# taz.de -- Die Berliner Grünen im Wahlkampf: Die rote Renate | |
> Miese Umfragen, Witze von SPDlern, ein betrunkener Mitarbeiter: Es läuft | |
> schlecht für Renate Künast, die Berlin regieren will. Jetzt setzt sie auf | |
> das Label "sozial und gerecht". | |
Bild: Renate Künast ist eigentlich grün, versucht es derzeit aber politisch m… | |
BERLIN taz | Etwas läuft mächtig schief für [1][Renate Künast], wenn selbst | |
Grüne beim Kaffee lachend von Begegnungen mit Klaus Wowereit erzählen. Und | |
stolz Fotos auf ihrem Handy zeigen, auf dem Wowereit grinsend in der Mitte | |
steht. Irgendwie scheint der Mann selbst bei ihren Parteifreunden | |
anzukommen. | |
Die Grünen-Fraktionschefin müht sich seit Monaten darum, ein Rezept gegen | |
den Glamourfaktor des Regierenden Bürgermeisters zu finden, um ihn nach der | |
Berliner [2][Abgeordnetenhauswahl] im September zu beerben. Bisher | |
erfolglos. In Umfragen liegen die Berliner Grünen fünf Prozentpunkte hinter | |
Wowereits SPD, in Beliebtheitsrankings führt er unangefochten. "Viele | |
Berliner mögen Wowereits Performance", räumt Künast ein. "Aber sie sind | |
enttäuscht von der Bilanz seines Senates." | |
Da will sie ansetzen. Kompetenz gegen Strahle-Image. Jüngst hat sie ihrem | |
Wahlkampf den Stempel "sozial und gerecht" aufgedrückt, der Slogan prangt | |
auf dem Leitplakat mit ihrem Gesicht. Sie will die Regierungsparteien SPD | |
und Linkspartei ausgerechnet in ihrem ureigenen Feld stellen - ein gewagte | |
Strategie. | |
In ihrem [3][Wahlprogramm] haben die Grünen den Punkt "Solidarisches | |
Berlin" an den Anfang gesetzt. Sie versprechen, in begehrten Kiezen | |
Mietaufschläge zu deckeln, wenn Wohnungen frei werden, ebenso die Spanne | |
für Mieterhöhungen zu verkleinern. Sie wollen die Zusammenarbeit von | |
Sozialträgern verbessern, Jobcenter sollen "auf Augenhöhe" mit Arbeitslosen | |
umgehen. Sonderlich ambitioniert ist die Sozialoffensive jedoch nicht: Die | |
Initiative für Mietdeckelungen muss durch den Bundesrat, Bürokratieabbau | |
will jeder, und dass ausgerechnet Grüne - die Hartz IV im Bund beschlossen | |
- Sanktionen jetzt doof finden, entbehrt nicht einer gewissen Ironie. | |
Neu sei, dass man das Wortpaar der Spitzenkandidatin zugeordnet hätte, sagt | |
Grünen-Wahlkampfleiter Heiko Thomas. "Die Menschen verbinden mit Künast, | |
dass sie sich immer für Rechte von kleinen Gruppen eingesetzt hat, etwa in | |
ihrer Zeit als Verbraucherschutzministerin." In einer Umfrage habe sie hier | |
wesentlich höhere Kompetenzwerte erreicht als Wowereit. | |
1,1 Million Euro investieren die Grünen in ihren [4][Wahlkampf], doppelt so | |
viel wie 2006. Davon werden etwa 40.000 Plakate in der Stadt geklebt. Das | |
Duell mit der SPD ist für die Grünen auch eine ökonomische Herausforderung. | |
Die Leute von Wowereits SPD sitzen nach jahrzehntelanger Regierungszeit in | |
allen wichtigen Institutionen der Stadt, in Wohnungsgesellschaften, | |
Liegenschaften oder den Verkehrsbetrieben, was im Wahlkampf ungemein hilft. | |
In Künasts eigenen Team dagegen lief es zuletzt nicht gut. Sie musste vor | |
zwei Wochen ihren Wahlkampfmanager nach einer Alkoholfahrt feuern. Die | |
Ironie des Ganzen: Der Mann hatte ausgerechnet auf Wowereits Hoffest zu | |
viel gebechert. Seitdem wird unter Sozialdemokraten auf Empfängen gerne der | |
Witz gerissen: "Sind Grüne hier, die man betrunken machen kann?" | |
Aus dem Kopf-an-Kopf-Rennen ist in Umfragen in den vergangenen Monaten ein | |
klarer Vorsprung für die SPD geworden, ein Hauch von Verzweiflung weht | |
deshalb durch die Grünen-Parteizentrale. Spielentscheidend könne sein, sagt | |
ein Grünen-Stratege, ob die Linkspartei ihre WählerInnen im September | |
bindet. "Wenn relevante Gruppen zur SPD wandern, ist das Ding gelaufen." | |
Dabei stellen sich die Parteien auf einen Turbo-Wahlkampf ein: Die | |
Sommerferien enden Mitte August, am 18. September wird gewählt. Was dabei | |
herauskommt, ist offen wie selten. Liegt die SPD vorn, kann sie sowohl mit | |
CDU als auch mit Grünen koalieren. Schafft Künast den Überraschungssieg, | |
ist die Frage, ob die gedemütigte SPD als Juniorpartner mitmachen würde. | |
Neben einer großen Koalition rückt deshalb eine weitere Variante in den | |
Vordergrund: Grün-Schwarz. Künast hat diese Option nie ausgeschlossen - | |
obwohl Berlins CDU von sozialer Politik ganz eigene Vorstellungen hat. | |
17 Jul 2011 | |
## LINKS | |
[1] /1/berlin/artikel/1/von-der-fraktion-in-die-parteizentrale/ | |
[2] /1/berlin/artikel/1/aus-fuenf-mach-eins/ | |
[3] /1/berlin/artikel/1/kuenast-sucht-die-arbeits-formel/ | |
[4] /1/berlin/artikel/1/prinzipiell-sollten-vertraege-im-internet-nachlesbar-se… | |
## AUTOREN | |
Ulrich Schulte | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Berlinwahl 1: Koalitionen: Aus fünf mach eins | |
So offen war in Berlin noch nie, wer künftig regiert. Die Stimmabgabe am | |
18. September ist nichts als ein Aufgalopp für die entscheidenden | |
Koalitionsverhandlungen. | |
Wahlkampf: Künast sucht die Arbeits-Formel | |
Die Grünen wollen mit Öko-Industrie und Wissenschaft 100.000 Arbeitsplätze | |
schaffen. SPD und Linke erkennen in den Plänen die Fortschreibung ihrer | |
eigenen Politik. | |
Grüner Wahlkampf: Von der Fraktion in die Parteizentrale | |
Renate Künast benennt neuen Wahlkampfmanager. Dessen Vorgänger wurde nach | |
einer Alkoholfahrt beurlaubt. | |
Berlin-Wahl 2011: Gewinnen und verlieren mit Thilo Sarrazin | |
Im Kreuzberger Wahlkreis 3 treten zur Abgeordnetenhauswahl im September | |
vier türkeistämmige KandidatInnen gegeneinander an. Gegen Sarrazins | |
rassistische Thesen sind sie alle - auch der SPD-Mann. Doch dem könnte sein | |
umstrittener Parteifreund den Wahlkampf versauen | |
Renate Künast zur Berlin-Wahl: "Verträge sollten im Netz lesbar sein" | |
Die Grünen-Spitzenkandidatin in Berlin, Renate Künast, will Bürger mehr | |
mitreden lassen. Um zentrale Streitpunkte wie die A 100 aber dürfe man sich | |
in einem Koalitionsvertrag nicht drücken. | |
Berlin-Wahlkampf: Wirtschaft und Bildung ist eh klar | |
Erstmals kamen die Spitzenkandidaten von SPD, Grüne, Linke, CDU und FDP bei | |
einer Podiumsdiskussion zusammen. Das Ambiente: luxuriös, die Inhalte: | |
gering. | |
Umfragewerte zur Berlin-Wahl: Die Grünen und ihr K-Problem | |
Man könnte die Ergebnisse so zusammenfassen: Die SPD hat Klaus Wowereit, | |
die Grünen haben - ihr Programm. |