# taz.de -- Nach Tsunami und Atomkatastrophe: Japan teilt Strom neu auf | |
> Japan ist in der Rezession. Tepco kann nur etwa 55 Gigawatt Strom | |
> erzeugen, allein Tokio braucht 60. Die Strom-Engpässe werden mit | |
> veränderten Arbeitszeiten umgangen. | |
Bild: Abwärts: Anzeige von Aktienkursen in Tokio. | |
TOKIO taz | Vor den Ventilatoren-Regalen der Elektronikläden im Großraum | |
Tokio herrscht seit Wochen Gedränge. Die Umsätze sind 15-mal so groß wie im | |
Vorjahr. | |
"Bei vielen Modellen müssen die Kunden bis zu sechs Wochen auf die | |
Lieferung warten", erklärt ein Verkäufer. Hinter dem Run steht das - | |
freiwillige - Stromsparziel von 15 Prozent für jeden Haushalt, das die | |
Tokioter Stadtverwaltung und der Energiekonzern Tepco ausgegeben haben. | |
Zudem hat Japans Regierung die energieintensiven Industrien zu einer | |
Verbrauchsminderung von 15 Prozent aufgerufen. Während der schwülen | |
Sommermonate sollen so Produktionsstörungen durch Stromsperren vermieden | |
werden. Seit Fukushima kann Tepco nur etwa 55 Gigawatt Strom erzeugen. | |
Allein die Hauptstadt benötigt bis zu 60. Ein Lüfter verbraucht nur halb so | |
viel Strom wie eine Klimaanlage. | |
## Strommangel ist schlecht für die Wirtschaft | |
Schon nach dem Desaster vom 11. März hatte Strommangel das Wirtschaftsleben | |
empfindlich gestört. Der Ausfall von Zulieferbetrieben in der | |
Katastrophenregion hatte Bänder lahmgelegt und Konzerne zur Kurzarbeit | |
gezwungen. Mittlerweile aber wurde die Produktion wieder hochgefahren. Der | |
Autobauer Toyota etwa will noch diesen Monat wieder 90 Prozent produzieren. | |
Und Renesas Electronics, der wichtigste Lieferant von Steuerchips für die | |
Autobranche, hat gestern seine beschädigte Halbleiterfabrik in Ibaraki | |
wieder in Betrieb genommen. | |
Angesichts dieser Entwicklung gehen die meisten Ökonomen davon aus, dass | |
Japan seine katastrophenbedingte Rezession ab dem Herbst überwindet. Im | |
ersten Halbjahr 2011 dürfte die Wirtschaftsleistung Japans zwar schrumpfen. | |
Doch staatliche Ausgaben für den Wiederaufbau und höhere | |
Firmeninvestitionen sollen spätestens ab Oktober die Konjunktur kräftig | |
ankurbeln. | |
Bislang gibt die Regierung 34 Milliarden Euro für die ersten | |
Aufräumarbeiten und die Nothilfe für die Erdbebenregion aus. Den zweiten | |
Nachtragshaushalt für 110 Milliarden Euro will das Kabinett voraussichtlich | |
im August auf den Weg bringen. "Die Streit über den Rücktrittszeitpunkt des | |
Premierministers sowie eine langsame Konsensbildung in den | |
Katastrophengebieten könnten den V-förmigen Aufschwung noch verhindern", | |
warnt Chefökonom Takahide Kikuchi vom Brokerhaus Nomura. | |
## Neue Arbeitszeiten, um Strom zu sparen | |
Zumindest der Strommangel dürfte der Wirtschaft nicht mehr richtig | |
gefährlich werden. Die Anstrengungen auf diesem Gebiet sind enorm. | |
Belegschaften müssen sich auf neue Arbeitszeiten einstellen. Die | |
Autobranche etwa verschiebt ihre Produktion zwischen Juli und September von | |
Donnerstag und Freitag auf das Wochenende, wo weniger Strom gebraucht wird. | |
Auch Behörden haben eine Sommerarbeitszeit eingeführt. Die erste Schicht | |
der 9.500 Angestellten im Tokioter Rathaus beginnt seit Anfang Juni eine | |
Stunde früher, sodass sie eher nach Hause gehen. Der Einzelhandel ersetzt | |
Glühlampen durch die sparsamere LED-Beleuchtung. In den Fabriken von | |
Panasonic wird der Stromverbrauch bald vom Computer gemanagt. Es gilt sogar | |
eine neue Kleiderordnung namens "Super Cool Biz". Bislang durften | |
Angestellte im Sommer nur auf die Krawatte verzichten. Seit Anfang Juni | |
dürfen sie in Polo- oder Hawaii-Hemd und Sandalen zur Arbeit kommen. | |
8 Jun 2011 | |
## AUTOREN | |
Martin Fritz | |
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