| # taz.de -- Politik und Fußball: Keiner rennt in die Kabinen | |
| > Bei einer Männer-WM verwandeln sich Bundestagsdebatten in | |
| > Fußballfachdiskussionen. Bei der Frauen-WM hingegen schweigen die meisten | |
| > Politiker. Warum? | |
| Bild: Fußball ist unser Leben: Merkel & Co. beim Eröffnungsspiel der Frauen-WM | |
| BERLIN taz | Sabine Bätzing-Lichtenthäler hört nichts. Sie nähert sich dem | |
| Bildschirm, hält ihren Kopf an die Lautsprecher; jetzt, endlich, wehen | |
| Schnipsel des Kommentars an ihr Ohr; es bleibt fast tonlos, Lira Bajramaj | |
| läuft sich gerade warm. Bätzing dreht sich wieder vom Fernseher weg, geht | |
| ein paar Schritte zurück und setzt sich auf einen Holzstuhl; von hier aus | |
| hört sie wieder nichts. Sie sagt: „Tja, sehr leise.“ | |
| Sabine Bätzing ist eine junge SPD-Bundestagsabgeordnete aus dem | |
| Sportausschuss, und zwischen ihr und dem Fernseher stehen jetzt einige | |
| Sozialdemokraten, die die Sicht versperren, sich laut unterhalten, Gläser | |
| schwenken und ihre Blicke in alle Richtungen lenken. Wenn sie das deutsche | |
| Nationalteam sehen will, streckt sich die Abgeordnete dem Bildschirm | |
| entgegen. | |
| Dienstagabend, Deutschland spielt Fußball gegen Frankreich, und die SPD | |
| feiert im Berliner Regierungsviertel an der Spree bei Steak, Weißwein und | |
| bestem Wetter ihr Hoffest. Man bekommt den Eindruck: Die Weltmeisterschaft | |
| und die Politik, das sind an diesem Abend zwei ganz unterschiedliche | |
| Ereignisse. Es gibt keine Schnittmenge, außer Sabine Bätzing; denn die | |
| Politik begeistert sich an diesem Abend um kurz vor neun nicht für den | |
| Frauenfußball. | |
| ## Männerfußball wird politisiert | |
| Vor einem Jahr, ebenfalls auf dem Hoffest, lief gerade die WM der Männer, | |
| da spielte Portugal gegen Spanien. Die SPD übertrug auf einer Leinwand, es | |
| war ein Großereignis. Wenn die Männer-Fußball-WM ansteht, verfolgt und | |
| kommentiert fast jeder Politiker das Ereignis und lädt es damit politisch | |
| auf – nicht nur bei Sozialdemokraten. | |
| Ein Blick zurück ins Jahr 2006, zur letzten Weltmeisterschaft in | |
| Deutschland. Da wurde eine ganze Haushaltsdebatte unter dem Eindruck der | |
| Fußball-WM geführt: Kanzlerin Merkel versuchte, die allgemeine Euphorie auf | |
| die Staatsfinanzen zu übertragen, und sagte: „Wenn ich sehe, welches | |
| Potenzial an Begeisterung in diesem Land steckt, wird mir nicht bange um | |
| die anderen Herausforderungen des Landes.“ | |
| Auch FDP-Mann Rainer Brüderle verpackte seine Oppositionsattacken in die | |
| Fußballsprache: Wenn man sich die vielen Deutschlandfahnen anschaue, | |
| sinnierte der heutige Fraktionschef, wisse man, dass die Deutschen eben | |
| nicht nur Schwarz und Rot, sondern auch die liberale Farbe Gelb haben | |
| wollten. Und direkt nach der WM schlug gar die Grüne Renate Künast Teamchef | |
| Jürgen Klinsmann als Ehrenbürger Berlins vor – auch sie schreckte nicht | |
| davor zurück, ein wenig von der prima Atmosphäre auf sich zu lenken. | |
| Zurück in die Gegenwart, zum SPD-Hoffest. Dort sagt Sabine Bätzing, dass | |
| „ja schon auch Begeisterung da ist“. Frauenfußball würde jetzt ernst | |
| genommen werden, und „es gibt ja auch wieder Fähnchen an Autos“. Und warum | |
| ist diese Fußball-WM kein so politisches Ereignis wie eine Männer-WM? „Na | |
| ja, Merkel und Wulff waren ja beim Eröffnungsspiel“, das sei doch schon ein | |
| gutes Zeichen gewesen. Aber es stimme schon, sagt sie: „Erst beim Finale | |
| sind sie wieder alle da, klar.“ | |
| ## „Momentan ist das Verhalten angemessen“ | |
| Wenn die Mannschaft Erfolg habe, erhöhe sich automatisch die | |
| Aufmerksamkeit. Also ist die Frage der Politisierung auch eine des Erfolgs | |
| und der Resonanz auf der Straße? „Wenn die Begeisterung | |
| gesamtgesellschaftlich greift, steigert sich auch die Aufmerksamkeit im | |
| Regierungsviertel“, sagt Karl-Rudolf Korte von der Universität | |
| Duisburg-Essen, als Politikwissenschaftler Experte für alles Funktionieren | |
| des Politischen, „momentan ist das Verhalten der Politik angemessen.“ Zudem | |
| werde dort positiv über die WM gesprochen. Auch Bundespräsident und | |
| Kanzlerin hätten sich beim Eröffnungsspiel schließlich emotional gezeigt: | |
| „Es ist verständlich, dass jetzt noch niemand in die Kabinen rennt“, sagt | |
| Korte. | |
| In die Kabinen nicht, aber immerhin: zum Team. Am Donnerstag hat Kanzlerin | |
| Angela Merkel die Nationalmannschaft in Wolfsburg besucht, besuchte sogar | |
| am Tag zuvor das Spiel zwischen Schweden und den USA. Aber jetzt weilt sie | |
| vor dem Viertelfinale gegen Japan (Samstag, 20.45 Uhr in Wolfsburg) bei den | |
| DFB-Frauen, weil sie bei der Partie nicht live dabei sein kann. Dabei | |
| beklagte sie sich darüber, dass sie ihre Fußballbegeisterung nicht mit dem | |
| Ehemann teilen könne. Ein kleiner politischer Kniff mag in dieser Aussage | |
| gelesen werden: Die Männer interessieren sich nicht, könnte sie gemeint | |
| haben, nur ich, die oberste Fußballbegeisterte des Landes. | |
| Ist es jetzt so weit, dass Fußball doch noch politisch wird? Beim Hoffest | |
| der SPD fanden beide Welten mit jedem Tor ein wenig näher zueinander. Je | |
| später, desto voller wurde es vor den drei Fernsehern. Am Ende wurden die | |
| Jubelrufe bei jedem Tor lauter, die Gespräche verstummten, 4:2 für | |
| Deutschland. | |
| Im Jahr 1954, dem Jahr des ersten deutschen Titels bei einer | |
| Fußballweltmeisterschaft, schaute kein bundesdeutscher Politiker das Finale | |
| im Berner Wankdorfstadion. Auch bei der Rückkehr der DFB-Mannen nach | |
| München, immerhin mit Siegestrophäe, ließ sich Kanzler Konrad Adenauer | |
| nicht blicken. Von Fußballern wollte man nichts wissen in Bonn. | |
| Die deutsche Fußballnationalmannschaft der Männer gab es damals 46 Jahre, | |
| 17 Jahre länger als das Frauenteam heute. | |
| 10 Jul 2011 | |
| ## AUTOREN | |
| Gordon Repinski | |
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