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# taz.de -- Arabische Demokratiebewegung: Scheichtum mit Ambitionen
> Das Herrscherhaus in Katar setzt auf allmähliche Demokratisierung, im
> eigenen Land wie in der Region. In Libyen hat es sich an die Seite der
> Rebellen gestellt.
Bild: Katar ist ein reiches Land: Zwei Männer beim Autokauf.
DOAH taz | Manch einer der Dauermonarchen am Golf dürfte derzeit etwas
neidisch auf den Emir aus Katar blicken. Während sie das Aufbegehren ihrer
Untertanen entweder brutal unterdrücken oder sich deren Schweigen teuer
erkaufen, schwimmt Scheich Hamad bin Khalifa al-Thani auf einer Welle der
Sympathie.
Zwar gibt es auch in dem Kleinstaat kritische Stimmen. Aber besonders in
den Augen der Jugend hat der Emir in den letzten Jahren so gut wie alles
richtig gemacht. Dank der Erschließung der riesigen Erdgasvorkommen ist das
Land reich wie nie zuvor. Den Reichtum investiert der Emir nicht nur in
prestigeträchtige Bauten, sondern auch in die geistige und
gesellschaftliche Zukunft des Landes.
An amerikanischen Universitäten in der "Education City" lernen die
Studentinnen und Studenten das freie Forschen und Denken und damit die
wichtigste Grundlage für Innovation. Bildung und Krankenversorgung sind
kostenlos. Dass die Arbeitskräfte aus Süd- und Südostasien, die den
Wohlstand erst ermöglichen, davon wenig abbekommen, stört nur wenige. Das
Recht auf freie Wahlen, für das Jugendliche in Bahrain, Jemen und Syrien
ihr Leben riskieren, vermisst im Musterländle am Golf kaum einer. Eine
kleine, glückliche Nation nennt ein ausländischer Beobachter die Katarer.
## Forscher Einsatz in Libyen
Das gibt Scheich Hamad den Spielraum, sich zusammen mit Außenminister
Scheich Hamad bin Jassim bin Jaber al-Thani, der zugleich Ministerpräsident
ist, auch außenpolitisch zu profilieren. Dabei hat er sich in den letzten
Jahren als Mittler in Libanon, Darfur und Jemen hervorgetan und sich aus
dem Schatten des mächtigen Nachbarn Saudi-Arabien gelöst.
Israelische Politiker sind genauso willkommen wie deren Erzfeinde von der
radikalislamistischen Hamas. Das Bündnis mit den Amerikanern, die in Katar
ihre größte vorgeschobene Militärbasis unterhalten, hindert den Emir nicht
daran, ein gutes Einvernehmen mit den Mullahs in Teheran oder deren
Zöglingen von der libanesischen Hisbollah zu suchen. "Kreativ" nennen
Katars Außenpolitik die einen, "gewagt" die anderen. Sie gleicht in vielem
der sogenannten Null-Probleme-Politik der Türkei. Umso überraschender ist
der forsche Einsatz Katars in Libyen.
Katar setzte sich an die Spitze der Arabischen Liga und forderte ein
Eingreifen gegen Gaddafi. Es schickte vier Kampfjets, die nach Meinung von
Experten zwar kaum an Kampfeinsätzen beteiligt sein dürften, aber immerhin
ein Drittel der Luftwaffe bilden. Die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE)
sandten nach anfänglichem Zögern zwölf Kampfjets.
Während sich die VAE wie die meisten Mitglieder der Liga seitdem weitgehend
in Schweigen hüllen, schlug sich Katar auf die Seite der Rebellen. Es hat
die Rebellenregierung in Bengasi anerkannt, liefert humanitäre Hilfe,
wickelt über einen Treuhandfonds die Erdölverkäufe zu ihren Gunsten ab und
unterstützt tatkräftig ihren Satellitensender Libya TV. Darüber hinaus
gehen Beobachter davon aus, dass der Golfstaat die Rebellen mit Waffen
versorgt.
## "Auf der richtigen Seite der Geschichte"
In Doha sieht man darin keinen Kurswechsel der bisherigen Außenpolitik.
"Wir sind ein arabisches Land", sagt Mohammed Abdul Kerim Kafud, früher
Minister für Bildung und Kultur. "Wenn ein anderes arabisches Land in Not
ist, müssen wir helfen." Insofern stehe das Libyen-Engagement im Einklang
mit der humanitären Außenpolitik des Emirs. "Katar ist eines der wenigen
arabischen Länder, die auf der richtigen Seite der Geschichte zu stehen
scheinen", sagt Shadi Hamid vom Brookings Doha Center. Es setze sich mehr
für die Demokratie ein als die meisten seiner Nachbarn.
"Katar liegt auf einer Linie mit der öffentlichen Meinung in der arabischen
Welt", so Shadi. "Fällt Ihnen ein anderes arabisches Regime ein, das diese
Rolle spielt? Mir nicht." Obwohl Katar mit seiner absoluten Monarchie
sicher kein Leuchtturm der Demokratie ist, haben der Emir und sein
Außenminister bereits vor Jahren erkannt, dass es zur Bewältigung der
vielen Probleme in der arabischen Welt einer demokratischen Öffnung bedarf.
Die Skyline von Dubai mag imposanter, die Villen in Kuwait dürften
gediegener und die Museumsinsel in Abu Dhabi wird spektakulärer sein als
alles Vergleichbare und Schöne in Katar. Aber nur Katar hat al-Dschasira,
die Doha Debates und das Doha Forum. Al-Dschasira lehrte die Araber, dass
Fernsehen mehr kann als dröge Hofberichterstattung, die Doha Debates haben
eine Lanze für die freie Debatte gebrochen und mit dem Doha Forum schuf der
Emir so etwas wie das Weltwirtschaftsforum in Davos.
Darüber hinaus steht Scheicha Moza mit ihrer Qatar Foundation hinter der
Arab Democracy Foundation, die in der gesamten Region Dissidenten
unterstützt. Es ist diese Soft Power, mit der sich Katar einen Namen
gemacht hat und aus dem Schatten seines mächtigen Nachbarn Saudi-Arabien
hervorgetreten ist.
## Prekäres Gleichgewicht
In der unmittelbaren Nachbarschaft fällt es Katar derzeit freilich schwer,
außenpolitisch Kurs zu halten. Auch wenn sich der Einsatz in Libyen
hinziehen mag, ist er politisch doch relativ risikofrei. Dem exzentrischen
Despoten in Nordafrika wird man auch am Golf keine Träne nachweinen. Was
aber tun in Bahrain, Jemen und Syrien? Hier steht viel mehr auf dem Spiel.
Jeder politische Umbruch in diesen Ländern wird sich auf das Gleichgewicht
des Schreckens zwischen Saudi-Arabien und Iran auswirken.
In Jemen stellte sich Katar zuerst an die Spitze der Vermittlungsbemühungen
zwischen Präsident Ali Abdallah Saleh und der Opposition, nur um Stunden
später dessen Rücktritt zu fordern. Seitdem hat Katar das Ruder den Saudis
überlassen. In Bahrain machte Saudi-Arabien schnell klar, dass es keine
Herausforderung des sunnitischen Herrscherhauses duldet. Als die
Protestbewegung trotz der 10-Milliarden-Dollar-Hilfe des
Golfkooperationsrats nicht verstummen wollte, schickte es kurzerhand
Truppen, unterstützt von Polizisten aus den VAE. "Die Saudis sind die
Anführer der arabischen Konterrevolution. Das ist ihre neue Rolle", sagt
Hamid. "Sie wollen die Revolution mit Stumpf und Stiel ausrotten."
In Katar finden die Muskelspiele der Saudis in Bahrain wenig Gegenliebe.
Ein Grenzstreit mit dem Nachbarn ist zwar rechtlich geklärt, aber noch
immer nicht geschlichtet. Als Mitglied des Golfkooperationsrats blieb Katar
freilich nichts anderes übrig, als sich dem saudischen Beschluss zu beugen.
Allerdings schickte der Emir keine Truppen, und Katar wäre nicht Katar,
wenn es nicht doch noch einen eigenen Akzent gesetzt hätte. So lud es
kürzlich den radikalen schiitischen Prediger Muktada al-Sadr aus dem Irak
ein. Der Emir werde im Konflikt zwischen den Schiiten und dem sunnitischen
König in Bahrain vermitteln, frohlockten Sadr-Vertreter anschließend. Diese
Erwartung ist sicher überzogen. Für Katar wäre dies schlicht zu riskant.
Eine wirklich gerechte Lösung in Bahrain könne es nur durch eine Stärkung
der Schiiten geben, sagt David Roberts vom britischen RUSI Qatar (Royal
United Services Institute for Defence and Security Studies). In
Saudi-Arabien käme es extrem schlecht an, wenn Katar dazu betragen würde.
## Kehrtwende in Syrien
Immerhin hat sich der Emir mit dem Empfang für Sadr einmal mehr um
Neutralität im regionalen schiitisch-sunnitischen Konflikt bemüht. Das ist
auch ein Signal an Iran, den großen Gegenspieler der Saudis. Im Gegensatz
zu Saudi-Arabien hat Katar in den letzten Jahren einen Ausgleich mit den
Mullahs in Teheran angestrebt. Es teilt sich mit Iran das größte Erdgasfeld
der Welt und hat mit Teheran ein Sicherheitsabkommen geschlossen.
Am Ende trauen die Katarer den Iranern freilich nicht über den Weg. Die
Angst, unter die Räder der mächtigen Nachbarn zu kommen, ist groß. Ein
Haifischbecken nennt der Politologe Hassan al-Ansari die Region. Jede
positive Änderung in der arabischen Welt könne dem Kleinstaat, der gerade
mal halb so groß ist wie Slowenien, nur nutzen, sagt Ansari. Deshalb
unterstütze Katar den derzeitigen Umbruch. "Wenn wir diese Gelegenheit
verpassen, müssen wir vielleicht weitere hundert Jahre warten."
In Syrien hat Katar wie die Türkei darauf gesetzt, Bachar al-Assad zu
Reformen zu bewegen und so einen friedlichen Wandel zu bewirken. Doch die
Ratschläge stießen in Damaskus auf taube Ohren. Assad habe seine Chance
vertan, heißt es in Diplomatenkreisen. Beide Länder würden mittlerweile auf
einen Regimewechsel setzen.
## Iran soll geschwächt werden
Diesen scheint nun auch Saudi-Arabien anzustreben, das sich anfangs
zumindest halbherzig hinter Assad gestellt hatte. Offensichtlich konnte
sich die Meinung durchsetzen, dass der strategische Gewinn größer ist als
die Risiken. Sollte das Assad-Regime fallen, würde das die Sunniten stärken
und Iran sowie die Hisbollah verlören einen wichtigen Verbündeten. Teheran
lauert derweil darauf, über die schiitischen Houthi seinen Einfluss in
Jemen zu stärken. Beide Seiten könnten sich am Ende verspekulieren, sollte
es in Jemen und Syrien zum Bürgerkrieg kommen. Die Folgen für die
Golfregion wären unabsehbar.
Der Einsatz Katars in Libyen ist insofern vielleicht auch eine Investition
in die Zukunft. Letztlich kann ihn sich der Emir nur erlauben, weil er mit
den Amerikanern einen starken Verbündeten hat. Doha benötige eine
Supermacht im Rücken, sagte Ministerpräsident Scheich Hamad, als Katar das
Stabsquartier des Zentralkommandos der amerikanischen Streitkräfte ins Land
holte. "Wer den Sheriff in der Stadt hat, kann sein Haus auch mal unbewacht
lassen", sagt Roberts. Derzeit ist das Verhältnis zwischen Washington und
dem Golfstaat so ungetrübt wie schon lange nicht mehr. Dass der Sheriff
seinen eigenwilligen Verbündeten im Notfall nicht im Stich lässt, darauf
baut man in Doha.
23 Jun 2011
## AUTOREN
Inga Rogg
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