# taz.de -- Prozess um Elisabeth Käsemann: Endlich Gerechtigkeit! | |
> Mit einem Urteil in Argentinien ist nach 34 Jahren der Mord an Elisabeth | |
> Käsemann gesühnt worden. Sie ist eines von tausenden Opfern des | |
> Militärregimes. | |
Bild: Warten auf die Justiz: Menschenrechtsaktivisten und die Verwandten der Op… | |
34 Jahre nach der Ermordung Elisabeth Käsemanns in Argentinien hat ein | |
Gericht in Buenos Aires der Toten Gerechtigkeit widerfahren lassen: Am | |
Donnerstagabend wurden sieben Schergen der damals 30-jährige Studentin | |
verurteilt. Für die westdeutsche Öffentlichkeit wurde die Tochter des | |
Tübinger Theologieprofessors Ernst Käsemann nach ihrer Ermordung am 24. Mai | |
1977 das wohl bekannteste Gesicht jener 30.000 Menschen, die während des | |
argentinischen Militärregimes zwischen 1976 und 1983 umgebracht wurden. | |
"Lebenslänglich" bekamen nun zwei Offiziere: der 84-jährige General Héctor | |
Gamen und der 81-jährige Oberst Hugo Pascarelli. Fünf Wärter des | |
Folterlagers El Vesubio in dem Hauptstadtvorort Matanzas müssen Haftstrafen | |
von 18 bis 22,5 Jahren verbüßen. Die sieben Angeklagten wurden wegen | |
Verbrechen gegen die Menschlichkeit in 156 Fällen verurteilt. | |
Einer entging seiner Strafe: Pedro Durán Sáenz alias "Delta", der | |
Kommandant des berüchtigten Geheimlagers, eines von landesweit 600 Lagern. | |
Durán starb am 6. Juni im Alter von 76 Jahren. Obwohl ihm nachgewiesen | |
worden war, dass er schwangere Gefangene vergewaltigt hatte, hatte der | |
Angeklagte das Urteil in Freiheit erwarten dürfen, wie auch Gamen und | |
Pascarelli - in Untersuchungshaft befanden sich lediglich ihre | |
Untergebenen. | |
Die Stuttgarter Historikerin Dorothee Weitbrecht sieht in dem Urteil eine | |
"Rehabilitierung der Opfer und ein internationales Signal zur Wahrung der | |
Menschenrechte". Die Aufarbeitung der Diktatur bilde "das stabile | |
gesellschaftliche und politische Fundament für die Zukunft Argentiniens", | |
sagt Weitbrecht. | |
## Feierlichkeiten zum Prozessende | |
Der Vesubio-Prozess, der im Februar 2010 eröffnet worden war, endete mit | |
einem Fest, zu dem mehrere Rockbands aufspielten. Vor dem Gerichtsgebäude | |
in der argentinischen Hauptstadt hatten linke AktivistInnen, Studierende, | |
Gewerkschafter und Mitglieder der Gruppe H.I.J.O.S., in der Kinder | |
organisiert sind, deren Eltern während der argentinischen Militärdiktatur | |
"verschwanden", die Geschehnisse im Gerichtssaal auf einer Großleinwand | |
verfolgt. | |
"Für Außenstehende kann dieses Public Viewing in Feierstimmung etwas | |
Befremdliches haben", sagte der Berliner Menschenrechtsanwalt Wolfgang | |
Kaleck der taz, der sich seit Jahren im Fall Käsemann engagiert. "Aber nach | |
der oft jahrelangen Anspannung sind die Freude und Entlastung einfach | |
riesig." Die 156 Fälle, die vor Gericht behandelt wurden, seien nur eine | |
kleine Auswahl. | |
Drinnen fielen nach dem Urteil Überlebende und Angehörige einander in die | |
Arme, 150 von ihnen hatten ausgesagt. "Es lebe das Vaterland!", schmetterte | |
trotzig ein Verwandter der Verurteilten von den Rängen. Als Replik ertönten | |
Sprechchöre: "Es ergeht euch wie den Nazis, wir suchen euch, wohin ihr auch | |
geht", und: "30.000 Compañeros sind da!" | |
Das öffentliche Interesse konzentrierte sich auf die Schicksale prominenter | |
"Verschwundener", die zuletzt im Lager gesehen worden waren, etwa den | |
Schriftsteller Haroldo Conti oder den bekannten Comicautor Héctor | |
Oesterheld, der wie seine vier Töchter seinen Einsatz für die | |
linksperonistische Montonero-Guerilla mit dem Leben bezahlte. | |
## In der "Hölle" ermordet | |
So enthusiastisch das einstimmige Urteil der drei Richter auch gefeiert | |
wurde - der Vesubio-Prozess ist nur einer unter vielen, seitdem 2005 der | |
Oberste Gerichtshof die Aufhebung der Amnestiegesetze durch Präsident | |
Néstor Kirchner bestätigt hat. In Südamerika betreibt Argentinien die | |
Aufarbeitung der Diktaturvergangenheit mit Abstand am konsequentesten: Seit | |
2005 wurden 1.755 Personen wegen politischer Verbrechen angeklagt, 191 von | |
ihnen zu Haftstrafen verurteilt und nur 15 freigesprochen. Elisabeth | |
Käsemann ist eher Eingeweihten ein Begriff - immerhin sollen mindestens | |
1.500 linke Oppositionelle in El Vesubio gefoltert worden sein. | |
In Westdeutschland verkörperte Käsemann die Lateinamerika-Begeisterung | |
vieler junger Linker. Ab 1968 arbeitete sie in bolivianischen und | |
argentinischen Armenvierteln. "Ich bin dabei, mich mit dem Schicksal dieses | |
Kontinents zu identifizieren", schrieb sie ihren Eltern, "vielleicht wird | |
das zu Entscheidungen führen, die Ihr nicht versteht oder die Euch viel | |
Kummer bereiten könnten." | |
Nach dem Putsch im März 1976 half sie Verfolgten, außer Landes zu kommen. | |
Ein Jahr später wurde sie selbst verhaftet und wochenlang gefoltert. Eine | |
Woche verbrachte sie in El Vesubio, auch als "Hölle" bezeichnet. In der | |
Nacht zum 24. Mai wurde sie mit 15 anderen verschleppt und ermordet, dann | |
gaben die Militärs sie als "Terroristin" aus. | |
## Die BRD blieb untätig | |
Auch aus deutscher Sicht ist der Prozess bemerkenswert; die Bundesrepublik | |
war Nebenkläger - eine kleine, symbolische Wiedergutmachung. Während andere | |
Länder erfolgreich auf die Freilassung ihrer Bürger drängten, blieb die | |
Bonner Diplomatie damals untätig. "Ein verkaufter Mercedes wiegt zweifellos | |
mehr als Leben", sagte Ernst Käsemann bitter. | |
Heute werten die Angehörigen die Verurteilung als Ermutigung. "Nach mehr | |
als 30 Jahren kommen Menschenrechte und Rechtsprechung doch noch zum Zug", | |
sagte Käsemanns Schwester Eva Teufel am Freitag. Und Historikerin | |
Weitbrecht hofft, dass das Auswärtige Amt mit der Aufarbeitung seiner | |
Geschichte in den 70er und 80er Jahren beginnt. Weitbrecht war das | |
Patenkind Elisabeth Käsemanns. Im März 1977 erhielt die Zehnjährige eine | |
Karte ihrer Patentante aus Argentinien. Es war das letzte Lebenszeichen. | |
15 Jul 2011 | |
## AUTOREN | |
Gerhard Dilger | |
## TAGS | |
Argentinien | |
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