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# taz.de -- PC-Spiel "Minecraft": Der Reiz der Klötze
> Grobe Blöcke statt ausgefeilter Grafiken - das Spiel "Minecraft" ist im
> Grunde nicht mehr als ein 3D-Malprogramm. Und ist dennoch derzeit eines
> der erfolgreichsten Games.
Bild: Klötzchen zu Football-Feldern: Szene aus dem erfolgreichen PC-Spiel "Min…
Die erste Nacht ist die schlimmste. Allein auf einer Insel kauert der
Spieler in seinem selbstgebuddelten winzigen Erdloch. Wer in den Stunden
zuvor keine Kohle fand, um Fackeln zu fertigen, muss in völliger Dunkelheit
verharren. Der Überlebenskampf hat begonnen. Stimmen schwirren durch die
Nacht, herannahende Schritte sind zu hören. Aus umliegenden Minenschächten
steigen Spinnen und Skelette empor und wandeln auf der Suche nach dem
Spieler durch die Nacht.
Minutenlang bibbert man vor dem Bildschirm, hofft auf Verschonung. Erst
wenn sich am nächsten Morgen die Sonne blutrot aus dem Ozean erhebt, lässt
die Anspannung nach. Dann geht es raus aus dem Erdloch, rein in eine Welt
voller fantastischer Möglichkeiten, in die Welt von "Minecraft".
Das Spielkonzept ist einfach: Alles in Minecraft besteht aus Blöcken
verschiedenster Materialien. Bäume sind zusammengesetzt aus vier Klötzen
Stamm und vielen Klötzen Blättern. Berge setzten sich zusammen aus
verschiedenen Blöcken Mineralien, in die tiefe Schächte geschlagen werden
können. Überall finden sich Rohstoffe, die man zu Waffen, Werkzeugen, Öfen,
Zäunen oder Kuchen verarbeiten kann. Der Spieler gestaltet damit seine
eigene Welt.
Im Prinzip ist Minecraft ein riesiges Malprogramm in 3D. Das Spiel
abstrahiert und vereinfacht, was die Vorstellungskraft extrem anregt.
Manche Spieler haben mit den groben Klötzen Notre Dame nachgebaut oder
Raumschiff Enterprise. Grenzen gibt es in Minecraft nicht.
Über zwei Millionen Menschen haben Minecraft mittlerweile für anfangs 10,
später für 15 Euro gekauft. An manchen Tagen verdienten die Entwickler über
350.000 Euro. Es war eines der erfolgreichsten Spiele 2010. Doch hinter
Minecraft steckt kein großes Studio, sondern allein der schwedische
Programmierer Markus Persson. Er entwickelte Minecraft an seinem heimischen
Rechner. Sein Spiel ist der Gegenentwurf zu Blockbuster-Games wie "Call of
Duty", deren Produktion Multi-Millionen-Dollar-Budgets verschlingt. Um die
Spieler mit Updates zu versorgen, beschäftigt Persson allerdings seit ein
paar Monaten ein Team von acht Leuten.
Anfang März hat sein Spiel den Hauptpreis auf dem "Independent Games
Festival" in San Francisco gewonnen. Es ist die höchste Auszeichnung, die
solch ein "Indie"-Spiel gewinnen kann.
## Unabhängig entwickeln
Doch was genau sind überhaupt Indie-Spiele? In der Musikbranche wird der
Begriff so inflationär gebraucht, dass dort irgendwie alles Indie ist.
Dabei wurde damit ursprünglich kein Musikgenre, sondern die Arbeitsweise
der Musiker beschrieben. Independent stand für unabhängig. In dieser
Tradition sehen sich auch die Indie-Spieleentwickler. Sie wollen volle
künstlerische Freiheit, um etwas Originelles zu schaffen. Und sie wollen
nicht terminlich oder finanziell von Publishern abhängig sein.
Kommerzieller Erfolg ist dagegen kein Kriterium. "Indies müssen nicht arm
sein", sagt Alexander Zacherl, der mit seiner Firma Bit Barons
Puzzle-Spiele entwickelt.
Seit 1998 werden beim "Independent Games Festival" die besten unabhängigen
Produktionen prämiert, aber die Geschichte der Indie-Spiele reicht
wesentlich weiter zurück. Viele Spiele aus den Achtzigerjahren, die
inzwischen Kultstatus haben - etwa "Maniac Mansion" oder "Prince Of Persia"
-, stammen von einer einzigen Person. Jahrelang arbeiteten die Entwickler
ohne Budget, um ihre Ideen zu verwirklichen. Erst als die Spiele komplett
fertig waren, traten sie an Publisher heran, die die Spiele dann
veröffentlichten, weil der Vertrieb von Videospielen für Privatpersonen
damals unbezahlbar war.
Der heutige Boom der Indie-Spiele gründet sich auf den neuen Möglichkeiten
der digitalen Distribution. Wie immer mehr Bands in der Musikbranche
veröffentlichen die Gamedesigner ihren kreativen Output einfach im
Internet. Entweder über die eigene Webseite oder über Download-Portale wie
Steam, das seit 2003 existiert. Mittlerweile haben auch alle Konsolen
nachgezogen: Es gibt Plattformen wie "Xbox Live" oder den
"Playstation-Store", der kürzlich durch den Verlust von 77 Millionen
Kundendaten besondere Aufmerksamkeit erhielt.
Doch es gibt nicht nur einen technischen, sondern auch einen generellen
Gesinnungswandel in der Gamesbranche. "Viele Entwickler von kommerziellen
Spielen sind mittlerweile unzufrieden", sagt der Indie-Entwickler Marek
Plichta. Die großen Studios würden kaum Risiken eingehen, keine
Innovationen wagen. Der Fortzsetzungsfluch plagt nicht nur die Film-,
sondern auch die Gamesbranche immens: Was einmal funktioniert hat, wird
immer wieder aufgewärmt. So werden erfolgreiche Reihen wie das Kriegsspiel
"Call Of Duty" beinahe jedes Jahr um eine Fortsetzung ergänzt.
Plichta hatte auf solche Mechanismen keine Lust. Er entwickelte lieber mit
seinem Partner Matthias Ljungström das Puzzle-Adventure "Spirits", in dem
der Spieler auf dem iPhone kleine Geister durch wunderschöne Landschaften
auf steuert. "Wir wollten ein Spiel entwickeln, dessen poetische Atmosphäre
die Kreativität des Spielers anregt", sagt Plichta. Ein Jahr hat er an
"Spirits" gearbeitet, und die Mühe hat sich gelohnt: Es gewann den Preis
für die "Beste Ästhetik" auf der "IndieCade", einem amerikanischen
Spiele-Festival vergleichbar mit dem Sundance-Film-Festival. Wie viel er
damit verdient, will Plichta nicht sagen, sagt aber, dass er davon leben
kann. "Spirits" ist einer der wenigen Indie-Erfolge aus Deutschland.
## Schlechtes Image
"Nur auf Deutschland ausgerichtet, machen Indie-Spiele keinen Sinn, weil
der Markt zu klein ist", sagt Plichta. Beliebt sind hierzulande
Aufbau-Strategiespiele oder Simulationen, die meisten Indie-Produktionen
erreichen dagegen nur ein Nischenpublikum. Außerdem fehlt eine lebendige
Szene. Plichta schätzt, dass es in Deutschland maximal zwanzig
Entwicklerteams gibt, die davon leben können.
Die Gründe sieht er in einer verfehlten Bildungspolitik. "Die Politik zeigt
kaum Interesse an Videospielen", sagt Plichta. Spiele würden nicht als
Kulturgut anerkannt. An Hochschulen gebe es zu wenig
Gamedesign-Studiengänge. In der Öffentlichkeit würden Spiele immer noch
einen zweifelhaften Ruf genießen: "Sie müssen als Sündenbock für
Gewaltverbrechen herhalten."
Zwar unterstützen Filmförderer wie das Medienboard Berlin-Brandenburg
mittlerweile auch Games, doch das reicht Plichta nicht. "Es gibt
Filmförderung, aber keine explizite Spieleförderung, daran erkennt man
schon den Stellenwert von Videospielen." Er schätzt aber, dass in zehn
Jahren Gamedesigner als ganz normale Kulturschaffende angesehen werden.
"Aber im Moment sind Spiele für viele entweder für Kinder oder
Zeitverschwendung."
Das Vorbild für die Szene sind die USA, wo viele Entwickler als Künstler
angesehen werden. Die Szene dort ist groß und bestens vernetzt. So haben
erfolgreiche Indie-Entwickler einen "Indie Fund" ins Lebens gerufen. Mit
ihrem Privatvermögen unterstützen sie neue viel versprechende Projekte. In
Deutschland ist man noch weit entfernt von solchen Möglichkeiten. Immerhin
gab es Rahmen der "Deutschen Gamestage" nun aber zum ersten Mal ein
deutschlandweites Treffen von Indie-Entwicklern.
"Ich wollte ein Forum schaffen, damit die Konvergenz zwischen Kunst und
Spielen besser herausgearbeitet wird", sagt dessen Organisator Thorsten
Wiedemann. Die Entwickler tauschten Presselisten, Erfahrungen und Wissen
aus. Aber auch ganz praktische Ratschläge für Selbstständige. So fragte
dort einer der Entwickler in die Runde: "Was ist das Beste an euren
Lieblingsspielen wie Tomb Raider, Super Mario und GTA?" Antwort? "Sie alle
lassen sich als Arbeitsmittel von der Steuer absetzten."
Über Geld muss sich Minecraft-Entwickler Markus Persson dagegen wohl nie
wieder sorgen. Er hat schätzungsweise über 20 Millionen Euro mit seinem
Spiel verdient. Doch im Luxus schwimmt er nicht. "Ich habe mir eine Wohnung
gekauft und bin ein paar Mal verreist", sagt der Entwickler. Fragt man, ob
nicht doch ein Sportwagen vor seiner Haustür steht, muss er lachen. "Ich
habe nicht mal einen Führerschein."
Zeit für Spritztouren hätte Persson sowieso nicht. Längst arbeitet er an
einem neuen Spiel. "Scrolls" heißt es, ein interaktives Kartenspiel. Die
Idee dazu hatte er bereits vor fünf Jahren, doch er hätte nie geglaubt, sie
tatsächlich umzusetzen zu können. Und wäre nie darauf gekommen, dass ihm
das Minecraft ermöglicht - weil Millionen von Menschen aus groben Klötzen
gigantische Welten bauen wollen.
6 Jun 2011
## AUTOREN
Robert Iwanetz
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