# taz.de -- Regierungskrise in Griechenland: Aufstand der Hinterbänkler | |
> Wenn innerparteiliches Gerangel zur Reality-Show wird: Zwei | |
> sozialistische Abgeordnete legten in Athen ihr Mandat nieder. Bleibt | |
> Finanzminister Papakonstantinou im Kabinett? | |
Bild: Auch ein Aufstand, aber nicht von Hinterbänklern: Proteste vor dem Parla… | |
ATHEN taz | Regierungsumbildung, Mehrparteienkoalition, Neuwahlen oder auch | |
eine "Expertenregierung" nach ungarischem Vorbild, die schmerzhafte | |
Reformen ohne Rücksicht auf Verluste durchzieht - in der griechischen | |
Politik gibt es derzeit nichts, was völlig unmöglich wäre. Nachdem | |
Ministerpräsident Giorgos Papandreou am Mittwoch mit einem nicht ganz ernst | |
gemeinten Rücktrittsangebot Freund und Feind überraschte, meldeten sich am | |
Donnerstag empörte Abgeordnete der sozialistischen Fraktion zu Wort und | |
wünschten Aufklärung. | |
Aus Protest gegen den Sparkurs legten am Donnerstag zwei weitere | |
Abgeordnete der Regierungspartei ihr Mandat nieder. Dennoch verfügt | |
Papandreou immer noch über eine knappe Mehrheit von fünf Sitzen im | |
griechischen Parlament. | |
Sowohl eine für Donnerstagmorgen angekündigte Regierungsumbildung als auch | |
eine Reise des Ministerpräsidenten zu Krisengesprächen nach Brüssel wurden | |
im letzten Moment verschoben, damit Papandreou vor sein Parteivolk tritt | |
und unangenehme Fragen beantwortet. Im staatlichen Fernsehen mutierte die | |
Live-Berichterstattung über das innerparteiliche Gerangel zu einer | |
Reality-Show: Vor laufenden Kameras gingen die Volksvertreter im Parlament | |
ein und aus, jeder durfte vor die Mikrofone treten und an die Einigkeit der | |
Partei appellieren. | |
Bei der Regierungsumbildung geht es vor allem darum, ob Finanzminister | |
Giorgos Papakonstantinou seinen Posten behalten darf. Als sein Nachfolger | |
wird der ehemalige Vizepräsident der Europäischen Zentralbank, Loukas | |
Papademos, gehandelt, der Griechenland als Notenbankchef in die Euro-Ära | |
führte und sowohl in Griechenland als auch in Brüssel hohes Ansehen | |
genießt. Er ist bereits heute als Wirtschaftsberater des Premiers tätig. | |
Ein Abgang des jetzigen Finanzministers würde für Papandreou das Ende einer | |
Ära besiegeln. Papakonstantinou ist eigentlich so etwas wie die | |
Allzweckwaffe des Ministerpräsidenten, der bisher seine Aufgaben mit | |
Bravour meisterte. | |
## Konservative geprägt von Wahlkampffantasie | |
Als Parteisprecher begleitete er den Gang Papandreous durch die | |
Institutionen, anschließend ließ er sich als erfolgreicher Hauptkandidat | |
der Sozialisten für die Europawahl im Jahr 2009 feiern. Im Wahlkampf hatte | |
er sich wohl etwas zu viel zugemutet, als er allen Ernstes versprach, den | |
europäischen Stabilitätspakt neu zu verhandeln - diese Forderung war | |
schnell wieder vergessen. | |
Von ähnlicher Wahlkampffantasie ist im Moment die konservative | |
Oppositionspartei geprägt und verspricht im Brustton der Überzeugung eine | |
Neuverhandlung des griechischen Sparpakets in Brüssel, Frankfurt und | |
Washington. Oppositionsführer Antonis Samaras sieht keinen Grund, den | |
Reformkurs der Regierung zu unterstützen oder gar auf Angebote zur | |
Zusammenarbeit einzugehen, denn er sieht sich im Aufwind, jüngste Umfragen | |
scheinen ihm sogar Recht zu geben. | |
Da auch die in Griechenland traditionell starke kommunistische Partei | |
nichts Geringeres als die Weltrevolution im Sinn hat, hat Papandreou im | |
Moment keine große Auswahl an Verbündeten. | |
Es wäre schon viel für ihn gewonnen, wenn er zumindest die eigenen Reihen | |
schließen könnte. Auch Parteigrößen wie der ehemalige Parlamentspräsident | |
Apostolos Kaklamanis appellierten öffentlich an den Patriotismus und das | |
Pflichtbewusstsein der Sozialisten und beschworen die Einheit der Partei. | |
Ältere Semester mit einem Hang zu Verschwörungstheorien fühlen sich | |
mittlerweile an den "heißen Juli 1965" erinnert: Damals musste | |
Ministerpräsident Giorgos Papandreou, Großvater des heutigen Premiers, nach | |
nur zwei Jahren im Amt zurücktreten, weil ihm immer mehr Abgeordnete | |
einfach weggelaufen waren. In der Folgezeit stürzte Griechenland ins Chaos | |
und erlebte dann eine Militärdiktatur. | |
16 Jun 2011 | |
## AUTOREN | |
Jannis Papadimitriou | |
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