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# taz.de -- Kriegsverbrecherprozess in Kambodscha: Die Wut ist ihr geblieben
> Sou Sotheavy wurde zwangsverheiratet, ins Gefängnis geworfen, mehrfach
> vergewaltigt. Heute ist sie Nebenklägerin im zweiten
> Kriegsverbrecherprozess - falls es dazu kommt.
Bild: Hinterlassenschaft einer Schreckensherrschaft: Das Museum über die Gräu…
PHNOM PENH taz | Als Sou Sotheavy heiraten musste, war sie noch ein Mann.
In ihrer Ehe plagten sie Scham, Verunsicherung und Wut - und die Wut ist
bis heute geblieben. In ihr 70-Jähriges Leben passt eine Kindheit hinein,
die mit 14 Jahren endete. Es passt eine Zwischenstation in einem
buddhistischen Tempel hinein und anschließend ein Leben als Prostituierte
und - trotz allem - ein Realschulabschluss. Es passen in ein solches Leben
eine Ehe, eine 1977 von den Roten Khmer erzwungene Heirat mit einer
Fremden. Und ein Kind gibt es in diesem Leben.
Sou Sotheavy weiß nicht, wie es den beiden heute geht, ob sie noch leben
und an sie denken. Sie hat sich 1979 von ihrer Frau getrennt und nie wieder
etwas von beiden gehört. Und obwohl Sou Sotheavy das Regime der Roten Khmer
überlebte, sie vergewaltigt wurde, ihre Identität leugnen und dreimal ins
Gefängnis musste - für die 70-Jährige ist ihr Leben nicht zerstört. Im
Gegenteil: gerade diese Zeit der Gewalt und Angst haben ihr Kraft gegeben.
Sou Sotheavy ist Nebenklägerin im "Fall 2" gegen vier Angeklagte der Roten
Khmer, sie ist Opfer einer Verbrechenskategorie geworden, die erst durch
die Berliner Menschenrechtsanwältin Silke Studzinsky an die Öffentlichkeit
gekommen ist: "Gender Based Crimes" (GBC) oder Verbrechen aufgrund der
Geschlechtszugehörigkeit. Ihr wurden unter den Roten Khmer ihre langen
Haare abrasiert, sie durfte keine Kleider mehr tragen und wegen ihrer
Transsexualität landete sie dreimal im Gefängnis und in einem
Umerziehungslager. Dort wurde sie von den Wärtern mehrfach vergewaltigt.
## Alleine durchgeschlagen
Sou Sotheavy sitzt auf der Terrasse in einem Restaurant in der
kambodschanischen Hauptstadt Phnom Penh und erzählt von diesen Tagen. Die
Frau mit den schwarzen Haaren und dem Zopf trägt einen roten Anzug und ihre
Beine wirken darin so dünn, als könne man mit zwei Händen ihre Oberschenkel
umfassen. Ihre rote Handtasche steht vor ihr auf dem Tisch, mit geradem
Rücken hat sie ihr rosa glänzendes Damenrad immer im Blick.
Im Phnom Penh der 60 Jahre arbeitete sie als Nachtclubsängerin und
Prostituierte, schlug sich ganz alleine durch. Ob ihre Eltern und 15
Geschwister ihre Transsexualität jemals akzeptierten, weiß sie nicht. Denn
sie alle wurden während der Terrorjahre von 1975 bis 1979 umgebracht oder
starben an Hunger und Erschöpfung. "Das Töten begann am ersten Tag der
Roten Khmer in Phnom Penh", erinnert sich Sou Sotheavy.
Etwa ein Viertel der Bevölkerung des südostasiatischen Landes wurde damals
ermordet. Bisher wurde nur eine Person zur Rechenschaft gezogen. Kaing Guek
Eav, besser bekannt als Duch, wurde im vergangenen Jahr zu 35 Jahren Haft
verurteilt. Der Hauptverantwortliche, Diktator Pol Pot, starb 1998, ohne je
von der Justiz zur Verantwortung gezogen worden zu sein.
Demnächst sollen "Bruder Nummer 2", der Chefideologe der Roten Khmer Nuan
Chea, der damalige Staatschef Khieu Samphan, Außenminister Ieng Sary
("Bruder Nummer 3") und dessen Frau, Sozialministerin Ieng Thirith, vor dem
internationalem Tribunal stehen, das nach jahrelangem Tauziehen zwischen
den Vereinten Nationen und Kambodschas Regierung 2003 seine Arbeit aufnahm.
Alle vier sind um die 80 Jahre alt und bedienen sich des üblichen
weltweiten Vokabulars, als gebe es eine Sprache ertappter Völkermörder.
Nichts davon gewusst, nie davon gehört, Prinzip der Arbeitsteilung, nur
Befehle ausgeführt - Worte, die sie bei jeder Anhörung wiederholen.
## Anwälte zögern Prozessbeginn hinaus
Eigentlich sollte der zweite Prozess nun im Juli oder Juni beginnen. Doch
momentan untersucht ein Gutachter, ob den vier Angeklagten ein Verfahren
noch zumutbar ist. "Ob das zweite Verfahren überhaupt stattfinden wird, ist
absolut ungewiss", sagt Solomon Kane, Autor des Standardwerks "Dictionnaire
des khmers rouges" und Chefredakteur des französischen Asienmagazins Asies.
"Aber wird der Prozess wirklich nur wegen juristischer Formalitäten
aufgeschoben", schiebt er lächelnd eine Frage hinterher, "oder sind es
politische Motive?"
Es wird beides sein. Politische Beobachter kritisieren, dass die Anwälte
der Angeklagten den Beginn hinauszuzögern. Und auch dem heutigen
Premierminister Samdech Hun Sen, der einst selbst bei den Roten Khmer war,
sei nicht an der Aufklärung gelegen.
Studzinsky, die hunderte Nebenkläger wie Sou Sotheavy vor dem Tribunal in
Phnom Penh vertritt, hat die Fälle von Zwangsehen bis Vergewaltigung beim
Studium von Akten, Dokumenten und historischen Unterlagen entdeckt und als
Straftatbestand wieder aufgerollt. Im ersten Prozess wurde sexuelle Gewalt
als Straftatbestand nicht zugelassen. Die Haltung der Juristen sei am
Anfang sehr zurückhaltend bis ignorant gewesen, erzählt Studzinsky. Kein
Wunder. Bei dem Gericht arbeiten fast nur Männer, die sich für dieses Thema
schlicht zu wenig interessieren würden. "Es gibt keine weiblichen
Ermittlerinnen beim Gericht", so Studzinsky. Entsprechende Anträge,
weibliche gender-sensitiv ausgebildete Ermittlerinnen und Dolmetscherinnen
zu beschäftigen, seien bisher ignoriert worden.
Mit der Zulassung von Nebenklägern wie Sou Sotheavy hat das aus
internationalen und kambodschanischen Richtern und Staatsanwälten
zusammengesetzte Tribunal in der Geschichte internationaler
Strafgerichtshöfe juristisches Neuland betreten. Weder in den Nürnberger
Kriegsverbrecherprozessen gegen die Nazis noch in den Tribunalen in Ruanda
oder Sierra Leone hatten die Opfer von Völkermord, Kriegsverbrechen und
Verbrechen gegen die Menschlichkeit die Möglichkeit, als gleichberechtigte
Partei im Prozess aufzutreten und so die Angeklagten zu zwingen, sich ihren
Opfern und deren Angehörigen direkt zu stellen.
## Dokumente fehlen
Sou Sotheavy ist kein Einzelschicksal. Zu Hunderttausenden wurden die
Kambodschaner von den Khmer Rouge zwangsverheiratet. Die Zahlen beruhen auf
Schätzungen, denn Statistiken aus dieser Zeit fehlen ebenso wie der
"Heiratsbefehl" der Rote-Khmer-Führung. Aber Studzinsky ist sich sicher:
"Ohne Anordnung von oben hätten diese systematisch erzwungenen
Massenhochzeiten nicht stattfinden können."
Wegen fehlender Dokumente ist auch unklar, welchen Zweck die Roten Khmer
mit den Zwangsehen verfolgten. Vermutlich habe man damit das Ziel der
Schaffung des "neuen, ideologisch zuverlässigen Menschen" verfolgt,
vermutet die Juristin. Einer mehrstündigen Indoktrination folgte die
Eheschließung. Nach der Hochzeit musste die Ehe vollzogen werden und
Mitglieder der Roten Khmer schauten zu. Wer sich weigerte, Sex zu haben,
und sich der Verheiratung widersetzte, dem drohten Gefängnis oder
Umerziehungslager. Beides war damals gleichbedeutend mit dem Tod. Von den
Zwangsehen der neuen Paare erhoffte man sich neue Arbeitskraft und neue
revolutionäre Kinder. "Wehren konnte ich mich nicht. Sie hatten Gewehre und
Pistolen", sagt Sou Sotheavy.
Während sie redet, muss Sou Sotheavy weinen. Doch sie will sich nicht
unterkriegen lassen. "Es ist für mich schockierend zu sehen, dass wir nach
30 Jahren Prostituierte erneut inhaftieren und dann von Rehabilitation oder
Umerziehung sprechen", beklagte Sou Southevy. "Das alles erinnert mich sehr
an die Roten Khmer und ihr Vorgehen bei sogenannten moralischen
Verbrechen." Sie gründete eine Aidshilfe in Kambodscha, setzt sich mit
anderen Mitstreitern für sexuelle Minderheiten ein. "In anderen Ländern
werden Transsexuelle mehr respektiert als bei uns. Deshalb kann mein Fall
für die Rechte von Transsexuellen und Sexworkern Aufmerksamkeit schaffen",
sagt sie.
Die 70-Jährige hat sich einen gewissen Idealismus bewahrt, sich gegen die
Resignation gestemmt, ihre Kraft nicht gegen die Hilflosigkeit
eingetauscht. Drei Jahre, acht Monate und 20 Tage dauerte die Herrschaft
der Roten Khmer. Sie haben sich auf ewig in ihre Seele gegraben.
7 Jun 2011
## AUTOREN
Cigdem Akyol
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