# taz.de -- Zehn Jahre MBR: Die Helfer gegen rechts | |
> Seit zehn Jahren ist die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus | |
> Vorkämpferin gegen Neonazis in Berlin. Mit Erfolg: Heute stellen sich | |
> selbst Bezirksbürgermeister den Rechten in den Weg. | |
Bild: Anti-Nazi-Demos, antifaschistische Mietklauseln, Zivilcourage - auch die … | |
Als Schöneweide vor kurzem zum Demokratiefest rief, kamen sie alle. Der | |
Bezirksverband der Gartenfreunde, die Hochschule für Technik und | |
Wirtschaft, die Musikschule, CDU und Linkspartei. "35 Stände und alle | |
hatten sich im Vorfeld etwas einfallen lassen", freut sich Kati Becker. Gut | |
1.000 Gäste besuchten am Ende das Fest am S-Bahnhof Schöneweide. | |
"Undenkbar", so Becker, sei diese Resonanz noch vor Jahren gewesen. | |
Die 31-Jährige - blonder Zopf, schwarze Pulloverjacke - ist Mitarbeiterin | |
des [1][Zentrums für Demokratie] in Schöneweide. Ein Backsteinbau mit | |
großem Konferenzraum, Büro und einer "Beratungsecke" mit blauem Sofa, | |
gleich gegenüber dem Bahnhof. Becker kennt auch das andere Schöneweide. Als | |
Ende 2010 das Demokratiezentrum eröffnet wird, zerschlagen Rechtsextreme | |
nachts alle Scheiben des Hauses. Berlins beliebteste Nazikneipe, der | |
"Henker", wirbt nur einige Meter weiter mit Bier namens "Odinstrunk". 2009 | |
verprügelten dortige Gäste einen Migranten, sodass dieser auf einem Auge | |
fast erblindete. Im Bezirk, Treptow-Köpenick, steht die NPD-Bundeszentrale. | |
Deren Bundeschef Udo Voigt sitzt mit zwei NPD-Kollegen im Bezirksparlament. | |
"30 bis 40 Prozent der in Berlin aktiven Neonazis leben in Schöneweide", | |
sagt Becker. Inzwischen aber erobere sich die Mehrheitsgesellschaft den | |
Stadtteil schrittweise zurück. Daran, und das weiß nicht nur Kati Becker zu | |
berichten, hat wesentlich die [2][Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus | |
(MBR)] mitgewirkt. | |
Gründerin und Gesicht der MBR ist Bianca Klose. Die 38-Jährige sitzt in | |
ihrem Büro in der Chausseestraße in Mitte, unweit der Großbaustelle für die | |
neue BND-Zentrale. Helle, karge Räume, reihenweise schwarze Aktenordner in | |
den Regalen. Fünf Mitarbeiter sitzen betriebsam schweigend vor ihren PCs. | |
Schöneweide, sagt Klose, sei eine Herausforderung. "Aber die Erfolge | |
überwiegen." | |
Klose ist tough. Durchdringende Stimme, bestimmte Sätze. Die blonden Haare | |
zum Zopf gebunden, Lederarmband, offenes kariertes Hemd überm weißen | |
Tanktop. Seit 2001 sind die Politologin und ihr achtköpfiges Team in Berlin | |
unterwegs, am Mittwoch feiern sie ihr zehnjähriges Jubiläum im Kreuzberger | |
Lido. Dass sich die Hauptstadt heute "bis weit in die bürgerliche Mitte" | |
aktiv gegen Rechtsextremismus und Rassismus stelle, sagt Berlins | |
Integrationsbeauftragter Günter Piening, das sei auch Verdienst der MBR. | |
In Schöneweide zeigt sich, wie. Seit 2002 ist die MBR hier mit zwei festen | |
Mitarbeitern aktiv. Wenn früher Neonazis durch den Bezirk marschierten, | |
stellten sich ihnen zumeist Gegendemonstranten von außerhalb entgegen. Und | |
waren danach wieder weg. | |
Die MBR blieb. Besuchte Jugendclubs, Stadträte, Kleingartenvereine. Klärte | |
über rechtsextreme Umtriebe auf, benannte lokale "Angsträume" für | |
Alternative, Ausländer, Schwule. Setzte sich ins Bezirksparlament und | |
protokollierte, wenn die NPD wieder ausfällig wurde. Sprach mit den | |
Vermietern des Nazitreffs "Spreehexe", bis dieser schloss. Verteilte | |
Checklisten für Anti-Nazi-Demos, Demokratiefeste und Zivilcourage. | |
"Hilfe zur Selbsthilfe" nennt Klose das. "Wir lösen das Problem nicht, aber | |
wir unterstützen diejenigen, die es lösen wollen." Die MBR hat dafür eine | |
klare Botschaft: Hingucken lohnt. "Weil am Ende eine lebendige | |
Zivilgesellschaft steht", so Klose. In der für Rechtsextreme kein Platz | |
sei. | |
Kati Becker sieht diesen Weg in Schöneweide bestätigt. Die Vernetzung der | |
verschiedensten Akteure im Bezirk, die "Professionalisierung der Aktiven", | |
das sei die größte Leistung der MBR. Heute sitzen im Bündnis für Demokratie | |
und Toleranz neben allen demokratischen Parteien auch die Volkssolidarität, | |
der Seglerclub und die Baptistengemeinde. "Selbst die CDU unterschreibt | |
inzwischen Antifa-Aufrufe gegen Rechtsextremismus", so Becker. Und rechte | |
Übergriffe habe es in Schöneweide im letzten Jahr nur noch einen einzigen | |
gegeben. "Schritt für Schritt wurde den Nazis der öffentliche Raum | |
genommen." | |
Nicht nur in Schöneweide. Wollen Rechtsextreme heute in Berlin in | |
öffentlichen Räumen tagen, sind sie - auf Initiative der MBR - in allen | |
Bezirken gezwungen, eine "antifaschistische Mietklausel" zu unterzeichnen. | |
Verfassungsfeindliche Äußerungen sind ihnen darin untersagt. Auch dass | |
Neonazis nicht mehr zu Podien eingeladen werden, weil sie nicht an Diskurs, | |
sondern an Propaganda im Sinne ihrer Wortergreifungsstrategie interessiert | |
sind, steht nicht mehr in Frage. | |
Im Lichtenberger Weitlingkiez, lange Zeit rechtsextremer Brennpunkt der | |
Stadt, lobt man heute lautstark das Engagement der MBR. Es gebe kaum ein | |
Thema, zu dem diese keine passende Handreichung parat habe, sagt | |
Bezirksbürgermeisterin Christina Emmrich (Linke). Beständig, kompetent, | |
verlässlich sei die "tolle Truppe". | |
Heute gibt es in Lichtenberg ein aktives Bündnis gegen rechts, über 100 | |
Demokratie-Projekte wurden in den letzten Jahren umgesetzt. Neonazis sind | |
im Weitlingkiez nur noch selten präsent. Als die Rechten 2008 durch | |
Lichtenberg marschieren wollten, setzte sich auch Emmrich zu den | |
Blockierern - und wurde von der Polizei abgeführt. "Vielleicht", sagt die | |
Bürgermeisterin lachend, "war auch dieser Mut ein bisschen der MBR | |
geschuldet." | |
Der Integrationsbeauftragte Günter Piening erinnert sich an die | |
"anfängliche Skepsis und den konservativen Gegenwind", als die MBR 2001 in | |
Berlin gegründet wurde. Vorausgegangen war ein von der Bundesregierung | |
ausgerufener "Aufstand der Anständigen" nach einer Reihe rechtsextremer | |
Übergriffe. Heute ist die MBR auch bei CDU, Polizei und Innensenator | |
gefragte Expertin. "Und das", betont Piening, "ohne je ihren Ansatz | |
verwässert zu haben." | |
Ein Erfolg nicht ohne Schattenseiten. Seit Jahren zählt Bianca Klose in der | |
rechtsextremen Szene zu den Feindbildern Nummer eins. Kloses Foto wird auf | |
Neonazi-Seiten veröffentlicht, ihr Name auf rechten Aufmärschen mit | |
Drohungen belegt. "Je weiter wir die Nazis zurückdrängen, desto direkter | |
zielen sie auf ihre politischen Gegner", räumt Klose ein. "Das zeigt aber | |
auch, dass sie ihre Räume bedroht sehen." | |
Widerstand erfährt die MBR neuerdings auch von ganz anderer Seite. Einer | |
"Extremismusklausel" der schwarz-gelben Bundesregierung für | |
Anti-rechts-Programme verweigerte Klose öffentlich die Unterschrift - wenig | |
später protestierte auch der Berliner Senat. In der Klausel sollen | |
Projektträger ihre Partner auf deren Verfassungstreue ausleuchten. "Wir | |
brauchen kein Klima des Misstrauens, sondern eine Unterstützung der | |
Engagierten vor Ort", kritisiert Klose. Denn Arbeit gebe es genug. Künftig | |
auch mit den in Berlin auftauchenden rechtspopulistischen Parteien. Mit | |
Rassismus, der bis in die Mitte der Gesellschaft und die etablierte Politik | |
reiche. "Ein zunehmend wichtigeres Handlungsfeld." | |
Auch Schöneweide wird Herausforderung bleiben. Weil im Kiez nachts immer | |
noch rechte Symbole gesprayt und Scheiben eingeschlagen werden. Weil sich | |
im "Henker" weiter Neonazis zu Schulungen und Saufabenden treffen. Oder | |
weil im September mit Sebastian Schmidtke Berlins umtriebigster Neonazi ins | |
Bezirksparlament einziehen will. | |
Bianca Klose und Kati Becker sind dennoch hoffnungsfroh. Hunderte | |
Protest-Postkarten werde man demnächst dem Vermieter des "Henker" | |
übergeben, erzählt Becker. Geschrieben von den Schöneweider Bürgern auf dem | |
Demokratiefest Ende Mai. Auch Unternehmer hätten sich gemeldet, die | |
anstelle des "Henker" in die Räume ziehen würden. Sofort. Sogar mit einer | |
höheren Miete. | |
6 Jun 2011 | |
## LINKS | |
[1] http://www.xn--zentrum-fr-demokratie-hic.de/ | |
[2] http://www.mbr-berlin.de/ | |
## AUTOREN | |
Konrad Litschko | |
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