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# taz.de -- Gleichstellung gescheitert: Emanzipation als Karrierehemmnis
> Warum Feminismus nichts mit Feminisierung zutun hat. Ellen Ueberschär,
> Generalsekretärin des Evangelischen Kirchentages, über Gleichberechtigung
> und gescheiterte Quoten.
Bild: Trotz fehlender Gleichberechtigung in ihrer Kirche hat Ellen Ueberschär,…
taz: Frau Ueberschär, schätzen Sie sich glücklich, in einer Kirche zu sein,
bei der die Emanzipation der Frau durchgesetzt scheint?
Ellen Ueberschär: Ja. Aber durchgesetzt ist die Gleichberechtigung noch
nicht. Gescheitert jedenfalls ist der Beschluss der Synode der
Evangelischen Kirche in Deutschland, dass in ihren Führungsgremien 40
Prozent Frauen zu finden sind. Das war 1989. Ein guter Beweis für das
Nichtfunktionieren von Selbstverpflichtungen.
Hat die EKD 22 Jahre nur Wein gepredigt und Wasser geboten?
Ach, ich bin mir relativ sicher, dass wir in einer Art Zwischenzeit leben.
In Hamburg kandidieren zwei Frauen um die Nachfolge von Maria Jepsen, es
wird also auf jeden Fall eine Bischöfin mehr geben.
Gleichberechtigung ist in der Kirche nur noch eine Frage der Zeit?
Wir stehen kurz davor. Trotzdem habe ich das Gefühl, es gibt eine gewisse
Stagnation.
Sprechen Sie sich aus …
Die älteren Feministinnen stoßen an eine Grenze, sie haben ganz viel
erreicht, finden aber keine Nachfolgerinnen. Die Generation der
Dreißigjährigen, die interessiert der Kampf der siebziger Jahre nicht mehr,
die empfinden die feministische Theologie als Karrierehemmnis, auch in der
Kirche.
Karrierehemmnis? Wie meinen Sie das?
Sich überhaupt feministisch zu outen - nein, das geht für viele Jüngere gar
nicht. An den Universitäten ist feministische Theologie zum Teil ein
Prüfungsfach, aber es gibt Widerstände dagegen, von Männern wie von Frauen.
Woran liegt das?
Es gibt einen neuen Konservatismus, der jüngere Leute wieder nach Autorität
suchen lässt und nach Dogmen. Nach irgendetwas, an dem man sich festhalten
kann und sich nicht dauernd abarbeiten muss. Da sind natürlich kritische
und erfahrungsbezogene Ansätze eher verunsichernd.
Hält man diese Prüfungen nicht aus?
Es hat jedenfalls auch mit dem Eindruck junger Frauen zu tun, es sei schon
alles erreicht. Wie in dem Goethe-Wort: "Was machst du an der Welt? Die
Welt ist schon gemacht!" Mehr als 50 Prozent der Studierenden sind Frauen.
Aber dann kommt eben die Falle.
Welche von etlichen meinen Sie?
Die Falle, sich zwischen Beruf, Karriere und Familie entscheiden zu müssen,
das ist in diesem Land immer noch so.
Hält da die Politik nicht gegen?
Es hat sich gerade durch die konservative Familienpolitik unglaublich viel
geändert. Die erdrutschartigen familienpolitischen Veränderungen, die
werden wir erst in ein paar Jahren so richtig spüren. Da gibt es ein
schlechtes Gewissen, das den Frauen gemacht wird, was Bascha Mika in
"Feigheit der Frauen" beschrieben hat.
Welches schlechte Gewissen?
Mütter machen ihren Töchtern ein schlechtes Gewissen, wenn die arbeiten und
gleichzeitig Kinder haben, wenn sie das alte Rollenbild nicht ausfüllen.
Das stärkste Hindernis im Westen war zu sagen: Ich hänge meinen Beruf
lieber an den Nagel, oder ich suche mir einen Beruf wie etwa Lehrerin, wo
ich halbtags arbeite und den Rest der Zeit für meine Kinder habe.
Ist in der evangelischen Kirche der Stand der Geschlechterdemokratie weiter
als im Rest der Gesellschaft?
Das würde ich nicht sagen. Die Kirche war nie ein Ort der Emanzipation. Das
Thema Frauenordination war auf dem Kirchentag erst ein Thema, als es schon
längst durchgesetzt war in den Landeskirchen.
Aber auch die Kirchentage haben gelernt.
Sehr viel sogar. Es gibt keinen Bereich des Kirchentages, in dem die
Gleichheit der Geschlechter kein Thema ist. In den Kirchen hat es lange
gedauert, und ich glaube, es wird auch jetzt lange dauern, länger als in
anderen gesellschaftlichen Bereichen. Vorreiter sind die Kirchen jedenfalls
nicht. Und wenn Frauen in der Kirche, Pfarrerinnen und auch andere, nicht
aufpassen, dann treten wieder alte Mechanismen in Kraft.
Welche meinen Sie?
Das wären mentale Prägungen und theologisch befestigte Argumente gegen die
gleichberechtigte Beteiligung von Frauen am geistlichen Amt oder überhaupt
leitenden kirchlichen Tätigkeiten.
Das müssen Sie erklären.
Jede evangelische Pfarrerin muss sich klarmachen: Als Evangelische stehen
wir großen christlichen Konfessionen gegenüber, die keine Frauen zur
Ordination zulassen, die Orthodoxen, die Katholiken - jede Pfarrerin muss
sich im Grunde in dieser Situation selbst definieren, anders als eine
Juristin etwa.
Andererseits schreibt der Theologe Friedrich Wilhelm Graf sehr scharf über
die "Feminisierung" der evangelischen Kirche.
Er beobachtet auch, dass die Anzahl der Studentinnen steigt, und zieht
daraus den Schluss, dass das Pfarramt bald völlig von Frauen überflutet
wird.
Klingt logisch.
Das mit der Feminisierung von Kirche zu verbinden ist insofern ein bisschen
unscharf, weil man seit etwa 200 Jahren von dieser Feminisierung spricht.
Auch auf dem Kirchentag sind 60 Prozent der Teilnehmenden Frauen. Kirche
ist seit Langem eine Frauenbewegung. Selbst die berühmte Bekennende
Gemeinde in Dahlem mit Martin Niemöller in den dreißiger Jahren war eine
Frauenbewegung. Die Feminisierung ist schon lange da.
Das ist doch erfreulich.
Die Frage ist nur: Wer besetzt die Spitzenpositionen? Und wie kann es sein,
dass trotz des EKD-Beschlusses immer noch der Frauenanteil bei unter zehn
Prozent herumdümpelt? Die Probleme und Hindernisse für Frauen in unserer
Gesellschaft schlagen in der Kirche genauso zu. Das sind banale soziale und
mentale Ursachen, die theologischen Dinge kommen obendrauf.
Wie haben Sie das unter einen Hut gekriegt? Haben Sie einen Partner, der da
mitzieht?
Ich habe einfach einen tollen Mann, der sagt: Wir teilen uns das. Anders
hätte ich das gar nicht machen können. Ich hätte meine Ausbildung nicht
fertig machen können, meine Promotion nicht und auch meinen jetzigen Job
nicht, wenn er nicht gesagt hätte: Okay, ich nehme das zum Anlass, mich
selbst beruflich darauf einzustellen.
Margot Käßmann hat ja eingeräumt, dass sich hinter ihrer glänzenden Fassade
auch verbarg, dass sie sich um ihre Kinder kaum kümmern konnte. Warum
fragen sich das eigentlich hohe kirchliche Funktionäre nicht?
Das ist die Von-der-Leyen-Falle: Was sagen Sie, wenn Ihre Kinder später
fragen: Mama, wo warst du, als ich klein war? Das wird kein Bischof gefragt
und auch kein Politiker, im Gegenteil: Bei Vorstellungen von Kandidaten
können Männer immer sagen, wie viele Kinder sie haben, und das ist ein
Zeichen von Seriosität. Dass man stark ist.
Dann haben im Grunde schwule und lesbische Kandidaten keine Chance, oder?
Sie haben es schwerer, schon wegen der Hochschätzung des heterosexuellen
Familienideals.
Was homosexuelle Pfarrerinnen und Pfarrer angeht: Sehen Sie da im
Augenblick eigentlich eher einen Rückschritt? So hat das neue,
homosexuellenfreundliche Pfarrerdienstrecht zu Protesten konservativer
Theologen geführt.
Es gibt theologische Kreise, die kein anderes Thema haben als
Homosexualität, obwohl der Sinnzusammenhang Homosexualität gerade dreimal
in der Bibel vorkommt, während der Sinnzusammenhang Gerechtigkeit über
500-mal zu finden ist. Wenn dann immer über Homosexualität geredet wird,
stimmt etwas nicht.
Geht aber die Kirche nicht viel zu defensiv mit der
Geschlechtergerechtigkeit um? Man könnte es doch machen wie die schwedische
Kirche. Die hat keine heterosexuelle Trauungsformel mehr. Warum kann die
Kirche Luthers nicht so sein?
Die Kräfteverhältnisse sind eben in Deutschland anders, und dafür
Mehrheiten zu finden ist nicht so einfach. Schweden ist in dieser Hinsicht
eine Vorreiterkirche, die haben auch mehr Bischöfinnen. Es hängt auch damit
zusammen, dass wir hierzulande in einer Parität mit den katholischen
Geschwistern leben.
Gibt es nicht auch in der evangelischen Kirche ein Ressentiment, wie es
Margarete Mitscherlich-Nielsen beschrieben hat: Man mag Homosexuelle
eigentlich nicht.
Es kann sein, dass es solche Affekte bei manchen Leuten gibt. Das wäre
schlimm und müsste aus dem Unbewussten ins Bewusste geholt werden. Aber
wenn man mal guckt - über Jahrhunderte war die katholische Kirche ein
Schutzraum für Homosexualität. Weil man da, ohne gesellschaftlich
aufzufallen, im Zölibat leben konnte und unbehelligt von dem Anspruch
blieb, eine Familie zu gründen.
Zu dieser Geschichte steht die katholische Kirche aber nicht.
Es wäre eigentlich nötig, das nachzuvollziehen und zu sagen: Wir sind das.
Das ist über Jahrhunderte etwas Gutes gewesen, es hat eine lebensbewahrende
Funktion gehabt. Auch diese fraulichen Tätigkeiten, das Klappern mit dem
Geschirr am Altar, das hat dazu beigetragen, dass das auch attraktiv war
für Männer, die nicht auf Familiengründung aus waren und trotzdem
fürsorglich für Menschen da sein wollten.
3 Jun 2011
## AUTOREN
Jan Feddersen
Philipp Gessler
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