# taz.de -- Italien nach den Bürgerentscheiden: Glücklich, aber gleich geblie… | |
> Die Italiener haben in einem Referendum gegen Atomkraft und Berlusconi | |
> gestimmt. Organisiert wurde der Widerstand online. Ist Rom das neue | |
> Madrid? | |
Bild: Groß war der Rausch nach dem Referendum in Italien. Folgt bald der Kater? | |
Italien schreit vor Glück. Es flippt aus, nachdem man bei den Referenden | |
vom 12./13. Juni nicht nur das notwendige Quorum erreichte, sondern auch | |
überwältigende Siege eingefahren wurden. "Jetzt beginnt der demokratische | |
Frühling", heißt es im Blog von Andrea Valdambrini, London-Korrespondent | |
der Berlusconi-kritischen und vor allem bei jungen Lesern beliebten | |
Tageszeitung Il Fatto Quotidiano. "Schon posten Freunde auf Facebook, dass | |
eine Rückkehr nach Italien keine Wahnsinnsidee mehr sein könnte." Und im | |
betulichen Corriere della sera liest man von einer Niederlage des | |
Fernsehens gegen das Internet. | |
In dieser Analyse sind sich alle Kommentatoren der großen Zeitungen einig. | |
Soziale Netzwerke, Twitter, Facebook - sie stehen am Anfang der großen | |
Mobilisierung, die Italien endlich Anschluss finden lassen soll an die neue | |
Demokratiebewegung vom Maghreb bis Madrid. Aber was hat sich wirklich | |
geändert in diesem Nachreferendumsitalien mit seinen 19 Millionen | |
Facebook-Nutzern? | |
Die Italiener, heißt es, saugen alles auf, was gerade in Mode ist. Und | |
tatsächlich steht das Land, was die tägliche Nutzungszeit von Facebook | |
angeht, an erster Stelle in Europa, an zweiter weltweit - nur die | |
Brasilianer verbringen noch mehr Zeit beim Vernetzen. Facebook war der | |
Nährboden für Bewegungen wie den "No Berlusconi Day", die Italiener auf der | |
ganzen Welt zusammenbrachte, um gegen die Regierung zu protestieren. Auch | |
der Erfolg der "Fünf-Sterne-Bewegung" des Komikers Beppe Grillo wäre ohne | |
Facebook nicht denkbar, genauso wenig wie der Sieg des | |
Mitte-links-Kandidaten Giuliano Pisapia bei der Mailänder | |
Bürgermeisterwahl. | |
## Das Netz als perfekter Resonanzkörper | |
Und doch scheint es verfrüht, von den Entscheidungen in Sachfragen gleich | |
auf ein neues Italien zu schließen. Bei den vier Referenden ging es um die | |
Privatisierung von kommunalen Dienstleistungen und der Wasserversorgung, um | |
den Wiedereinstieg in die Atomkraft und zuletzt um das Recht von Ministern, | |
sich unter Hinweis auf ihre Amtspflichten dem Erscheinen vor Gericht zu | |
entziehen - Berlusconi war hier besonders interessiert. Bei den beiden | |
ersten Fragen warb auch die mit dem "Cavaliere" verbündete Lega Nord für | |
ein "Ja"; bei den anderen beiden trat Facebook auf den Plan: Alles lief in | |
der Diskussion auf die unmittelbar Berlusconi betreffenden Angelegenheiten | |
hinaus. Das Netz wurde zum perfekten Resonanzkörper für die Kampagne ad | |
personam. | |
Exemplarisch ist hier die Sache mit dem Thema Atom. Obwohl schon seit | |
Dezember 2010 auf der Tagesordnung, wurde es von den Medien weitgehend | |
ignoriert und bekam auch im Netz wenig Aufmerksamkeit - bis zur Katastrophe | |
von Fukushima am 11. März 2011. Das italienische Kabinett beschloss sofort | |
ein 12-monatiges Moratorium vom Ausstieg aus dem Ausstieg und wollte im | |
Gegenzug den Volksentscheid ausfallen lassen, denn, wie Berlusconi gewiss | |
richtig erkannte: "Wenn wir heute das Referendum abgehalten hätten, dann | |
müssten wir in Italien noch sehr viele Jahre auf die Atomkraft warten." | |
## Eine knappe Mehrheit ist müde | |
Es war diese allzu flapsig-ehrliche Bemerkung, die den Protest im Web | |
hochkochen ließ. Plötzlich ging es gar nicht mehr so sehr um die Frage: | |
Atomkraft ja oder nein. Es ging darum, Berlusconis Empfehlung, gar nicht | |
erst zur Abstimmung zu gehen und damit die Sache am erforderlichen Quorum | |
scheitern zu lassen, etwas entgegenzusetzen. Dafür, dass Inhalte nur noch | |
eine untergeordnete Rolle spielten, spricht, dass die Seiten des Komitees, | |
das dieses Referendum organisierte, ziemlich magere Besuchszahlen | |
verzeichneten. Die Beteiligung an den Referenden von 54,8 Prozent erscheint | |
in dieser Hinsicht dann doch nicht so gewaltig - wie auch schon die bei den | |
Kommunalwahlen vor zwei Wochen. | |
Was ist also wirklich los in Italien? Sicher ist nur, dass eine knappe | |
Mehrheit müde ist: von Berlusconi, seiner Politik, seinen Affären, seiner | |
Rhetorik. Aber genauso sicher ist, dass ein Land sich nicht allzu sehr auf | |
eine neue Epoche freuen sollte, wenn es nicht in der Lage ist, eine | |
politische Diskussion über Sachfragen zu führen. Solange in Italien jede | |
Diskussion zu einer über den Bunga-Bunga-Cavaliere verkommt, sollten sich | |
die jungen und qualifizierten Emigranten in London oder Berlin hüten, von | |
einer allzu schnellen Heimkehr zu träumen. | |
Übersetzung: Ambros Waibel | |
14 Jun 2011 | |
## AUTOREN | |
Riccardo Valsecchi | |
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