenkritiker Uwe Lehnert: "Sehr interessant ist auch eine kircheninter…
taz: Herr Lehnert, haben Sie in der Adventszeit auch mal eine Kerze
angezündet?
Uwe Lehnert: Natürlich. Die Kerze ist ja kein christliches Symbol. Und wenn
es so wäre, hätte ich kein Problem damit. Wir sind in einer christlich
geprägten Kultur groß geworden, die können wir nicht abschütteln ohne
Verlust an liebgewordenen Traditionen.
Aber Weihnachten ist für Sie kein Thema, oder?
Das heißt nicht, dass ich Weihnachten nicht feiern würde. Für mich ist es
ein Fest des familiären und politischen Friedens, der Besinnung. Ich denke,
das gilt inzwischen für die überwiegende Mehrheit unserer Gesellschaft.
Anders formuliert: Sie feiern Weihnachten, aber es hat für Sie keine
spirituelle Bedeutung.
Auch das würde ich so nicht stehen lassen. Festtage wie diese verdeutlichen
für mich, dass das Leben aus mehr besteht als der rationalen Bewältigung
des Alltags. Es gibt ja Fragen, die unser Wissen übersteigen. Ich empfinde
an solchen Tagen ein Bedürfnis nach Feierlichkeit, aber sie soll das Gemüt
ansprechen, ohne den Verstand zu kränken. Wenn ich mir Predigten in diesen
Tagen anhöre, passiert genau das.
Was stört Sie daran?
Dass den Menschen ein anrührendes Märchen ohne geschichtliche Basis
aufgetischt wird. Die weltweite Verbreitung dieser "frohen Botschaft" vom
erbarmenden Gott hat über die Jahrhunderte Millionen Menschen das Leben
gekostet. Und trotz der Losung vom Frieden auf Erden kann ich nicht
erkennen, dass der beschworene Gott auch nur eine Hand gerührt hätte, um
diese Welt friedlicher zu machen.
Und darum wollen Sie kein Christ sein.
Darum, und weil ich den zentralen Glaubenssatz nicht glauben kann und will,
dass Jesus für mich am Kreuz gestorben sein soll. Dieser Opfertod soll mich
von meinen Sünden befreien. Das ist steinzeitliches Denken. Damals brachte
man den Göttern Opfer, um sie gnädig zu stimmen, in ganz dramatischen
Situationen opferte man sogar den Erstgeborenen. Heute noch so zu denken,
finde ich geradezu absurd. Fällt einer allmächtigen Gottheit nichts anderes
ein als eine grausame Hinrichtung, um sich mit uns zu versöhnen?
Viele Christen nehmen das vielleicht gar nicht so wörtlich.
Richtig, nach meiner Erfahrung sind die meisten Kirchgänger
Traditionschristen. Sie machen mit, was sie mal gelernt haben, finden das
ganz schön und sehen keinen Grund, daran etwas zu ändern. Ihr Christentum
besteht aus einer allgemeinen Gottgläubigkeit und dem Wunsch, als guter
Mensch zu gelten.
Religiöse Inhalte spielen gar keine echte Rolle mehr?
Wenn ich Christen nach Erbsünde, Opfertod oder Abendmahl frage, stellt sich
meist heraus, dass sie darüber überhaupt noch nicht nachgedacht, geschweige
denn diese Fragen zu Ende gedacht haben.
Worüber sollten sie denn einmal nachdenken?
Vor allem über den eklatanten Widerspruch zwischen dem angeblich
allmächtigen und unendlich barmherzigen Gott und dem unübersehbaren
menschlichen Leid. Gott, wenn er denn existieren sollte, schaut offenbar
dem Leiden der Menschen, verursacht durch Naturkatastrophen, Krankheiten
oder Völkermorde, tatenlos zu. Das ist die berühmte "Theodizee" - kein
Theologe, kein Papst weiß eine Antwort auf diesen unauflösbaren
Widerspruch. Auch die zweitausendjährige Geschichte der Kirche mit ihren
zig Millionen Blut-Opfern zeigt mir, dass hinter ihrer Lehre kein
barmherziger Gott stehen kann.
Schafft Religion mehr Leid als Trost?
Gerade die beiden großen monotheistischen Religionen mit ihrem
Alleinvertretungsanspruch, das Christentum und der Islam, haben Millionen
Menschen auf dem Gewissen. Der größte Teil aller bisherigen Kriege geht
aufs Konto der Religionen. Dabei kann Religion zweifellos auch trösten. Wer
glauben kann, ohne durch Gründe der Vernunft irritiert zu werden, kann Halt
und Trost erfahren. Stellt man aber Trost und Leid gegenüber, wird
deutlich, welch unglaublich hoher Preis dafür zu zahlen ist.
Diese Fundamentalkritik entwickeln Sie ausführlich in Ihrem Buch, das sich
offenbar sehr gut verkauft. Ernten Sie dafür eigentlich Unverständnis?
Meine nächsten Angehörigen denken wie ich, einen Bruder, der Organist ist,
konnte ich überzeugen, meine liebe Schwester nicht. Ansonsten habe ich zu
meinem Erstaunen erfahren, dass viel mehr Kollegen an meiner FU, als ich
ahnte, so denken wie ich. Kühle Ablehnung habe ich natürlich auch
registrieren müssen. Andererseits habe ich die religionskritischen Kapitel
meines Buches mit zwei Pfarrern ausführlich diskutiert. Einer hat mich
sogar mehrere Tage in seine Familie eingeladen und geduldig mit mir
gesprochen. Trotzdem sind wir nach wie vor gute Freunde.
Ist Berlin eine gottlose Stadt?
Um ein paar Zahlen zu nennen: Rund 70 Prozent der Berliner sind in keiner
großen Kirche organisiert, im Osten sogar 80 Prozent. Sehr interessant ist
auch eine kircheninterne Umfrage unter den evangelischen Pfarrern und
Pfarrerinnen in Berlin und Brandenburg. Etwa 10 Prozent von ihnen glauben
nicht mehr an Gott. Noch mehr zweifeln an der Wiederauferstehung, die
wenigsten glauben an die Hölle. Davon abgesehen verstehen sich diese
gottlos gewordenen Pfarrer im besten Sinne des Wortes als Seelsorger, und
ich denke, dass sie da viel Gutes tun. Von dieser internen Fluchtbewegung
spricht der sonst so redselige Altbischof Huber nicht.
Trotzdem sind selbst in Berlin Kirchenvertreter viel präsenter als
Konfessionslose.
Weil wir ein Kirchenstaat sind!
Das müssen Sie erklären.
Der Staat hat den Kirchen in den letzten Jahrzehnten in beispielloser Weise
Rechte und Mittel zugeschanzt - trotz gegenteiliger Auflagen der
Verfassung. Deshalb können sie sich auch mit den Sozialleistungen von
Caritas, Diakonie, konfessionellen Krankenhäusern, Kitas und Schulen
schmücken. Das Geld dafür kommt aber tatsächlich zu 90 bis 98 Prozent vom
Staat und den Sozialkassen. Hinzu kommt eine lange Liste von Vorrechten.
Zum Beispiel?
Die Kirchen haben ein eigenes Arbeitsrecht, das Arbeitnehmer in allen
wesentlichen Fragen schlechter stellt als solche im öffentlichen Dienst
oder im Privatsektor. Oder nehmen Sie die Rundfunk- und Fernsehräte. Da
haben die christlichen Kirchen und die jüdische Gemeinde das Recht, sich in
Weltanschauungsfragen zu äußern und über Programme zu befinden. Andere
Weltanschauungen sind nicht zugelassen. Solche Privilegien tragen dazu bei,
dass die Kirchen im öffentlichen Bewusstsein allgegenwärtig sind, ohne ein
politisches oder irgendwie moralisch begründetes Mandat.
Der Katholizismus ist 2010 arg gebeutelt worden. Freut Sie das?
Angesichts des Leids, das zu dieser Kritik geführt hat, kann keine Freude
aufkommen. Aber eines stelle ich mit Genugtuung fest: Immer mehr Menschen
begreifen, dass die Rolle der Kirche als Hort und Verkünder der Moral bloße
Anmaßung ist.
Ist Ihnen der Protestantismus eigentlich näher?
In den wesentlichen Punkten erkenne ich keinen Unterschied: Jesus als
menschliches Opfer zur Sündentilgung, Wiederauferstehung der Toten, Ewiges
Leben, Taufe, Abendmahl, Hölle für die Ungläubigen, all das ist für beide
Kirchen verbindlich. Beide Lehren sind gedankliche Konstrukte, die als
Wunschvorstellungen aus Not und Verzweiflung entstanden sind. Was den
Protestantismus betrifft, muss man immer wieder auf die zwiespältige Rolle
Luthers hinweisen. Er war ein eindrucksvoller Denker und hat der deutschen
Sprache mit seiner Bibelübersetzung einen großen Dienst erwiesen. Er war
aber auch ein ganz entschiedener Antisemit, der in seinem Buch "Von den
Juden und ihren Lügen" das nationalsozialistische Verfolgungsprogramm bis
in Einzelheiten vorwegnahm.
Das passt nicht recht ins heutige Luther-Bild.
Die evangelische Kirche sollte die Ehrlichkeit aufbringen, Luther auch mit
seinen höchst fragwürdigen Seiten zu zeigen. Aber sie wird das nicht tun,
es würde dem Protestantismus seinen vermeintlichen Glanz nehmen.
Kritische Christen arbeiten sich seit langem an Fragen der Ökumene und
Modernisierung ab. Mit welchen Gedanken betrachten Sie diese Konflikte?
Eigentlich interessieren sie mich nicht. Ich betrachte sie allenfalls mit
Schmunzeln, weil es sich um selbst erzeugte Konflikte handelt, die die
Kirchen aufgrund ihrer unterschiedlichen Bibelinterpretationen haben. Sie
beruhen letztlich auf bloßen Behauptungen und reiben sich daher ständig an
der Wirklichkeit.
Fragen wie die nach der Gleichstellung von Frauen in der Kirche lassen sie
kalt?
Diese Konflikte beweisen doch, wieweit insbesondere die katholische Kirche
hinter der gesellschaftlichen Entwicklung zurückgeblieben ist. Aber das ist
auch kein Wunder: Die für alle Christen verbindliche Bibel erachtet die
Frau in jeder Hinsicht als weniger wert. Das drückt sich schon im 10. Gebot
aus, viele Stellen des Alten Testaments zeichnen die Frau als Verführerin
und Wesen mit bösartigem Charakter. Das Neue Testament ist in dieser
Hinsicht nicht besser. Die wenigen Stellen, die die Rolle der Frau
thematisieren, sprechen von ihrer Unterordnung.
Katrin Göring-Eckardt, Präsidentin des Evangelischen Kirchentags, sagt in
der Zeit, das Abendgebet sei eine "warme Hülle", ohne das "unser Ein- und
Weiterschlafen unruhig" wäre. Missgönnen Sie frommen Menschen den ruhigen
Schlaf?
Also ich schlafe trotz meines Alters noch sehr gut ein - und zwar ganz ohne
Abendgebet. Aber im Ernst: Warum sollte ich das tun? Frau Göring-Eckardt
mag sich gern ihr sympathisch-kindliches Gemüt bewahren. Ich habe nie
versucht, Menschen ihren Glauben auszureden.
Viele Menschen denken in den dunklen Tagen am Jahresende über ihr eigenes
Ende nach. Und Sie? Brauchen Sie keinen Trost, dass es "danach weitergeht"?
Natürlich könnte man Menschen beneiden, die fest an ein Leben im Jenseits
glauben. Aber so etwas zu erhoffen, gelingt jemandem nicht, der überzeugt
ist, dass hier eine Illusion vorliegt. Ich persönlich habe mich längst mit
dem Gedanken vertraut gemacht, dass mein Leben irgendwann ein Ende finden
wird. Der Tod als das Ende aller meiner Tage ängstigt mich daher heute kaum
noch.
Sie genießen das Leben hier und jetzt?
Ich habe die Hoffnung, dass es ein langes und möglichst erfülltes Leben
sein wird. Wenn dieses Leben auch noch Spuren hinterlässt, fürchte ich den
Tod nicht. Angst habe ich vor einem zu frühen Tod oder quälend langem
Sterben. Aber gerade für letzteren Fall haben ja humanistische Kreise den
Weg zu einem menschenwürdigen Lebensende freimachen können - gegen
erbitterten Widerstand der Kirchen.
23 Dec 2010
## AUTOREN
Claudius Prösser
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