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# taz.de -- Debatte Griechenland: Die Rache der Empörten
> In Griechenland formiert sich Protest gegen das Spardiktat. Denn um die
> Staatsschuld zu begleichen, wird die Demokratie ausgehebelt.
Bild: Kochtopf schlagen: ein globalisiertes Protestmittel. Es kam auch am Pfing…
Am Mittelmeer weht ein neuer Wind. In Tunis und Kairo hat er Diktatoren
gestürzt - in Madrid und Athen rüttelt er an der parlamentarischen
Demokratie in ihrer jetzigen Form. Die griechischen Aganaktisméni
demonstrieren dagegen, dass ihr Staat nur die Interessen der Vermögenden
bedient und die Spaltung zwischen Arm und Reich forciert. Das ist der
Ausgangspunkt für den Zorn der "Empörten".
Seit über zwei Wochen kommen jeden Abend vor dem griechischen Parlament und
an anderen zentralen Orten Griechenlands riesige Menschenmassen friedlich
zusammen. Auf dem Platz der Verfassung ("Syntagma") in Athen finden
Volksversammlungen statt, auf denen das Rederecht ausgelost wird und die
live im Internet übertragen werden. Bemerkenswert wenig wird davon in
Deutschland berichtet.
Wenn in Deutschland darüber diskutiert wird, ob "die" Griechen denn schon
genug eingespart hätten, um sich die nächste Tranche von Hilfskrediten zu
verdienen, wird die Gerechtigkeitsfrage ausgeklammert. Die aber stellen die
Menschen auf dem Syntagma-Platz. Geht in einer Demokratie nicht alle Macht
vom Volk aus? Nun, der Souverän meldet sich gerade zurück. Seine Botschaft:
"Wir wollen nicht, dass unsere Zukunft über unsere Köpfe hinweg entschieden
wird."
Regelmäßig reisen die Vertreter der Troika von EU, EZB und IWF nach Athen
und sagen dem Premier Giorgos Papandreou, was er zu tun hat. Ergebnis: Der
Staat hat im Innern längst den Zahlungsausfall erklärt. Es geht nur noch
darum, die Schuldzinsen zu begleichen. Die Demokratie zur Bedienung von
Zinsen auszuhebeln ist jedoch verfassungswidrig, sagen griechische
Sozialverbände, die gegen die Kreditvereinbarungen vor dem Obersten
Verwaltungsgericht geklagt haben. Nach über einem halben Jahr steht eine
Entscheidung noch aus.
## Teufelskreis der "Hell Debits"
Ist das Vorgehen der Regierung Papandreou und der internationalen
Institutionen überhaupt legitim? Wir wissen spätestens seit Ausbruch der
Weltfinanzkrise 2008, dass wir eine globale Finanzblase haben. Deren
Ursachen liegen in der virtuellen Vermehrung von Geld, das
realwirtschaftlich nicht existiert. Und in der Anhäufung von Vermögen bei
einem kleinen Teil der Weltbevölkerung. Es gibt Kapital, das weder
verbraucht noch investiert werden kann und das dennoch profitable
Anlagemöglichkeiten sucht. Es ist egal, ob dies zahlungsunfähige
US-Hausbesitzer, irische Banken oder der griechische Staat sind.
Die Bevölkerung in Griechenland wird also gezwungen, den Gürtel immer enger
zu schnallen, damit Zahlen im Computer von einem Konto aufs andere wandern
können - für Geldwerte, die niemals bei realen Menschen zur Befriedigung
realer Bedürfnisse ankommen. Hohe Schulden hatte der griechische Staat
schon in den 90er Jahren. Explodiert sind sie aber erst nach der Einführung
des Euro durch den Teufelskreis der "Hell Debits": Die staatlich
kontrollierten griechischen Banken wurden zu willigen Abnehmern von immer
mehr toxischen Staatsanleihen; Finanzakteure aus aller Welt reihten sich
gern ein.
## "Die verkaufen unser Land"
Die Weltfinanzkrise hat den griechischen Staat noch einmal 28 Milliarden
Euro gekostet. Die "empörten Bürger" in Griechenland haben das Gefühl, dass
sie zum Erhalt eines undurchschaubaren Finanz- und Schuldensystems immense
Wohlstandsverluste hinnehmen müssen. "Die verkaufen unser Land", lautet der
gängige Slogan.
Das Establishment in Hellas distanziert sich geradeheraus von den
"Empörten": Das seien doch alles Leute, die zuvor von der Vetternwirtschaft
versorgt wurden und jetzt, wo es nichts mehr zu verteilen gebe, sauer
würden. Nun, das stimmt sogar zum Teil. Vor allem aber sind die Empörten
viele junge Leute, die sich darauf geeinigt haben, politische Parteien von
den Versammlungen auszuschließen. Damit lehnen sie die politischen Parteien
als Grundpfeiler der griechischen Vetternwirtschaft und der Selbstbedienung
beim Staat ab.
Diese Leute schreien nicht nur "Diebe, Diebe!" in Richtung der
Parlamentarier. Sie skandieren nicht bloß, dass sie die Schulden nicht
bezahlen wollen, weil sie diese nicht gemacht hätten. Sie kündigen im
Grunde auch den in Griechenland herrschenden Klassenkompromiss auf.
Der öffentliche Dienst ist der einzig nennenswerte Sozialstaat, den sich
Griechenland geleistet hat und der zugleich die Gesellschaft spaltet. Wer
in Hellas arbeitslos wird, bekommt nach einem Jahr gar nichts. Für den
deutschen Hartz-IV-Satz gehen viele dort Vollzeit arbeiten. Die Sparpakete
der Troika sind nun den öffentlich Bediensteten - den "Versorgten", wie es
in Griechenland heißt - ans Leder gegangen, ohne den anderen eine Hoffnung
anzubieten und die Reichen nennenswert zur Kasse zu bitten: Gemeint sind
damit Banken, Versicherungen, vermögende Anleger und die griechischen
Millionäre, die ihr Geld in der Schweiz oder auf den Kaimaninseln bunkern.
## Papandreous Panikreaktion
Aus Angst vor einer Aussperrung durch die "Empörten" hat die griechische
Regierung den Termin verschoben, zu dem das neue Sparpaket beschlossen
werden soll. Weil Papandreou mit der parlamentarischen Opposition keine
Einigung zustande bringt, brachte er sogar zwischenzeitlich eine
Volksabstimmung ins Spiel.
Die Bewegung auf dem Syntagma-Platz geht unterdessen weiter. Auf den
allabendlichen Versammlungen der besonders Engagierten wird mit viel Verve
"direkte Demokratie" gefordert. Längst kursieren Vorschläge für eine neue
Verfassung Griechenlands, die auf dem Platz zur Abstimmung anstehen: mit
Direktwahl der Abgeordneten, der Abschaffung des Parteizwangs, einem Verbot
für Parlamentarier, Beziehungen zu Unternehmen zu unterhalten, der
Lockerung der Amnestie für Politiker bis hin zur Abstimmung von Gesetzen
durch das Volk via Internet und SMS.
Vor einem Jahr hätten zum Tag des Generalstreiks wütende Massen beinahe das
griechische Parlament gestürmt. Am Rande der Demonstration gab es drei
Tote. Konzepte waren damals nicht zu erkennen. Diesen Vorwurf kann man den
"Empörten" von heute nicht mehr machen - wir sollten sie ernst nehmen.
13 Jun 2011
## AUTOREN
Miltiadis Oulios
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