# taz.de -- Weniger politische Gewalt: Schläger gehen gezielter vor | |
> 2010 wurden weniger Fälle politischer Gewalt in Berlin registriert - | |
> links wie rechts. Kenner der rechten Szene sind dennoch besorgt: Denn die | |
> Zahl schwerer Vorfälle steigt. | |
Bild: Drohen mehr, schlagen weniger: Neonazis in Berlin. | |
Berlin verzeichnet einen Rückgang politisch motivierter Gewalt. Sowohl | |
rechts- wie linksextremistisch motivierte Straftaten seien 2010 um ein | |
Viertel zurückgegangen, sagte Polizeipräsident Dieter Glietsch am Mittwoch. | |
Die Zahl politischer Gewalttaten habe sich gar halbiert. | |
Besonders deutlich sei der Rückgang der politisch motivierten | |
Brandstiftungen, so Glietsch. Habe es 2009 noch über 150 Fälle gegeben, | |
waren es 2010 weniger als 50. Der Rückgang sei den intensiven polizeilichen | |
Maßnahmen geschuldet, ist sich der Polizeichef sicher. Zuletzt hatte die | |
Polizei im September einen 27-jährigen Angehörigen der linken Szene wegen | |
einer mutmaßlichen Autobrandstiftung verhaftet - nach intensiver | |
Observation. Glietsch verwies auch auf die kontroversen Debatten in der | |
linken Szene über die öffentliche Vermittelbarkeit der Autobrände. Dies | |
könnte zu einem Umdenken geführt haben. | |
Genauere Zahlen zur politischen Gewalt will die Polizei erst im Frühjahr | |
veröffentlichen, wenn alle Fälle für 2010 vorliegen. Bereits 2009 zählte | |
die Polizei bei rechten Straftaten einen leichten Rückgang auf 1.271 | |
Delikte, darunter 65 Gewalttaten. Linke Straftaten hatten sich 2009 im | |
Vergleich zum Vorjahr indes auf 1.292 Taten verdoppelt. Ursache waren vor | |
allem der krawallgeladene 1. Mai, die autonomen "actionweeks" und die | |
Hochphase der Autobrände. Unter die 417 linken Gewaltdelikte fielen 161 | |
Autobrandstiftungen. | |
Darüber wird in autonomen Kreisen diskutiert. Einerseits, so heißt es in | |
der Szenezeitschrift interim, hätten Aktionen gegen Gentrifizierung | |
überhaupt erst "Mainstream-Debatten" erzwungen. Andererseits seien darauf | |
eine "Kriminalisierungswelle und Entsolidarisierung" gefolgt. Könne aber | |
eine "militante Perspektive Erfolg haben ohne öffentliche Verankerung"? | |
Tatsächlich ebbte die autonome Militanz 2010 ab; auch der 1. Mai war | |
friedlich wie lange nicht. Innensenator Ehrhart Körting (SPD) verwies | |
dennoch auf eine Bereitschaft zu schweren Taten, wie dem Zünden von | |
Pyrotechnik auf Demonstrationen oder einen Anschlag auf die S-Bahn vor dem | |
Castortransport Anfang November. | |
Bei der rechtsextremen Gewalt sprach Verfassungsschutzsprecherin Isabelle | |
Kalbitzer von aufgebauten Drohszenarien und deutlichem Verbalradikalismus | |
in diesem Jahr - die aber seltener in Gewalttaten gemündet seien. Die | |
Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus (MBR) wertete die gesunkene rechte | |
Gewalt auch als Erfolg zivildemokratischer Gegenwehr. Gleichzeitig gebe es | |
aber eine neue Qualität rechter Angriffe auf politische Gegner, so | |
MBR-Geschäftsführerin Bianca Klose. Diese erfolgten auch in Kiezen, die für | |
Neonazis bisher "tabu" gewesen seien. Wiederholt wurden 2010 Parteibüros | |
und linke Vereine in Neukölln, Wedding und Kreuzberg angegriffen und mit | |
rechten Symbolen beschmiert. Ende Oktober erfolgte ein Brandanschlag auf | |
den Infoladen m99. "Dabei wurde auch der Tod von Menschen in Kauf | |
genommen", so Klose. Diese neue Radikalisierung sei besorgniserregend. | |
Auch die Rhetorik verschärft sich: Bei einem Spontanaufmarsch Anfang | |
Dezember im Stadtteil Wedding forderten rund 50 Neonazis einen | |
"Rassenkampf". Michael Weiß vom Antifaschistischen Pressearchiv verweist | |
auf die hohe Gewaltbereitschaft der Autonomen Nationalisten. Statt | |
besoffener Spontantaten würde die Szene nächtliche Anschläge inzwischen | |
langfristig und gezielt planen. | |
29 Dec 2010 | |
## AUTOREN | |
Konrad Litschko | |
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