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# taz.de -- Die Agrar-Initiativen (1): Tod im Scheißfeld
> Norddeutschland ist das Lieblingsspielfeld der Agrarindustrie. Immer mehr
> und immer größere Stallanlagen werden geplant - und gebaut. Aber die
> BürgerInnen lassen sich das nicht mehr gefallen: Die taz nord stellt
> Bündnisse, Initiativen und Vereine vor, die sich wehren. Heute:
> Trockenkot-Watching in Wriedel.
Bild: Zwei Trockenkothaufen bei Wriedel im Herzen des beschissenen Niedersachse…
Es klingt wie ein besonders abstruses Hobby. "Wir machen hier
Trockenkot-Watching", sagt Jorge Wittersheim. Und zwar beobachten, beproben
und kartografieren die Leute von der Bürgerinitiative Wriedel meterhohe
Haufen von Hühnerkot in der Landschaft - weil er je nach Wetter stinkt.
Weil er mit ekligen Kadavern versetzt ist. Weil das die Hunde kirre macht:
Beim Spaziergang stürzen die sich auf die Leichenteile. Manche sind krank
geworden.
Ausgebracht hat die großen unabgedeckten Dreckhaufen ein Agrarunternehmer,
der hier, in der Samtgemeinde Altes Amt Ebstorf, zwei Mastanlagen für je
40.000 Broiler errichten will. Schon jetzt bezieht er den getrockneten
Hühnerkot aus dem Emsland. Er lagert ihn in riesigen Haufen an seinen
Feldern. Verdient er sich n paar Groschen zusätzlich mit, pfiffig, nicht
wahr? Aber dann doch wieder nicht so schlau. Denn damit hat er den
Widerstand ja erst entfesselt.
Im Landkreis Uelzen leben kaum Berufsrevolutionäre. Aber wenn etwas dem
Hund schadet und dann auch noch stinkt - irgendwann ist der Bogen
überspannt. Dann treffen sich Leute, die sonst wenig miteinander gemein
haben wie der Afghanistan-erfahrene Offizier Guido Effner, der
linksalternative Kulturwissenschaftler Wittersheim und Melanie Horns, die
im Gesundheitswesen arbeitet, und gründen eine Initiative. Gegen die
Mastställe. Wegen des Drecks.
Scheiße ist ein naheliegendes, aber gern verdrängtes Thema: Wer in Scheiße
wühlt, macht sich unbeliebt, wer in die Scheiße tritt, zum Gespött. Und
hätten nicht immer schon die Bauern die Felder mit Mist gedüngt?
Bloß macht die Dosis das Problem, selbst bei den relativ emissionsarmen
Hühnern: Eine Hybrid-Legehenne produziert laut VDI-Richtlinie 3.472
monatlich nur 5,5, ein Broiler pro Mastdurchgang bloß 3,2 Kilo Kot. Den
durchlaufen in Niedersachsen aber 376.916.800 Tiere jährlich, Legehennen
gibts rund neun Millionen - macht 1,8 Milliarden Kilo Hühnerkacke, oder 38
Tonnen pro Quadratkilometer, mit unklarer medikamentöser Belastung, Tendenz
steigend. Über Rinder und Schweine reden wir ein andermal. Vorsicht! Nicht
reintreten! Ganz objektiv betrachtet ist das schöne Niedersachsen ein
reichlich beschissenes Bundesland.
"Die Initiativen-Arbeit", sagt Horns, "bewirkt auch, dass man sich mit dem
eigenen Verhalten auseinandersetzt." Sie zum Beispiel kauft jetzt kein
Billigfleisch mehr. "Das habe ich früher gemacht." Gegründet hat sich die
Ini erst im März, zwei Veranstaltungen gabs schon, mal mit 50, mal mit über
100 TeilnehmerInnen. Vielleicht fällt Verwaltung, Landkreis und
Samtgemeinde noch rechtzeitig ein, dass im September Kommunalwahlen sind.
Bislang aber haben die "eigentlich nichts gemacht", so Horns.
Wittersheim, der das Kot-Watching organisiert, hat die Rechtslage
recherchiert, sich ans Veterinär- und Gesundheitsamt gewandt, das ja für
Sachen wie Seuchenprävention zuständig ist. Darauf, den Boden auf Keime zu
beproben, hat man dort verzichtet, wohl ihm aber in der Abklingphase der
Ehec-Epidemie bestätigt, dass das mit den Leichenteilen im Prinzip illegal
ist. Es sei aber nicht zu beanstanden, solange "nicht über das übliche Maß
hinausgehende Tierkörperteile gefunden" würden. Nein, eine Definition des
üblichen Maßes gebe es nicht. Und außerdem gehören Hunde an die Leine.
Unzweideutig ist immerhin die Pflicht, Kotberge abzudecken. Da hat der
Bürgermeister mal mit dem Scheißfeldbesitzer gesprochen, so von Mann zu
Mann. Seither sind die Haufen abgedeckt. Oder doch "ein paar", wie Horns
sagt. Nämlich nur "die direkt am Weg". Auf die am Waldrand weiter hinten
fällt der Regen. Und wenn der bald mal stoppt, kann geerntet werden. Die
Nachbargemeinde vom Alten Amt Ebstorf heißt Bienenbüttel.
26 Jul 2011
## AUTOREN
Benno Schirrmeister
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