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# taz.de -- Europa wehrt Flüchtlinge ab: Afrikanische Odyssee im Mittelmeer
> Die EU wehrt sich mit Händen und Füßen gegen eine Aufnahme von
> schiffbrüchigen Afrikanern. Und offenbart dabei nur eins: eine brutale
> Erbarmungslosigkeit.
Bild: Lampedusa sagt: Die Aufnahmekapazitäten sind erschöpft.
BREMEN taz | Es war der Morgen des 11. Juli, als ein zypriotischer
Schlepper die Meldung durchgab: 114 Afrikaner, unter ihnen vier schwangere
Frauen, treiben in einem überfüllten Holzboot auf See, ohne Wasser, ohne
Nahrung, der Motor ausgefallen. Gestartet waren sie vier Tage zuvor im
libyschen Az-Zawiyah, nun fanden sie sich rund 100 Meilen nördlich auf dem
Mittelmeer. Das Kommando der Nato-Mission Unified Protector in Neapel, das
seit März die Blockade der libyschen Küste befehligt, schickte die
spanische Fregatte "Almirante Juan de Borbón" aus.
Die Besatzung nahm die Schiffbrüchigen auf, gab ihnen Wasser und Nahrung -
und handelte sich ein veritables diplomatisches Problem ein. Denn ein Land,
das zur Aufnahme der aus Staaten südlich der Sahara, aus Libyen und
Tunesien stammenden Afrikaner bereit war, gab es nicht. Die Nato-Zentrale,
die Regierungen in Madrid, Rom, Valletta und Tunis schoben sich gegenseitig
den schwarzen Peter zu. Unter den Schiffbrüchigen war eine hochschwangere
Frau. Sie wurde kurz nach der Rettungsaktion einem Schiff der tunesischen
Marine übergeben - die Einfahrt in tunesische Hoheitsgewässer wurde den
Spaniern jedoch nicht gestattet.
Gemäß dem Seerecht ist für Schiffbrüchige der nächste sichere Hafen
zuständig. Lampedusa war 88 Seemeilen entfernt - doch die Italiener winkten
ab: Die Aufnahmekapazitäten seien erschöpft. Die Fregatte fuhr weiter nach
Malta. Doch auch dort war sie nicht willkommen. Die Regierung in Valletta
verweigerte die Einfahrt. Der Oberbefehlshaber der maltesischen
Streitkräfte, Martin Xuereb, sagte, dass das spanische Schiff ausreichend
ausgerüstet sei, um die Schiffbrüchigen zu versorgen. Es gebe keinen Grund,
sie an Land zu lassen. Die "Juan de Borbón" musste außerhalb der
maltesischen Gewässer warten.
## "Problem der Nato"
Am 13. Juli gestattete das maltesische Innenministerium schließlich, dass
ein querschnittsgelähmtes Kind, ein zehn Monate altes Baby sowie deren
Eltern mit einem Hubschrauber in das Krankenhaus von Valletta gebracht
wurden. Am nächsten Tag wurden eine hochschwangere Frau und ein
Jugendlicher mit einer Nierenkrankheit ausgeflogen - die übrigen 104
Geretteten mussten auf dem Schiff bleiben. Der maltesische Innenminister
Carmelo Mifsud Bonnici sagte, sie seien "das Problem der Nato, nicht das
von Malta". Als "souveräner Staat" erwarte Malta "Respekt".
Während die Spanier erklärten, auf Anweisungen der Nato zu warten, verwies
die Nato auf das Verteidigungsministerium in Madrid. Am 15. Juli
schließlich gab Tunis nach: Die verbliebenen 104 Afrikaner wurden in
internationalen Gewässern von dem tunesischen Patrouillenboot "Karthago"
aufgenommen und nach Tunesien gebracht.
Der Sprecher des UNHCR in Valletta, Jon Hoisaeter, sagte der Times of
Malta, es sei "bemerkenswert, dass sie in das "Land gebracht werden, das
den Löwenanteil der Flüchtlinge aus Libyen aufgenommen hat". Er wies darauf
hin, dass weniger als zwei Prozent der rund 700.000 libyschen
Bürgerkriegsflüchtlinge Europa erreicht hätten. In Tunesien sind Tausende
Libyen-Flüchtlinge in Wüstenlagern des UNHCR untergebracht. Die EU weigert
sich, einen Teil von ihnen aufzunehmen.
Der Leiter der Jesuiten-Flüchtlingsmission auf Malta, Pater Joseph Cassar,
nannte es "völlig inakzeptabel, dass Menschen auf der Flucht tagelang auf
See bleiben müssen, während Staaten sich über ihr Schicksal streiten". Die
Versuche, irreguläre Migration zu bekämpfen, dürften "nie auf Kosten der
Menschenrechte gehen". Ob ein Teil der 114 Schiffbrüchigen einen Asylantrag
stellen wollte, dazu machte Spanien keine Angaben. Wäre dies der Fall, dann
hätten Spanien, Italien und Malta gegen das "Non-Refoulment"-Gebot der
Genfer Flüchtlingskonvention verstoßen. Es verpflichtet alle
Unterzeichnerstaaten, Flüchtlingen die Möglichkeit zu geben, einen
Asylantrag zu stellen. Sie direkt zurückzuschieben verstößt gegen das
Völkerrecht.
21 Jul 2011
## AUTOREN
Christian Jakob
## TAGS
Schwerpunkt Flucht
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