# taz.de -- Prozesse gegen Argentiniens Junta: "Wir werden präsent sein" | |
> Anwalt Wolfgang Kaleck reist nach Buenos Aires. Bei den Verfahren gegen | |
> argentinische Militärs ist die Bundesrepublik Nebenklägerin. Im Fall | |
> Käsemann hatte sie zur Junta-Zeit Hilfe unterlassen. | |
Bild: Diana Austin überlebte mithilfe der US-Botschaft. In der Hand ein Portr�… | |
taz: Herr Kaleck, Sie sind auf dem Weg nach Buenos Aires, wo Sie als | |
Prozessbeobachter erwartet werden. Worum geht es bei den jetzigen Verfahren | |
in Argentinien ? | |
Wolfgang Kaleck: Die in Argentinien ruhenden Strafverfahren wegen | |
Verbrechen während der Diktatur von 1976 bis 1983 werden wiederaufgenommen. | |
Darunter einige Fälle, die wir seit 1998 in Deutschland juristisch | |
ermitteln ließen. Wir betreiben seit 12 Jahren mit der "Koalition gegen | |
Straflosigkeit" Verfahren in Deutschland gegen argentinische Militärs. Mit | |
der Prozessbeobachtung wollen wir das deutsche und europäische Interesse an | |
den Verfahren ausdrücken. | |
Fälle, die Sie in Deutschland ermitteln ließen, werden jetzt in Argentinien | |
verhandelt? | |
Sie sind Teil der Anklagen gegen hochrangige Militärs. Wir haben mit dem | |
Mandat von deutschen Diktaturopfern und deren Angehörigen in vierzig Fällen | |
Anzeige erstattet, die die Staatsanwaltschaft in Nürnberg/Fürth betrieben | |
hat. Unser großes Vorbild waren die von Spanien aus geführten Verfahren | |
gegen Angehörige der ehemaligen Militärdiktaturen. Insbesondere die | |
Festsetzung Pinochets 1998 in London hatte Signalwirkung. Die Verfahren in | |
Deutschland führten zu Haftbefehlen gegen hochrangige Militärs und | |
verstärkten den Druck zur Wiederaufnahme der Verfahren in Argentinien. Nach | |
dem Ende der Militärdiktatur wurde der Junta zwar 1985/86 der Prozess | |
gemacht, aber bald wurden die Amnestiegesetze erlassen. In den Jahren der | |
Straflosigkeit entschied sich die argentinische Menschenrechtsbewegung, | |
europäische Gerichte anzurufen und auch in Deutschland Prozesse gegen die | |
Militärs anzustrengen. Die Regierung von Nestor Kirchner hob dann 2003 die | |
Amnestiegesetzgebung wieder auf. | |
In der Koalition gegen Straflosigkeit beschäftigen Sie sich als Anwalt mit | |
deutschstämmigen Opfern der argentinischen Militärdiktatur. Was ist das | |
Besondere an dieser Opfergruppe? | |
Die Militärs ließen 30.000 Menschen verschwinden. Es gab aus allen | |
europäischen Staaten Opfer. Wir wollen die etwa einhundert Opfer mit | |
deutschem Hintergrund nicht privilegiert behandelt sehen, sondern sahen in | |
der Verbindung zu Deutschland eine rechtliche Möglichkeit, national zu | |
agieren, um internationale Effekte zu erzielen. In Argentinien war es in | |
den 1990er-Jahren nicht möglich, die Militärs vor Gericht zu stellen. | |
Diese Woche soll auch das Verfahren im Mordfall der Tübinger | |
Theologentochter Elisabeth Käsemann neu aufgerollt werden. Welche Bedeutung | |
kommt diesem Fall zu? | |
Der Mordfall Elisabeth Käsemann war einmal der bekannteste in Deutschland. | |
Er hatte Ende der 1970er-Jahre zu einer starken Solidaritätsbewegung | |
geführt. Der damalige westdeutsche Außenminister Hans-Dietrich Genscher und | |
die sozialliberale Regierung Helmut Schmidts wurden stark kritisiert. | |
Was war mit Elisabeth Käsemann in Argentinien geschehen? | |
Die junge Frau aus Deutschland wurde am 8. oder 9. März 1977 gemeinsam mit | |
einer Kampfgefährtin in Buenos Aires verhaftet. Sie war nach ihrem Studium | |
nach Argentinien gegangen und hatte sich dort in der Linken engagiert. Nach | |
dem Militärputsch 1976 schloss sie sich dem Widerstand an. Sie war im | |
Untergrund tätig, verschaffte Oppositionellen Pässe. Dann wurde sie | |
verhaftet. Zwei Kolleginnen von ihr, eine französische und eine | |
US-amerikanische Staatsbürgerin, wurden dank des Engagements ihrer | |
Botschaften gerettet. Nach unserer Auffassung tat das Auswärtige Amt 1977 | |
hingegen nicht alles, um Elisabeth Käsemanns Leben zu retten. Elisabeth | |
Käsemann wurde nach wochenlanger Folterhaft im Lager "Vesubio" von den | |
Militärs in einem fingierten Feuergefecht am 24. Mai 1977 ermordet. | |
Was meinen Sie mit "fingiertem Feuergefecht"? | |
Die Militärs versuchten, den Tod von Käsemann und anderen als eine Folge | |
von Kampfhandlung in der Nähe des Ortes Monte Grande darzustellen. Dagegen | |
sprechen Zeugenaussagen von Mitgefangenen, die Elisabeth Käsemann noch | |
lebend im Folterlager sahen. Gerichtsmedizinische Untersuchungen belegen, | |
dass ihr mehrfach in den Nacken geschossen wurde. Die sozialliberale | |
Bundesregierung ist damals auch nach Bekanntwerden dieser offensichtlichen | |
Widersprüche erst viel zu spät bei der Junta vorstellig geworden, was auch | |
zu einer Anzeige gegen das Auswärtige Amt führte. | |
Warum wird nun ausgerechnet der Fall Elisabeth Käsemanns nach über 32 | |
Jahren in Buenos Aires neu verhandelt? | |
Dieser Fall wird deswegen neu verhandelt, da es ausgesprochen klare Beweise | |
für den Mord gibt. Die Technik der Militärs bestand zumeist darin, die | |
Leute verschwinden zu lassen. Im Falle Elisabeth Käsemanns hat man | |
ausnahmsweise eine Leiche aufgefunden. Man kann aufgrund der Zeugenaussagen | |
ihren vorherigen Lageraufenthalt belegen, die Folter nachweisen. Die in | |
Deutschland durchgeführten gerichtsmedizinischen Untersuchungen | |
widersprechen einer angeblichen Gefechtssituation. Angesichts der | |
schwierigen Ermittlungssituation in Argentinien stellt dies eine gute | |
Beweislage dar. Dies hatte auch dazu geführt, dass in Deutschland am 28. | |
November 2003 das Amtsgericht Nürnberg/Fürth einen Haftbefehl gegen die | |
früheren Juntachefs Jorge Rafael Videla und Emilio Massera erließ. Der | |
Haftbefehl mündete in ein Auslieferungsbegehren der Bundesrepublik | |
Deutschland gegen Videla und Co. Und auch das ist jetzt ein Novum: Bei dem | |
in Buenos Aires stattfindenden Käsemann-Prozess tritt die Bundesrepublik | |
mit einem argentinischen Anwalt als Nebenkläger auf. | |
Wie lange, schätzen Sie, dürfte der Prozess vor dem Bundesgericht in Buenos | |
Aires dauern? | |
Der Prozess gegen Angehörige des Ersten Heereskorps ist genauso wie der | |
letzten Freitag angelaufene Prozess wegen der im geheimen Folterzentrum | |
ESMA begangenen Verbrechen sehr komplex. Es geht um hunderte von | |
Straftaten. Wir rechnen mit einer mindestens halbjährigen Prozessdauer. | |
Werden Sie die Prozesse über den gesamten Zeitraum als Beobachter | |
begleiten? | |
Wir sind jetzt zum Prozessauftakt da und werden sicherlich immer wieder | |
präsent sein. Zum Beispiel wenn Familienangehörige von Frau Käsemann sowie | |
ihre überlebenden Begleiterinnen gehört werden. Viele Zeugen fühlen sich | |
nach wie vor bedroht und wünschen vor Gericht begleitet zu werden. | |
Sie betreuen auch deutsch-jüdische Opfer wie Adriana Marcus, die in der | |
berüchtigten ESMA in Buenos Aires gefoltert wurde. Ihr Fall ist Teil des | |
ESMA-Verfahrens. Sie soll im Laufe des Prozesses aussagen. Wie gefährlich | |
ist das für sie? | |
Vor drei Jahren verschwand der Zeuge Julio Lopez spurlos. Er war der | |
wichtigste Belastungszeuge in dem Verfahren gegen den früheren Polizeichef | |
der Provinz Buenos Aires. Auch in den ländlichen Regionen werden immer | |
wieder Zeugen bedroht. Wir hoffen allerdings, dass der Fall Lopez ein | |
Einzelfall bleibt. Aber natürlich wurden dadurch auch andere Zeugen massiv | |
beunruhigt. Bei vielen Diktaturopfern kamen die ganzen alten Geschichten | |
wieder hoch. | |
Wie ist das nun bei Adriana Marcus? Ihren Fall hatten sie ja auch versucht, | |
in Deutschland zur Anklage zu bringen? | |
Adriana Marcus befindet sich in einer besonders ausgesetzten Situation, da | |
sie in einer Kleinstadt in Patagonien lebt und sie auf den Schutz der | |
Anonymität einer Großstadt wie Buenos Aires nicht rechnen kann. | |
Aber sie wird trotzdem aussagen? | |
Es fällt ihr wie vielen anderen Folterüberlebenden nicht leicht. Aber sie | |
wird es tun. Fast alle Betroffenen sind davon überzeugt, dass die jetzigen | |
Verfahren sinnvoll sind. Das Schicksal vieler Verschwundener ist ja bis | |
heute ungeklärt, die Verbrechen sind ungesühnt. | |
Gibt es in Deutschland in diesem Zusammenhang eigentlich noch weitere | |
offene Verfahren? | |
Ja, denn die Haftbefehle des Amtsgerichts Nürnberg sind nach wie vor in der | |
Welt. Videla ist der bekannteste Fall. Er wird deswegen per Interpol | |
gesucht. Argentinien kann er nicht mehr gefahrlos verlassen. | |
15 Dec 2009 | |
## AUTOREN | |
Andreas Fanizadeh | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |