Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Liebeskomödie "Herzensbrecher": Sie mag Pesto
> Regisseur Xavier Dolan überführt den Konkurrenzkampf einer romantischen
> Dreiecksgeschichte in die Philosophie der kriegerischen List:
> "Herzensbrecher".
Bild: Aus dem Lexikon der Rückschläge: Wenn man statt wie ersehnt in inniger …
Die Sprache, das wissen zuvorderst Leser von Roland Barthes, stellt die
Gleichwertigkeit von Liebe und Krieg heraus. Man will erobern, dem andern
einen Kuss oder wenigstens den Atem rauben, sein Gegenüber gefangen nehmen
wie sich gefangen nehmen lassen.
In diesem Sinne ist "Herzensbrecher", die zweite Regiearbeit des
kanadischen Wunderkinds Xavier Dolan, mindestens so sehr Kriegs- wie
Liebesfilm. Als entschlossene Kämpfer ziehen sie in die Schlacht: Francis
(von Dolan selbst gespielt) und seine gute Freundin Marie (Monia Chokri).
Beide wollen sie den blondlockigen Nicolas (Niels Schneider) erobern, den
sie gemeinsam auf einer Party kennen lernen.
Zur Kriegslist gehört, das eigene Begehren vor dem Konkurrenten zu
verschleiern. "Wie fandest du diesen Nicolas", fragt Marie in betonter
Beiläufigkeit Francis später. "Och, langweilig", antwortet dieser mit
vorgespieltem Überdruss. Gleichzeitig versucht jeder einzeln den Vormarsch
und bittet Nicolas um ein Rendezvous.
Wie es der Teufel will, stehen sie bei jeder Verabredung wieder zu dritt
da. Die Angriffslust wächst, die Eroberungstaktiken werden erbitterter, und
für die Zuschauer scheint es nur konsequent, dass Marie und Francis
schließlich die Visiere abnehmen und sich auf offener Straße in den Haaren
liegen. Nicolas währenddessen, ihr gemeinsames Objekt der Begierde,
schüttelt verständnislos den Kopf; vom Krieg hat er offensichtlich sowenig
Ahnung wie von der Liebe.
Gerade mal 22 Jahre alt ist Xavier Dolan, der hier wie schon bei seinem
vielfach ausgezeichneten Erstlingsfilm "Jai tué ma mère" von 2009 als
Hauptdarsteller auftritt, Regie führt, das Drehbuch geschrieben hat und als
Produzent verantwortlich zeichnet. Als habe ihm dieses Multitasking noch
nicht genügend künstlerische Kontrolle verschafft, tritt er in
"Herzensbrecher" zusätzlich noch als Cutter, Kostümbildner und Ausstatter
in Erscheinung. Filmemachen ist schon öfters mit Kriegführen verglichen
worden. Dolan muss wahres Feldherrentalent besitzen.
## Lexikon der Rückschläge und Niederlagen
Wobei das Schöne an "Herzensbrecher" ist, dass Dolan eben nicht nur den
militaristischen Geist der Liebeswerbung mit komödiantischen Überspitzungen
herausstellt, sondern gleichzeitig die große Verletzlichkeit der Verliebten
in präzise beobachteten Details in Szene setzt. Da ist das Zusammenzucken,
wenn der Angehimmelte unvermittelt einen Satz sagt wie "Ich koche heute
Pesto für meine Freundin". Der mutige Werber setzt nach und wiederholt:
"Deine Freundin?" Aber was, wenn er nur die Auskunft "Ja, sie mag Pesto"
zur Antwort bekommt?
Und was es an unaussprechlichen Liebesqualen noch so gibt: Da ist der
Terror, der von einem nicht läutenden Telefon ausgeht. Oder die Scham über
das eigene, nicht mehr löschbare Gestammel auf fremden Anrufbeantwortern.
Oder auch die einsam empfundene Enttäuschung, wenn man statt wie ersehnt in
inniger Zweisamkeit als kameradschaftliches Trio im Bett landet. Über weite
Strecken gleicht "Herzensbrecher" einem Lexikon der Rückschläge und
Niederlagen, die die Liebe so mit sich bringen kann.
Dass man dieser Aneinanderreihung nicht überdrüssig wird, liegt vor allem
an den beiden Hauptdarstellern. Ein Glücksfall, dass Monia Chakri dem
temperamentvollen Xavier Dolan an Ausdrucksstärke in nichts nachsteht.
Allein schon mit der Art, wie sie raucht, bringt sie alles an die
Oberfläche: Den trotzigen Stolz auf die eigenen Gefühle, den stillen
Schmerz über erlittene Zurückweisung und das widersinnige Weiterhoffen
gegen alle Chancen.
So viel ist da zu lesen, dass man auf die zwischendurch eingestreuten
pseudodokumentarischen Interviews, in denen andere junge Menschen direkt in
die Kamera von ihren Liebesobsessionen berichten, gut verzichten könnte.
Und man wird der vielen Zeitlupenaufnahmen im Takt der italienischen
Version von Chers Song "Bang Bang" ein bisschen müde. Andererseits ist man
aber auch froh, Alleskönner Dolan ein bisschen kritisieren zu können.
7 Jul 2011
## AUTOREN
Barbara Schweizerhof
## TAGS
Film
Xavier Dolan
Xavier Dolan
Filmstart
## ARTIKEL ZUM THEMA
Neuer Film von Xavier Dolan: Vakuum des Uneigentlichen
Xavier Dolan erzählt in seinem Film „Matthias & Maxime“ von unterdrückten
Sehnsüchten. Gefühle bleiben stumm, doch die Gesichter sprechen.
Filmstart „Mommy": Auszeit von der Nabelschnur
Im neuen Werk von Regie-Wunderkind Xavier Dolan versuchen Mutter und Sohn,
aus ihrer gestörten Beziehung auszubrechen.
Kinostart von „Sag nicht, wer du bist!“: Die wahren Dinge strahlen eisblau
Als Fremder reist Tom zur Beerdigung des eigenen Mannes: Xavier Dolans Film
„Sag nicht, wer du bist!“ ist ein Spiel mit Latenz und Eruption.
Filmstart „Laurence Anyways“: Schmetterlinge aus dem Mund
Hingebungsvoll erzählt der junge kanadische Regisseur Xavier Dolan in
seinem dritten Film „Laurence Anyways“ von einem Gendermix.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.