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# taz.de -- Wirtschaftskrise in Griechenland: Ein Platz an der Sonne
> Die Finanzkrise hat den Unternehmer Emmanouel Kastanakis an den Rand des
> Ruins gebracht. Er plant den Neuanfang – im Ökoenergiesektor, ohne
> griechische Banken.
Bild: Orthodoxe Priester, Polizisten – Gesichter des Protests gegen die Sparp…
THESSALONIKI taz | Von der Krönung seines Lebenswerks trennte Emmanouel
Kastanakis nicht mehr viel. Sein Unternehmen Elitherm, Hersteller von
Kunststofffenstern, Fußbodenheizungen und Leitungen aller Art, wurde
bereits wohlwollend von der Börse in Athen geprüft, ein Börsengang schien
nur noch eine Frage von Monaten.
Mit 20 Millionen Euro Jahresumsatz und 150 Angestellten gehörte das 1987
von Kastanakis gegründete Unternehmen zu Griechenlands solidem Mittelstand.
Der Elektroingenieur, der in Darmstadt studiert hat, vertrat namhafte
deutsche Firmen wie Thyssen, Wolf oder Stiebel Eltron, deren griechisches
Geschäft er 2000 komplett übernahm. Alles lief nach Plan. Dann kam die
Krise.
Zwei Jahre später sitzt Emmanouel Kastanakis an einem leeren Tisch im
einzigen Seitentrakt der Elitherm-Zentrale, in dem überhaupt noch Leben
herrscht. Vor den verspiegelten Glasfassaden, die im Industriegebiet von
Sindos in den blauen Himmel ragen, parken drei Autos. Überall ist es still,
kein Maschinenlärm, keine abfahrenden Lastwagen, nicht einmal Gelächter an
der Kaffeemaschine. Wer heute noch bei Elitherm arbeitet, hat nicht mehr
viel zu lachen.
Statt 150 beschäftigt der 61-Jährige heute noch 30 Mitarbeiter. Sie sollen
helfen, die Firma umzusteuern in Richtung erneuerbare Energien. Das
Eberswalder Unternehmen Sunmate ist Kastanakis zufolge zu einem Drittel bei
Sunmate Hellas eingestiegen. Doch die Uhr tickt. "Die Reserven sind jetzt
bald zu Ende", sagt er.
## Vordatierte Barschecks
Bis die Krise begann, herrschte in Griechenlands Baubranche
Goldgräberstimmung. Überall wurde gebaut, auch deshalb, weil viele
Investoren in letzter Minute Steuervorteile ausnutzen wollten, die die
Regierung 2005 strich. Bezahlt wurden die Lieferungen meist mit
vordatierten Barschecks. "Das war ein gängiges Modell", so Kastanakis. "Da
wurden Schecks ausgestellt, die erst zu einem späteren Datum eingelöst
werden konnten, damit wurde die Liquidität gestreckt." Zunächst ging alles
gut.
Doch dann begannen vor zwei Jahren die ersten Schecks zu platzen. "Es
wurden immer mehr, am Schluss saßen wir auf ungedeckten Schecks im Wert von
3 Millionen Euro." In ganz Griechenland wird der Wert solcher Schecks auf
bis zu 10 Milliarden Euro geschätzt. Doch Kastanakis hatte vorgesorgt.
Zumindest dachte er das. Sein Risiko hatte er bei einer Spezialversicherung
abgedeckt. Doch die weigert sich bis heute, zu zahlen. Um die fehlenden
Millionen kämpft Kastanakis derzeit vor Gericht.
Mit der Krise zogen sich Kastanakis' deutsche Partner zurück. Den
Unternehmen wurde das Risiko in Griechenland zu groß, sagt er. Zurück blieb
die Fabrik. "Wir hatten eine ausreichende Eigenkapitaldecke, deshalb halten
wir noch durch." Doch dass der Ingenieur stets solide gewirtschaftet hat,
hilft ihm wenig. Bei der Elitherm-Tochter Stibetherm wird das Kapital
knapp, und auch für die nötigen Investitionen bei Sunmate Hellas fehlt
Geld.
"Die Banken geben uns keine Kredite, weil ihnen selbst das Geld fehlt",
sagt Kastanakis. Überhaupt spiele die reale Wirtschaft bei den
Rettungsbemühungen für Griechenlands Krise bislang keine Rolle. "Die reale
Wirtschaft ist außen vor, im Moment gibt es von der Regierung nichts als
leere Versprechungen."
## 130.000 Arbeitslose in Thessaloniki
Die Vereinfachung von Entlassungen war Teil des ersten Sparpakets der
Regierung in Athen. Alleine in Thessaloniki, so schätzt der örtliche
Präsident des griechischen Gewerkschaftsbundes EKT, Panagiotis
Tsaraboulidis, hat jeder zweite im privaten Sektor Beschäftigte seinen
Arbeitsplatz verloren.
"In Thessaloniki haben wir heute gut 130.000 Arbeitslose, das entspricht
einer Quote von 26 Prozent." Hier wurden Angestellte privater Unternehmen
schwerer getroffen als im Rest des Landes, sagt Tsaraboulidis. Wohl auch
deshalb, weil von den gerade einmal 350 griechischen Unternehmen mit mehr
als 300 Angestellten viele ihre Heimat hier im Norden haben.
Eines davon ist Isomat, ein Hersteller von chemischen Baustoffen, der in
dreißig verschiedene Länder exportiert. Stefanos Tziritis, der die Firma
aufgebaut hat, ist zugleich Chef des nordgriechischen Industrieverbandes.
Die Krise, sagt er, hat das zuletzt jährlich zweistellige Wachstum seiner
Firma gebremst. "Aber im vergangenen Jahr haben wir dennoch ein Wachstum
von einem Prozent verzeichnet."
Die Stellen von Tziritis' knapp 300 Angestellten scheinen vorerst sicher,
obwohl auch Isomat 75 Prozent seines Umsatzes auf dem schwächelnden
griechischen Markt erzielt.
Auch Tziritis steuert deshalb um, auf Baustoffe für energieeffizientere
Häuser, die Griechenlands Regierung fördern möchte. "Wir haben eigene
Forschungslabors, dank unseren hervorragenden Angestellten sind wir ganz
vorne mit dabei." Die Litaneien von den faulen oder arbeitsunwilligen
Griechen, die er manchmal in den deutschen Zeitungen verfolgt, kann er
überhaupt nicht verstehen. "Wir haben sehr gut ausgebildete Leute, das ist
unser wichtigstes Kapital."
Doch trotz seiner Begeisterung für seine Arbeiter votiert Tziritis für
harte Einschnitte – allerdings vor allem bei staatlichen und
halbstaatlichen Unternehmen. "Wir brauchen endlich eine Entsowjetisierung
der Wirtschaft, die staatlichen Konglomerate sind unproduktiv und kosten
uns alle viel Geld."
## Elf Generalstreiks in zwei Jahren
Gewerkschaftsmann Tsaraboulidis sieht das naturgemäß anders, auch wenn er
nur die Arbeiter in den privaten Betrieben vertritt. Elf Generalstreiks hat
seine Gewerkschaft in den vergangenen zwei Jahren organisiert, weitere
werden folgen. "Alle Sparmaßnahmen sind auf die arbeitende Bevölkerung
ausgerichtet", ärgert er sich, während er eine selbst gerollte Zigarette
nach der anderen ansteckt.
Dabei wisse doch jeder, dass das wahre Sparpotenzial ganz woanders stecke.
"Wir haben eine Schattenwirtschaft im Wert von 30 bis 50 Milliarden Euro im
Jahr, aber anstatt die zu bekämpfen, werden die Löhne gekürzt." Als
Ministerpräsident Giorgos Papandreou ihn im vergangenen Jahr besucht hat,
habe der selbst zugegeben, wie ungerecht das sei. "Aber die Regierung
braucht kurzfristig sichtbare Erfolge, hat er gesagt."
Mittelfristig hält Tsaraboulidis die Folgen für katastrophal – und zwar für
alle Beteiligten. "Die Arbeiter haben weniger Geld, der Konsum geht zurück,
noch mehr Firmen gehen pleite – und der Staat hat letztendlich kaum mehr
Einnahmen als vorher, weil die Zahl der Steuerzahler sinkt." Der
Wirtschaftsaufschwung, den in Europa doch jeder von Griechenland erwarte,
werde so schon im Keim erstickt.
## Arrogante Banken
Mit Gewerkschaftern hat Emmanouel Kastanakis nach eigenen Angaben wenig
gemein. Doch wenn es um die Frage des Wirtschaftsaufschwungs geht, ist er
sich mit Gewerkschaftsboss Tsaraboulidis überraschend einig. "Als wir die
ersten geplatzten Schecks hatten, haben die Banken arrogant und abweisend
reagiert", erinnert sich der Unternehmer. "Die haben uns den Teppich unter
den Füßen weggezogen und sich damit selbst ein Grab geschaufelt, ohne es zu
merken."
Umso irritierter ist Kastanakis, dass die milliardenschweren Hilfspakete
aus Brüssel zuallererst den Banken zugutekommen, von denen keinerlei
Impulse ausgingen. "Die griechischen Banken haben doch Angst, dass sie
selber eingehen." Viele von ihnen sind Gläubiger beim klammen Staat.
Auf die Krise reagiert Kastanakis mit Umtriebigkeit. Seit Wochen kämpft er
über die Deutsch-Griechische Handelskammer und andere Dachorganisationen
für einen Fonds, der Unternehmen wie dem seinen schnell und unbürokratisch
bei einem Neustart helfen soll. Die Idee stammt vom Direktor der Athener
Börse, der Anfang Juli bei einer Konferenz die Regierung von dem Plan
überzeugen will.
"Das wäre ein hochverzinster Fonds, in den Risikokapital eingezahlt würde",
beschreibt Kastanakis das Modell. "Die Unternehmen, die bisher noch nicht
vollständig von der Krise erledigt worden sind, könnten daraus Zuschüsse
für neue, natürlich geprüfte Geschäftsmodelle bekommen." Mit den
griechischen Banken dürfe der Fonds allerdings ebenso wenig zu tun haben
wie mit der Regierung. "Eine ausländische Bank müsste da die Führung
übernehmen, die griechischen Institute wären dafür nicht geeignet."
Für die Zukunft seiner eigenen Firma hat Kastanakis indes eine noch größere
Vision. "Das betrifft ganz einfach die Verlagerung des Desertec-Projektes
nach Griechenland", erklärt er nüchtern und grinst. Statt in der Sahara
solle europäischer Strom auf europäischem Boden produziert werden –
vorzugsweise in Griechenland. "Die für Desertec geplante Investition von
400 Milliarden Euro würde sofort die Probleme von Griechenland und vom
übrigen Europa lösen."
Altkanzler Helmut Schmidt und Finanzminister Wolfgang Schäuble hätten
kürzlich erklärt, Griechenland solle Europas Energiezentrum werden. "Das
wäre eine Idee", sagt Kastanakis mit träumerischem Ausdruck im Gesicht,
"die wirklich alle Probleme lösen würde – auch für mein Unternehmen."
24 Jun 2011
## AUTOREN
Marc Engelhardt
## TAGS
Griechenland
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