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# taz.de -- Saudische Frauen am Steuer: Die Schwarzfahrerinnen
> Die "Saudi Women for Driving" widersetzen sich dem Fahrverbot. In
> Saudi-Arabien löst der Konflikt Grabenkämpfe im Königshaus aus. Die
> Frauen planen bereits weitere Aktionen.
Bild: Spaß am Steuer und Kulturkampf: Assa al-Schamasi gehört zu denen, die d…
RIAD taz | In den vergangenen zehn Tagen ist Sara al-Chalidi mit ihrer
Mutter jeden Tag mit dem Auto gefahren. "Na gut, stimmt nicht ganz. Einen
Tag hatten wir keine Zeit", präzisiert die 30-Jährige, aber die Genugtuung
in ihrer Stimme ist nicht zu überhören. Die beiden Frauen haben jeweils
Bücher, eine Zahnbürste und frische Unterwäsche mitgenommen. Falls sie doch
festgenommen werden sollten. Aber bisher ist nichts Aufregendes passiert.
"Die Saudische Regierung sagt immer, unsere Gesellschaft ist sehr
konservativ und das Fahrverbot ist mehr eine soziale Restriktion als eine
gesetzliche, aber das ist Unsinn", sagt die Studentin, die ihren Master
macht. "Die Reaktion der Männer war fast ausschließlich positiv. Die
meisten zeigen uns den nach oben gerichteten Daumen oder das V für Sieg."
Nur einmal habe die beiden die Polizei gestoppt, nachdem ihnen ein Auto
gefolgt sei, dessen Fahrer sie denunziert hat. "Der Polizist riet uns,
besser am Abend zu fahren. Er war eindeutig auf unserer Seite!"
Sara al-Chalidi ist eine von rund 60 Frauen, die seit dem Beginn der
Kampagne "Saudi Women for Driving" am 17. Juni in Saudi-Arabien das
Fahrverbot für Frauen gebrochen haben. Das ist eine erstaunliche Wendung,
denn dieses Thema ist für die Religiös-Konservativen, das am besten
organisierte und mächtigste politische Lager in Saudi-Arabien, von großer
Bedeutung. Im Königreich ist die Bewegungsfreiheit von Frauen enorm
eingeschränkt. Es gibt keine öffentlichen Verkehrsmittel, und Frauen sind
auf Fahrer angewiesen, die sie oft innerhalb der Familie teilen müssen.
Ohnehin brauchen Frauen die Erlaubnis ihres Vormunds für die vielen
alltäglichen Erledigungen.
## Runden drehen in Riad
Außerdem ist das Fahrverbot von hoher symbolischer Bedeutung, weil es
zeigt, welche Ausnahme Saudi-Arabien weltweit darstellt. Fällt es, fürchten
die Konservativen, kann auch der Rest des "perfekten islamischen Systems",
wie sie es gerne nennen, schnell fallen, und einer Verwestlichung
Saudi-Arabiens steht nichts mehr im Wege.
Wie antiquiert und exotisch das Fahrverbot schon vor zwei Jahrzehnten war,
und wie es die Konservativen für ihre Zwecke benutzt haben, zeigt der Fall
der 47 Frauen, die im Jahr 1990 aus Protest gegen das Fahrverbot mit dem
Auto ein paar Runden in der Riader Innenstadt gedreht haben.
Aischa al-Ghamdi (Name geändert) war eine von ihnen. Sie ist in den
fünfzigern. Ihren Namen will sie nicht in einer Zeitung veröffentlicht
sehen, denn sie ist ein gebranntes Kind. "Ein Artikel ist es nicht wert,
seinen Lebensunterhalt aufs Spiel zu setzen", sagt sie.
Die Frauen, die damals fuhren, wurden verhaftet, aus ihren Jobs entlassen
und erst zweieinhalb Jahre später wieder eingestellt. So lange durften sie
auch das Land nicht verlassen. "Im Prinzip leiden wir heute noch darunter.
Alle Frauen wurden nicht befördert. Das hat unser Leben geprägt", sagt sie.
Dennoch will sie die Erfahrung nicht missen. "Das war das Beste, das ich je
in meinem Leben gemacht habe", sagt sie trotzig. Und: "Ja, ich würde es
wieder tun."
Inspiriert war der Protest damals von den amerikanischen GIs, die nach dem
ersten Golfkrieg in Saudi-Arabien stationiert waren. Darunter waren auch
Soldatinnen, die wie selbstverständlich Militärfahrzeuge fuhren. Außerdem
waren nach dem Einmarsch von Saddam Husseins Truppen in ihr Land einige
tausend Kuwaitis nach Saudi-Arabien geflohen. Auch die kuwaitischen Frauen
durften fahren. Nur die saudischen durften das nicht.
## Als "Huren" beschimpft
Um das zu ändern, setzten sich 47 Frauen in vierzehn Autos und fuhren ein
paar Runden durch das Riader Geschäftsviertel. "Das war nicht als Spaß
gemeint", sagt al-Ghamdi. "Wir waren uns völlig bewusst, dass wir
festgenommen werden können."
Und so kam es. Die Frauen wurden gestoppt und auf ein Polizeirevier
gebracht, wo sie von ihren Männern und Vätern abgeholt werden mussten. Ihre
Protestaktion war ein Skandal. Von den Religiös-Konservativen wurden sie in
den Zeitungen als "Huren" beschimpft. Flugblätter mit ihren Namen und den
Namen ihrer Ehemänner wurden verteilt.
"Vor dem Protest dachten wir, das Fahrverbot wird in zwei, drei Jahren
fallen", sagt al-Ghamdi nachdenklich. "Aber das ist jetzt 21 Jahre her und
es ist immer noch gültig."
Damals erließ der Großmufti, der oberste religiöse Geistliche des Landes,
eine Fatwa, die Frauen das Fahren verbot. In den Jahren danach gab es immer
wieder offene Briefe an den König, das Verbot fallen zu lassen. Einzelne
Frauen brachen das Tabu, aber es hielt stand.
Im Mai kündigten einige Frauen eine Facebook-Kampagne an, mit der das
Verbot infrage gestellt wurde. Die Kampagne gewann schnell über 20.000
UnterstützerInnen, und Manal al-Scharif, eine der Organisatorinnen, stellte
ein Video von sich am Steuer eines Autos ins Internet. Sie wurde verhaftet
und erst zehn Tage später freigelassen, nachdem sie eine Erklärung
unterschrieb, in der sie sich von der Kampagne distanzierte.
Nach al-Scharifs Verhaftung stellte der stellvertretende Innenminister
Prinz Ahmed sofort klar, dass seine Beamten das Fahrverbot durchsetzen
würden, obwohl es nur auf einer Fatwa fußte und nicht gesetzlich
festgeschrieben war. Das Innenministerium gilt als Bastion der Religiösen.
Und die schienen wieder einmal gewonnen zu haben.
## Clinton verurteilte saudische Behörden
Doch bald zeigte sich, dass der Fall von Manal al-Scharif einen Wendepunkt
darstellte. Den Ausschlag gegeben hat wohl die Flut von negativer
Berichterstattung, den ihre Verhaftung in der westlichen Presse ausgelöst
hat. Die Kampagne brachte Hillary Clinton dazu, die saudischen Behörden zu
verurteilen. Eine Initiative, den Autohersteller Subaru aufzufordern, keine
Fahrzeuge in Saudi-Arabien zu verkaufen, bis Frauen dort fahren dürfen, hat
innerhalb von ein paar Tagen 47.000 Unterschriften in 148 Ländern gefunden.
Als die Kampagne dann am 17. Juni trotz al-Scharifs Verhaftung anlief,
erntete sie, wie sich bald zeigte, eine erstaunliche Reaktion der Polizei.
Bisher war sie nicht völlig schlüssig, sagt Eman al-Nafdschan, eine
Sprecherin der Kampagne "Saudische Frauen ans Steuer", aber keine Frau habe
bisher ernsthafte Probleme mit den Sicherheitskräften bekommen. Eine Gruppe
sei kurz auf einem Revier festgehalten worden, so al-Nafdschan, einige
bekamen einen Strafzettel, viele jedoch kamen mit einer Warnung davon. "Als
wir das letzte Mal gefahren sind, haben wir ein Polizeiauto gesehen und die
Polizisten haben uns gesehen", sagt die Sprecherin. "Die wollten uns aber
nicht sehen. Wenn Sie mich fragen, hat die Regierung der Polizei gesagt,
sie soll uns einfach ignorieren."
Al-Nafdschan ist eine liberale Bloggerin (Saudi Women's Weblog), die vor
allem über die Rechte von Frauen schreibt, aber sie betont, dass die
Kampagne nicht das Ziel habe, eine Revolution loszutreten. "Wir wollen eine
praktische Lösung für ein Problem, unter dem saudische Frauen leiden. Das
ist alles", sagt sie. Alle teilnehmenden Frauen seien sehr
verantwortungsbewusst. Die meisten seien über dreißig Jahre alt und hätten
Kinder. "Alle haben einen internationalen Führerschein oder den eines
anderen Landes", sagt al-Nafdschan. Sie selbst konnte noch nicht fahren,
weil sie keine Fahrerlaubnis hat. In den vergangenen Tagen gab es deshalb
schon viele Fragen auf den Twitter-Seiten, über die die Kampagne
hauptsächlich organisiert wird, wo und wie frau einen internationalen
Führerschein bekommen kann.
## Spannung im Königshaus
Das saudische Regime hat öffentlich bisher noch keinerlei Reaktion auf die
Kampagne gezeigt. Der Grund für die erstaunliche Stille in dieser in
Saudi-Arabien hochpolitisierten Frage, ist wohl einfach zu verstehen. Das
Königshaus ist sich nicht einig.
"In der Königsfamilie findet gerade ein heftiger Grabenkampf statt", sagt
der Menschenrechtler und Demokratieaktivist Mohammed al-Qahtani. "Seit dem
Fall von Manal al-Scharif ist der internationale Druck unheimlich groß, das
Fahrverbot aufzuheben, aber die Konservativen sperren sich." Der
Königsfamilie gelingt es gewöhnlich sehr gut, die internen Spannungen nicht
nach außen dringen zu lassen. Aber diesmal sind sie fast mit Händen zu
greifen.
Den Anfang machte der reichste Mann Saudi-Arabiens, Prinz al-Walid bin
Talal. Der New-York-Times-Kolumnistin Maureen Dowd sagte er, seine Frau
fahre das gemeinsame Auto, sobald sie auf einem Flughafen in einem fremden
Land gelandet seien. Dann kam seine Frau dran. In einem Interview mit dem
amerikanischen Sender NBC sagte Prinzessin Amirah, es sei höchste Zeit,
dass das Fahrverbot falle. Am Freitag schoss das andere Lager zurück. Eine
Tochter des verblichenen Königs Saud sagte den Betreibern der
Nachrichtenwebseite Svaq, die Frauen, die fahren wollten, ließen sich als
Bauernopfer fremder Länder missbrauchen, die Saudi-Arabien schaden wollten.
Doch darauf, dass sich das saudische Königshaus zu einer konsistenten
Entscheidung durchringt, will die Gruppe "Saudische Frauen ans Steuer"
nicht warten. Sie plant schon den nächsten Schritt. "Wir wollen das
Bewusstsein für unsere Kampagne wecken, damit endlich das Fahrverbot
fällt", sagt Eman al-Nafdschef. Deshalb haben sie grüne Bänder mit der
Aufschrift "Ja zu Frauen am Steuer!" herstellen lassen. Diese wollen sie
jetzt verteilen.
29 Jun 2011
## AUTOREN
Peter Böhm
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