# taz.de -- Genderforscherin über Kicken in Brasilien: „Noch ist Fußball ei… | |
> Der Fortschritt ist immer langsam und widersprüchlich, auch im Land von | |
> Kickerlegenden wie Pelé und Marta. Das sagt Caitlin Fisher, Exfußballerin | |
> und Genderforscherin. | |
Bild: Fördert das liberale Brasilien: Fußballstar Marta | |
taz: Frau Fisher, warum sind Sie 2004 nach Brasilien gegangen, um beim | |
Pelé-Klub FC Santos Fußball zu spielen? | |
Caitlin Fisher: Ich hatte vorher in der „College Soccer“-Liga der USA | |
gespielt. Weil es damals keine professionelle Liga in meiner Heimat gab, | |
wollte ich meine Karriere im Land des Fußballs fortführen. Allerdings | |
stellte sich in Santos schnell heraus, dass Frauenfußball in Brasilien | |
gegen viele Vorurteile zu kämpfen hatte. Fußball galt als reiner | |
Männersport. | |
Wie zeigte sich das konkret? | |
Wir hatten zum Beispiel keinen eigenen Trainingsplatz und mussten neben | |
einer Autobahn trainieren, wo wir von Autofahrern ausgelacht wurden. Das | |
einzige, was wir mit den Männern des FC Santos gemein hatten, waren die | |
Trikots. Allerdings handelte es sich dabei um alte, ausgeleierte Hemden der | |
Männer. | |
Haben die brasilianischen Medien in dieser Zeit über Frauenfußball | |
berichtet? | |
Ein einziges Mal: Das war, als ich als neue Spielerin präsentiert wurde – | |
die einzige Ausländerin in der brasilianischen Liga. | |
Nach einem Jahr in Brasilien sind Sie in die schwedische Liga gewechselt. | |
Weshalb sind Sie schließlich 2010 nach Brasilien zurückgekehrt? | |
Weil einige der Spielerinnen gute Freundinnen geworden waren. Und weil ich | |
in der Zwischenzeit meinen Master in Gender Studies gemacht hatte und die | |
Veränderungen im Frauenfußballs Brasiliens in einem Multimediaprojekt | |
dokumentieren wollte. | |
Was hatte sich denn in den sechs Jahren verändert? | |
Vieles. Das Santos-Frauenteam scheint als Teil des Klubs anerkannt. Es gibt | |
einen Sponsor, und wir dürfen im Santos-Stadion trainieren. Ich dachte am | |
Anfang, dass sei ein entscheidender Schritt in Richtung | |
Geschlechtergleichberechtigung – ähnlich wie mit Dilma Rousseff die erste | |
Frau zur Präsidentin des Landes gewählt wurde oder unlängst | |
gleichgeschlechtliche Ehen anerkannt wurden. | |
Aber das sind doch auch positive Veränderungen, oder? | |
Stimmt – aber unter der Oberfläche verläuft die Entwicklung | |
widersprüchlicher. Was sich vor allem geändert hat, ist das Bild des | |
Frauenfußballs. Jahre zuvor galten kickende Frauen in Brasilien als | |
Mannweiber und per se lesbisch. Viele meiner Spielkameradinnen berichteten | |
mir von den Kämpfen, die sie mit ihren Familien austragen mussten, weil sie | |
Fußball spielen wollten. | |
Und heute? | |
Jetzt wird von den Fußballerinnen erwartet, dass sie sich ein | |
hyperfeminines Image geben. | |
Welche Folgen hat das? | |
Dass nun eine Art athletische Weiblichkeit eingefordert wird, wie sie in | |
der westlichen Kultur verbreitet ist: Frau muss fit und stark sein, | |
zugleich gut aussehen und heterosexuell sein. Das ist das, was das | |
Marketing und die Medien sehen wollen. | |
Und wie reagieren die brasilianischen Fußballerinnen auf diese Entwicklung? | |
Mittlerweile schminken und parfümieren sich viele, bevor sie auf den Platz | |
gehen. Außerdem tragen auf einmal alle lange Haare – auch diejenigen, die | |
mir Jahre vorher noch geschworen hatten, sie würden sich ihre Haare nie | |
wieder im Leben lang wachsen lassen. | |
Macht der FC Santos Vorschriften zum Styling? | |
Dessen Management macht sie nicht, nicht wie andere Vereine, aber die | |
Spielerinnen sagen: Die Medien und Sponsoren wollen es so – und am Ende | |
verdienen wir dadurch auch mehr Geld. | |
Können die Spielerinnen denn allein vom Fußball leben? | |
Beim FC Santos die meisten schon, aber auch nur, weil hier viele | |
Nationalspielerinnen tätig sind. Immerhin hat sich für alle Vereine das | |
organisatorische Umfeld deutlich verbessert. Mittlerweile gibt es auch eine | |
Landesmeisterschaft. | |
Marta, eine der weltbesten Fußballerinnen, spielt gelegentlich auch für | |
Santos. | |
Ja, aber nur, wenn die Profiliga in den USA Pause macht. Marta ist eine | |
unvergleichbare Fußballerin und dazu ein außergewöhnlicher Mensch. Sie ist | |
ein Rollenmodell und hat den Frauenfußball in Brasilien unglaublich | |
popularisiert. | |
Auch eine wie Marta wird allein kaum die männlichen Vorurteile aus der Welt | |
schaffen können? | |
Am Anfang von gesellschaftlichen Transformationen hängt zumindest viel an | |
einzelnen Persönlichkeiten, die bestimmte Entwicklungen vorantreiben. | |
Brasilien ist ein Land voller Widersprüche – so ist es auch im Fußball: Es | |
gibt bei den Frauen große Fortschritte, aber zugleich gilt der Fußball zum | |
Teil immer noch als letzte Bastion des „Machismo“. Brasilien hat aber auch | |
große Potenziale und eine liberale Seite. In diesen Kämpfen sehe ich | |
Chancen für Veränderungen. Am Ende wird auch der Männerfußball seine | |
Homophobie, seine engen Genderdefinitionen überwinden müssen. | |
Marta zum Trotz: Bisher fehlt den Brasilianerinnen noch ein großer Titel. | |
Wie schätzen Sie die Seleção bei dieser WM ein? | |
An der Seite Martas stürmt mit Cristiane eine weitere Weltklassetorjägerin. | |
Und neben erfahrenen Spielerinnen wie Formiga gibt es junge, international | |
noch unbekannte Talente. Ich liebe jedenfalls die spontane Art, wie die | |
Brasilianerinnen spielen – ob das alles für den Titel reichen kann … keine | |
Ahnung. | |
6 Jul 2011 | |
## AUTOREN | |
Ole Schulz | |
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