| # taz.de -- Pumpspeicherwerk im Schwarzwald: Öko gegen Öko | |
| > Die einen wollen keine 70 Meter hohe Mauer, die anderen wollen die | |
| > Stromversorgung sicherstellen. Lehrstück über ökologisch korrekten | |
| > Protest gegen Ökostrom. | |
| Bild: Energielieferant: Neben dem bestehenden Pumpspeicherwerk soll das neue en… | |
| HERRISCHRIED taz | "Miine Auge gfallt Herrischried im Wald", so schrieb | |
| Dichter Johann Peter Hebel vor rund 200 Jahren über das | |
| 2.800-Einwohner-Dörfchen Herrischried im Südschwarzwald. Doch ein | |
| beträchtlicher Teil dieses Waldes soll nun abgeholzt werden. Denn die | |
| Schluchseewerk AG, eine Tochter der Energieversorger RWE und EnBW, plant im | |
| Hotzenwald, nahe der Schweizer Grenze, das deutschlandweit größte | |
| Pumpspeicherwerk. | |
| Klaus Stöcklin, klein und grauhaarig, steigt am Herrischrieder Marktplatz, | |
| an dem auch der für die Einwohner wichtige Satz des Dichters steht, in sein | |
| Auto. Stöcklin erklärt während der kurzen Fahrt hoch zum Hornbergbecken I, | |
| dem Oberbecken eines bestehenden Pumpspeicherwerks, die Gegend. Er zeigt | |
| auf den 1.020 Meter hohen, dicht bewaldeten, Abhau genannten Berg: "Den | |
| wollen sie köpfen und aushöhlen wie ein Frühstücksei." | |
| Um Platz für das neue Pumpspeicherwerk zu schaffen, muss die Spitze des | |
| Abhaus weggesprengt werden und eine riesige Betonwanne gebaut werden. 1.100 | |
| Meter lang und 366 Meter breit soll das Hornbergbecken II werden, 9 | |
| Millionen Kubikmeter Wasser sollen hineinpassen. "Das muss man sich mal | |
| vorstellen", sagt Stöcklin, "die Bodenseeinsel Mainau oder drei Mal die | |
| Münchner Allianz-Arena würden da hineinpassen." | |
| ## Hoher Wirkungsgrad | |
| Pumpspeicherwerke gelten momentan als die einzigen Energiespeicher und sind | |
| für die sichere Stromversorgung unverzichtbar. Außerdem erzeugen sie keine | |
| CO2-Emissionen. Das Prinzip ist einfach: Wird Strom gebraucht, wird aus dem | |
| Oberbecken Wasser durch einen meterdicken Druckschacht in ein | |
| Kavernenkraftwerk tief im Berg geleitet. Dort fällt das Wasser auf eine | |
| Turbine, die einen Generator antreibt, der Strom erzeugt. | |
| Ist zu viel Strom im Netz oder der Strom gerade besonders günstig, wird das | |
| Wasser vom Unterbecken ins Oberbecken zurückgepumpt. Somit funktioniert ein | |
| Pumpspeicherwerk wie ein riesiger Akku und kann einen Wirkungsgrad von bis | |
| zu 80 Prozent erreichen. | |
| Doch Pumpspeicherwerke brauchen Gefälle - und Platz. "Die Bedingungen im | |
| Hotzenwald sind optimal", sagt Schluchseewerk-Sprecher Peter Steinbeck. | |
| Nirgendwo sonst sei eine solche Fallhöhe, rund 600 Meter, gegeben, | |
| nirgendwo sonst sei das Verhältnis von Kraftwerksleistung und Flächenbedarf | |
| so gut wie hier. Die Schluchseewerk AG betreibt im Südschwarzwald fünf | |
| Pumpspeicherwerke, damit deckt sie ein Viertel der deutschen | |
| Pumpspeicherwerksleistung. | |
| "Für die Zukunft der erneuerbaren Energien sind wir auf Pumpspeicherwerke | |
| angewiesen, sagt Steinbeck. Das Pumpspeicherwerk soll eine Leistung von | |
| 1.400 Megawatt haben, vergleichbar mit einem mittelgroßen Atomkraftwerk. | |
| Drei Millionen Menschen kann das Pumpspeicherwerk damit kurzfristig mit | |
| Strom versorgen. | |
| Doch dafür müssen insgesamt etwa 150 Hektar Wald abgeholzt werden - oben | |
| für das Hornbergbecken II und unten, wo für das Unterbecken ein ganzes Tal | |
| geflutet werden soll. Fünf Jahre sollen die Bauarbeiten dauern, bis das | |
| Pumpspeichwerk im Jahr 2019 in Betrieb gehen könnte. Rund 1,2 Milliarden | |
| Euro will die Schluchseewerk AG in den gigantischen Speicher investieren. | |
| ## Sorgen um das Moor | |
| Am Parkplatz in Atdorf wartet Marion Mainx neben ihrem grünen klapprigen | |
| Golf. Sie ist Mitglied der Bürgerinitiative (BI) Atdorf, Stöcklin ihr | |
| Vorsitzender. Die beiden 67-Jährigen kämpfen seit Bekanntwerden der Pläne | |
| gegen das Pumpspeicherwerk. Die Initiative zählt fast 500 Mitglieder und | |
| für die beiden Apotheker im Ruhestand ist die Arbeit für die Initiative zum | |
| Vollzeitjob geworden. | |
| Mainx zieht eine große Landkarte aus ihrer Handtasche. Die zierliche Frau | |
| versucht dem Wind zu trotzen und breitet die Karte auf der Autohaube aus. | |
| Die beiden Becken sind rot eingezeichnet. "Hier, am Rand des Abhaus, ist | |
| ein Fauna-Flora-Habitat-Gebiet, ein Moor, das sein Wasser von den örtlichen | |
| Quellen speist und das austrocknen könnte", sagt Mainx. "Dort leben über 40 | |
| geschützte Arten, darunter der besonders seltene Steinschmätzer." | |
| Die Schluchseewerk AG wird Ausgleichsflächen für die betroffenen Flächen | |
| schaffen müssen und konnte dafür schon mehr als 400 Waldbesitzer aus der | |
| Region finden, doch für Stöcklin und Mainx ist die Gegend unersetzbar. | |
| Ein schmaler gepflasterter Weg führt vom Parkplatz zum Hornbergbecken I. Es | |
| ist ruhig, Schmetterlinge flattern am Wegrand. Oben angekommen, umrahmen | |
| hohe Zäune das große graue Becken. Schwimmen ist hier verboten. Stöcklin | |
| zeigt auf den Rand des Abhaus. "Dort sind die Schwandquellen", sagt er, | |
| "ihr Wasser fließt nicht nur in das FFH-Moor, auch die Gemeinden Rickenbach | |
| und Herrischried beziehen von dort große Teile ihres Trinkwassers." | |
| ## Mitarbeiter befangen | |
| Die Gemeinderäte der beiden Gemeinden haben das Trinkwasserschutzgebiet | |
| aufgehoben und die Trinkwasserversorgung an die Schluchseewerke | |
| überschrieben. An den Abstimmungen nahmen auch Mitarbeiter der | |
| Schluchseewerk AG teil. Da die Bürgermeister der beiden Gemeinden schon | |
| kurz danach die Verträge mit den Schluchseewerk AG unterschrieben, sind | |
| diese Beschlüsse rechtskräftig - auch wenn die abstimmenden Mitarbeiter | |
| nach Intervention der Bürgerinitiative für befangen erklärt wurden. | |
| "Diese unrechtmäßige Entscheidung werden wir auf jeden Fall ins | |
| Planverfahren einbringen", sagt Stöcklin. Heute dürfen Mitarbeiter der | |
| Schluchseewerk AG und ihre Verwandten nicht mehr an Abstimmungen, die das | |
| Pumpspeicherwerk betreffen, teilnehmen. | |
| Um die Genehmigung für ein Projekt wie das Pumpspeicherwerk zu bekommen, | |
| ist ein positives Raum- und Planstellungsverfahren nötig, dafür musste das | |
| Trinkwasserschutzgebiet aufgehoben werden. Der Raumordnungsbeschluss wurde | |
| im Dezember 2010 vom Regierungspräsidium in Freiburg für machbar erklärt, | |
| dagegen läuft die Bürgerinitiative Sturm. Das folgende | |
| Planfeststellungsverfahren, gegen das auch geklagt werden kann, beginnt | |
| nach Abschluss eines runden Tisches Anfang des Jahres 2012. | |
| "Das Projekt ist politisch gewollt und wird von oben nach unten | |
| durchgedrückt", sagt Ruth Cremer-Ricken, "obwohl der Standort gänzlich | |
| ungeeignet ist." Die Vorsitzende des Kreisverbandes Waldshut von Bündnis | |
| 90/Die Grünen wohnt im Kurort Bad Säckingen; nur wenige Kilometer entfernt | |
| soll das Haselbachtal inklusive eines Erholungswaldes für das Unterbecken | |
| weichen. Dafür muss eine 70 Meter hohe Staumauer gebaut werden, sie könnte | |
| die höchste der Bundesrepublik werden. | |
| Cremer-Ricken sagt: "Das Raumordnungsverfahren war eine Farce." Die | |
| Schluchseewerk AG habe sich nicht auf eine Diskussion über Alternativen | |
| eingelassen, der Gemeinderatsbeschluss über das Trinkwasser sei | |
| rechtswidrig. "Man kann so ein Verfahren ja auch verlieren, aber man muss | |
| das Gefühl haben, dass die Planungsprozesse sauber, korrekt und vollständig | |
| sind", sagt die 53-jährige Biologin. | |
| ## Arbeitsplätze sind bedroht | |
| Das Projekt Atdorf erfährt in der Landes- und Bundespolitik große | |
| Zustimmung: Bei einem Wahlkampfbesuch im nahen Waldshut im Mai sagte | |
| Bundeskanzlerin Angela Merkel: "Für die erneuerbaren Energien zu plädieren, | |
| aber gegen neue Pumspeicherkraftwerke zu sein, ist inkonsequent." | |
| Cremer-Ricken vertritt lokale Bedenken. Die Planung für die Autobahn 98 | |
| führt durch das Haselbachtal, zudem seien Arbeitsplätze in Bad Säckingen | |
| bedroht. "Wer macht dort schon eine Kur, wenn er eine gigantische Baustelle | |
| vor der Nase hat?" | |
| Aus seinem Rucksack packt Stöcklin einen Aktenordner heraus, etliche haben | |
| seine Mitstreiter und er in den vergangenen Monaten angelegt und | |
| durchgearbeitet und viele werden noch kommen. Den Vorwurf der | |
| Vorgartenpolitik will er nicht gelten lassen. "Wir sind kein versprengtes | |
| Häuflein von Esoterikern, in der Initiative sind unter anderem Geologen und | |
| Biologen, wir sind eine Gruppe Experten mit Sachverstand", sagt er. | |
| Stöcklin bezweifelt, dass die Notwendigkeit eines Pumpspeicherwerks | |
| überhaupt gegeben ist. Die Region verkomme zur Energielandschaft, die | |
| Bürgerinitiative fordert, Strom aus Norwegens zu beziehen - dort gäbe es | |
| ebenfalls geeignete Standorte für Pumpspeicher. Die Schluchseewerk AG wolle | |
| Atom- und Kohlestrom reinwaschen, sagt Mainx, daran ändere auch der | |
| Atomausstieg nichts. Als Blödsinn bezeichnet das Schluchseewerk-Sprecher | |
| Steinbeck. "Spätestens jetzt kann es doch keinen ernsthaften Zweifel mehr | |
| geben, dass es uns um den Umbau hin zu erneuerbaren Energien geht." | |
| Steinbeck versucht, diese und weitere der mehr als 1.000 Einwendungen, die | |
| gegen das Raumordnungsverfahren eingebracht wurden, wegzuwischen: Seetone, | |
| die den Boden im Staumauerbereich zahnpastaweich machen? "Kratzen wir raus, | |
| bis wir auf Fels und Gneis stoßen". Erdbebengefahr? "Kein Problem, wir | |
| würden diese Mauer nicht genehmigt kriegen, wenn sie zu gefährlich wäre. An | |
| der Sicherheit wird nicht gespart." Arsen im Gestein? "Kleine Mengen, die | |
| werden in die Staumauer eingearbeitet und auf Deponien gebracht." | |
| ## Von der BI ertappt | |
| Steinbeck räumt aber auch Fehler der Schluchseewerk AG ein. So habe man | |
| sich für eine tiefer als geplante Bohrung eine mündliche Genehmigung | |
| eingeholt, nötig wäre eine schriftliche gewesen. Es sei natürlich | |
| "unangenehm" gewesen, dass man von der Bürgerinitiative, die die | |
| Bauarbeiten kontrollierte, dabei erwischt worden sei. | |
| Von Herrischried geht es durch kleine Dörfer und dunkle Wälder hinunter | |
| nach Öflingen. Mainx parkt am Fußballplatz des örtlichen Sportvereins. Sie | |
| wohnt nicht weit entfernt und geht hier oft spazieren, daher bemerkt sie | |
| die Veränderungen im Wald. Sie zeichnet eine lange Linie in die Luft. "Das | |
| alles wird dann eine riesige graue Staumauer sein", sagt sie und biegt auf | |
| einen kleinen Trampelpfad in den Wald ab. | |
| Bei einem von hellgrün leuchtenden Pflanzen bedeckten Teich mitten im Wald | |
| bleibt sie stehen. "Das sieht hier doch aus wie am Amazonas", sagt sie | |
| schulterzuckend, "und das soll nicht schützenswert sein?" | |
| 15 Jun 2011 | |
| ## AUTOREN | |
| Annika Stenzel | |
| Annika Stenzel | |
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