# taz.de -- Antirassismus-Demo in Berlin: Protest mit Pünktchen | |
> Im Rahmen der Antirassistischen Aktionstage zogen Flüchtlinge durch die | |
> Hauptstadt - gegen Residenzpflicht und Diskriminierung. Und gegen die | |
> Mohrenstraße. | |
Bild: Klare Botschaft: Demonstrant gegen Rassismus. | |
Ein Demonstrant fällt auf die Straße, direkt vor dem Bundesministerium für | |
Soziales in der Wilhelmstraße. Die Lautsprecher auf dem Demo-Bus | |
verstummen. Um den linken Arm des jungen Mannes ist eine Binde geschlungen. | |
In seiner rechten Faust steckt ein Flugblatt. "Abschiebung ist Mord" steht | |
darauf. Bevor ihm jemand zu Hilfe eilen kann, steht der Mann wieder auf. | |
Geht es ihm gut? Er lächelt. Dies ist eine Demonstration. Der Sturz war nur | |
eine Geste. | |
Die rund 500 Demonstranten fordern mehr Rechte für Flüchtlinge in | |
Deutschland, mit Parolen, Transparenten und Straßeninszenierungen. | |
Gestartet ist der Zug am Samstagmittag vor dem Brandenburger Tor; neben | |
vielen Flüchtlingen nehmen auch Vertreter der Piratenpartei und von U.R.I. | |
(United Against Racism and Isolation) teil. Organisiert hat die | |
Demonstration die Kampagne "abolish!" im Rahmen der Antirassistischen | |
Aktionstage. | |
Die Flüchtlinge wollen sich wehren: gegen die Essensmarken, gegen das | |
Arbeits- und Reiseverbot, gegen jegliche Bevormundung. Vor zwei Wochen | |
begann in einer Unterkunft in Hennigsdorf ein Gutscheinprotest: Flüchtlinge | |
boykottierten die monatliche Ausgabe der Wertmarken in Höhe von 180 Euro | |
und werden seither mit Spenden versorgt. Der Einkauf mit Wertmarken birgt | |
praktische Probleme: Rückgeld wird nicht ausgezahlt, die Auswahl der | |
Geschäfte ist begrenzt. Mit Marken an der Kasse bezahlen zu müssen, das | |
empfinden die Flüchtlinge, wie sie sagen, als stigmatisierend und | |
beschämend. Für den Demoteilnehmer Gaston Ebna sind sie "ein lebender | |
Beweis des Apartheidsystems". Am vergangenen Donnerstag sprachen die | |
Flüchtlinge mit dem zuständigen Sozialdezernenten - und wurden abgewiesen. | |
Mit seiner tiefen Stimme übertönt Chamberlin Wandji vom Afrikarat | |
Brandenburg die Parolen des Demonstranten. Es sei absehbar gewesen, dass | |
der Staat mit den Flüchtlingen nicht ernsthaft verhandeln werde, sagt er. | |
Die deutschen Unterstützer des Protests, die momentan die Essensversorgung | |
im Heim organisieren, hätten aber auf dem Gespräch bestanden. Es gab | |
Streit, am Ende setzten sich die Unterstützer durch. | |
## Gegen Bevormundung | |
Wandji findet, die Flüchtlinge müssten sich auch gegen Bevormundung durch | |
Unterstützer wehren: "Wir müssen den Protest selber führen." Das sei | |
schwer, wenn man die Landessprache nicht beherrsche. Aber schuld daran sei | |
die Ausgrenzung durch die Behörden. "Da müssen die eben dem schlechten | |
Deutsch zuhören." Der 33-Jährige kam vor rund zehn Jahren als Flüchtling | |
aus Kamerun nach Brandenburg. Jetzt lebt er, mit einer Deutschen | |
verheiratet, in Berlin. Seinem Asylantrag wurde nie stattgegeben. Darum | |
fühle er sich immer noch wie ein Flüchtling in Deutschland, sagt Wandji. | |
Der Demo-Zug hält wieder, an einem Straßenschild, das von Unbekannten | |
ergänzt wurde: Pünktchen machen die Mohren- zur "Möhrenstraße". Eine Kette | |
aus Karotten wird über das Schild gehängt, aus den Lautsprechern tönt: "Wir | |
fordern die Umbenennung dieser Straße!" Ein Mädchen mit schiefem Zopf und | |
Zirkusschminke malt mit Kreide Sprüche auf den Asphalt: "Sei Berlin. Sei | |
postkoloniale Kontinuität." Die Straße wurde im 18. Jahrhundert nach | |
afrikanischen Sklaven des preußischen Königs Friedrich Wilhelm I. benannt. | |
## Dussmanns goldene Nase | |
Die Fassade des Dussmann-Kulturkaufhauses glänzt makellos in der | |
Mittagssonne. Bis die Demonstranten mit ihrer Straßenkreide kommen. | |
"Dussmann hat sich an den Flüchtlingen eine goldene Nase verdient", ruft | |
eine Frau. Das Unternehmen verkaufe nicht nur Bücher und CDs, es habe auch | |
jahrelang Fertigessen für Flüchtlinge bereitgestellt, ohne das jemals | |
zuzugeben. | |
Ein Ehepaar am Straßenrand wird auf die Demonstranten aufmerksam. Parolen | |
wie "Gegen Rechtspopulismus und Sozialchauvinismus" prasseln an ihnen | |
vorbei. Der Mann fühlt sich angegriffen: "Wir Deutschen sind überhaupt | |
nicht ausländerfeindlich", sagt er. Auch seine Frau hält den Aufstand für | |
übertrieben. Residenzpflicht? Kontrolle sei wichtig, man müsse sich doch um | |
die Leute kümmern. Und es sei doch gut, wenn man am Anfang gesagt bekomme, | |
wo man wohnen soll, schließlich kenne man sich als Fremder nicht aus. Im | |
weiteren Verlauf der Demonstration gibt es weitere Verbalattacken und viel | |
Kopfschütteln seitens der Passanten. | |
Der Großteil der demonstrierenden Flüchtlinge stammt aus afrikanischen | |
Ländern, aber auch einige andere sind dabei. Ein Afghane erzählt, er sei | |
vor zwei Monaten nach Deutschland gekommen. Er habe einen | |
Universitätsabschluss und schon mehrere Jahre gearbeitet. Dass er in | |
Deutschland als Flüchtling nicht arbeiten dürfe, findet er unverständlich, | |
deswegen ist er gekommen. Die Flüchtlingskonferenz, die ebenfalls im Rahmen | |
der Aktionstage am Freitag stattfand, habe ihn bestärkt, sagt er. Es helfe, | |
Erfahrungen zu teilen. Er wolle dem Beispiel seiner rebellischen | |
Leidensgenossen in Hennigsdorf folgen. | |
Offenbar gibt es noch mehr Themen, die Protest hervorrufen. Immer wieder | |
erklingen Parolen wie "Polizei abschaffen!" oder "Gutscheine für die | |
Polizei!". Die Rufe passen ins Bild vom Linksanarchisten: dem Staat | |
zutiefst abgeneigt und der Nation erst recht. Aber die Polizei lässt sich | |
die Provokationen gefallen. Nur einmal am Schluss stellt sie sich quer, als | |
der Zug am Potsdamer Platz von der Route abweichen will. Während verhandelt | |
wird, steht der Zug still. Der junge Mann mit der Armschlinge liegt wieder | |
auf dem Boden. Diesmal, um sich mit seinen Freunden zu entspannen. Sie | |
singen und jubeln. | |
13 Jun 2011 | |
## AUTOREN | |
Dena Kelishadi | |
## TAGS | |
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Afrika | |
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