# taz.de -- Anja Stahmann, Grüne Sozialsenatorin in Bremen: "Ich kann nicht al… | |
> Bremen hat seit Juli als erstes Bundesland eine grüne Sozialsenatorin. Im | |
> Interview erzählt Anja Stahmann, wie das zusammenpasst und wo sie sparen | |
> will. | |
Bild: Will den Blick für die Normalität behalten haben: Anja Stahmann. | |
taz: Frau Stahmann, Sie sind die erste grüne Sozialministerin Deutschlands. | |
Worin unterscheiden Sie sich von einer SPD-Ministerin? | |
Anja Stahmann: Grüne Themen sind für mich Transparenz und | |
Verwaltungsmodernisierung. Ich möchte, dass jemand, der Rechtsansprüche auf | |
Hilfeleistungen hat und diese einfordert, nicht als Bittsteller empfangen | |
wird. | |
So ist es derzeit die Regel? | |
Nein, aber es gibt diese Kritik. Das höre ich immer wieder. Unsere | |
Bürgerbeauftragten gehen dem nach, aber wir wollen noch besser werden. | |
So wollen Sie beweisen, dass die Grünen, die als Besserverdiener-Partei | |
gelten, auch "sozial" können? | |
Ich habe schon als Abgeordnete bewiesen, dass ich einen Blick für alle | |
Menschen habe, dass ich frei bin von Scheuklappen. Ich komme ja selbst auch | |
nicht aus "besseren Verhältnissen". Das, was den Grünen zugeschrieben wird, | |
das bin ich einfach nicht. Als ich sieben Jahre alt war, wurde mein Vater | |
arbeitslos, und er ist gestorben, als ich 14 war. Wie meine Mutter das als | |
Alleinerziehende mit drei Kindern geschafft hat, da habe ich großen Respekt | |
vor. Sie hatte ja nur ihre Witwenrente. Ich musste mir deshalb auch mein | |
Studium zum großen Teil selbst finanzieren, und danach habe ich ganz normal | |
gearbeitet. Diesen Blick für die Normalität, den habe ich, glaube ich, | |
nicht verloren. | |
Muss die Mittelschicht um ihre Projekte bangen? Sie haben in einem | |
Interview sehr deutlich gesagt, dass Sie sich erst einmal um die kümmern | |
wollen, die es nötig haben. | |
Für die bin ich eben zuständig. In der Koalitionsvereinbarung haben wir uns | |
den Auftrag gegeben, dass wir das soziale Auseinanderdriften in Bremen | |
stoppen wollen. Das heißt, wir gucken, wo sind abgehängte Stadtteile, wo | |
gibt es Familien, um die wir uns besonders kümmern müssen, wo sind | |
Projekte, die wir ausbauen wollen. Bei einem beschränkten Haushalt heißt | |
das natürlich, dass wir Schwerpunkte setzen müssen. Ich halte es für | |
falsch, nicht zu sagen, dass wir sparen müssen. Das wäre nicht ehrlich. In | |
mein Zimmer werden viele mit Dackelblick und einem langen Wunschzettel | |
kommen und oft sehr überzeugenden Argumente haben, warum man an bestimmten | |
Stellen mehr Geld, mehr Personal braucht. | |
Und Sie werden nicht oft ja sagen können. | |
Ja, das kommt auf mich zu. Ich werde auch den Abgeordneten in der | |
Sozialdeputation oft sagen müssen "gute Idee, machen wir aber nicht, weil | |
wir es uns einfach nicht leisten können". | |
Gestalten können Sie als Sozialsenatorin ohnehin wenig, ohne Geld noch viel | |
weniger. Warum tun Sie sich das an? | |
Ich sehe das nicht so. Ich halte dieses Ressort für eins, in dem ich viel | |
gestalten kann. Dort, wo es um Menschen geht, kann man das. Mein Job ist, | |
von ihnen zu erfahren, wo der Schuh drückt. Auch wenn ich nicht alle | |
Wünsche erfüllen kann. | |
Welche können Sie erfüllen? | |
Wir werden den Kindergartenausbau weiter planen und dafür sorgen, dass es | |
mehr Betreuungsplätze gibt in Bremen. Und mehr Flexibilität. | |
Das heißt, auch Bremer und Bremerinnen können ihre Kinder mitten im Jahr | |
anmelden? | |
Das ist meine Perspektive. | |
Bis 2013 wollen Sie für 35 Prozent der Unter-Dreijährigen Betreuungsplätze | |
anbieten. Glauben Sie auch, dass der tatsächliche Bedarf größer sein | |
könnte? | |
Ja, das können 35 oder 40 Prozent sein oder auch 70, abhängig vom | |
Stadtteil. Ich bin mir sicher, dass wir auf lange Sicht eine höhere | |
Versorgungsquote haben werden. Das sehen wir schon heute in den | |
skandinavischen Ländern. Aber erst einmal müssen wir die 35 Prozent | |
schaffen. | |
Die Kleinsten erleben derzeit einen ständigen Wechsel: Zwei Jahre Krippe, | |
drei Jahre Kindergarten, vier Jahre Grundschule. | |
Ja, gut wäre eine Einrichtung, in der man länger bleibt, das hätte ich mir | |
für meine Kinder auch gewünscht. | |
An ein solches Reformvorhaben hat sich auch Rot-Grün in Bremen nicht | |
herangetraut. Und Sie, als Bildungspolitikerin, leiten jetzt das falsche | |
Ressort. | |
Vielleicht schafft es ja eine bildungsaffine grüne Sozialsenatorin das | |
anzuschieben. Wir wollen das auf jeden Fall an einzelnen Standorten testen. | |
Zurück zum Sparen: Die Linke wirft Ihnen vor, eine Liste bereit zu halten, | |
mit "Sozialprojekten, die demnächst von der Klippe springen sollen". | |
Das ist Quatsch. Eine solche Liste gibt es nicht. Was man machen muss, ist | |
beispielsweise im Jugendbereich gucken, ob die Angebote noch zeitgemäß | |
sind. Dafür muss man Jugendliche fragen, was sie suchen. Und dann kann es | |
sein, dass sich Anbieter auch mal etwas Neues überlegen müssen. | |
Beispielsweise etwas für muslimische Jugendliche machen? | |
Ich sehe nicht, dass wir da ein eigenes Projekt auflegen können. Aber ich | |
kann mir vorstellen, dass sich andere Anbieter für diese Jugendlichen | |
öffnen und sich verändern. | |
Als Abgeordnete haben Sie früher selbst jedes von Schließung bedrohte | |
Projekt mit Zähnen und Klauen verteidigt. | |
Das war meine Rolle, ja. Aber ich werde mich auch als Senatorin ganz stark | |
für die Kinder und Jugendlichen einsetzen, weil ich das sinnvoll finde. | |
Sie haben selbst bei Jugendprojekten gearbeitet. Haben Sie keine Sorge, zu | |
szenenah zu sein und nicht nein sagen zu können, wenn alte Mitstreiterinnen | |
kommen? | |
Nein, ich bin nach zwölf Jahren Parlamentsarbeit weit genug weg. Außerdem | |
gibt es einen für alle erkennbaren Rollenwechsel. Auch ich muss lernen, | |
dass ich ein Vorzimmer habe, das meine Termine koordiniert, damit ich nicht | |
in Anfragen ertrinke. Das ist eine Umstellung. | |
11 Jul 2011 | |
## AUTOREN | |
Eiken Bruhn | |
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