# taz.de -- "Ersatzbrennstoff" verpestet die Umwelt: Giftige Müllverbrennung i… | |
> Reifen, Bretter, Altöl: Immer mehr recycelfähiges Material landet in | |
> Fabriköfen. Darüber hinaus verunreinigt die Müllverbrennung die Luft mit | |
> gefährlichen Schadstoffen. | |
Bild: Müllverbrennungsanlage in Herten (Ruhrgebiet). | |
DÜSSELDORF taz | In der Diskussion über die Vor- und Nachteile bestimmter | |
Energieträger kommt einer kaum vor: der Müll. Und das, obwohl er als | |
"Ersatzbrennstoff" eine immer größere Rolle spielt. "Zementherstellung ist | |
sehr energieintensiv, Energie aus fossilen Brennstoffen wird immer teurer. | |
Grund genug, sich Alternativen zu überlegen", hält die Handelskammer | |
Hamburg 2008 fest und empfiehlt den Umstieg auf Müll. | |
Die flächendeckende Gelegenheit dazu hatte sich drei Jahre vorher eröffnet. | |
2005 erfolgte das Deponierungsverbot. Weil der Weg auf die Müllkippe | |
versperrt war, suchten Kommunen und Abfallwirtschaft nach neuen Wegen der | |
Entsorgung. Zahlreiche Müllverbrennungsanlagen wurden gebaut. Etwa die | |
Deutsche Umwelthilfe hat immer wieder darauf hingewiesen, zu welchen | |
Problemen die entstandenen Überkapazitäten führen: Häufig wird Abfall | |
verbrannt, der stofflich verwertet, also recycelt werden könnte. | |
Noch problematischer: Es entstanden nicht nur traditionelle | |
Müllverbrennungsanlagen, sondern auch Müllkraftwerke und Möglichkeiten zur | |
Mitverbrennung in Industriekesseln. Allein in Nordrhein-Westfalen verheizen | |
derzeit rund 200 Zementwerke, Fertigungsstätten, Feuerungsanlagen, | |
Biomassebetriebe und Kohlekraftwerke Reststoffe. Kapazitäten für 5,1 | |
Millionen Tonnen stellen sie dafür insgesamt bereit und reichen damit fast | |
an die 6,8 Millionen der Müllverbrennungsanlagen heran. | |
"Eine unkontrollierte Müllmitverbrennung ist ein Riesenproblem", so Bärbel | |
Höhn, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, zur | |
taz. Die thermische Verwertung von Gummi, Holz, Papier, Altöl und anderen | |
Resten in Industriebetrieben erfolgt nämlich zu schlechteren | |
Umweltbedingungen als in Müllverbrennungsanlagen (MVA). Die Öfen kommen | |
nicht auf genügend hohe Temperaturen zur Neutralisierung der Gifte, ihre | |
Rauchgasreinigung ist schlechter. | |
## Dioxine, Furane, Schwermetalle | |
Während etwa die MVA in Bielefeld über sieben Filterstufen verfügt, kommt | |
das Kohlekraftwerk Veltheim mit einer Entstickungsanlage, einem | |
Elektrofilter und einer Kalkwasserentschwefelung nur auf drei. | |
Infolgedessen stoßen solche Anlagen mehr Dioxine, Furane, Schwermetalle wie | |
Quecksilber und andere Schadstoffe aus. Dafür kommt es billiger. Die | |
Entsorgung kostet nur zirka 50 Euro pro Tonne, während die besser | |
ausgestatteten Müllverbrennungsanlagen rund 130 Euro berechnen - und nicht | |
zuletzt wegen der Dumpingangebote oft über Auslastungsprobleme klagen. | |
Die Energiekonzerne profitieren am meisten von der Müllmitverbrennung. Die | |
Unternehmen sparen nicht nur Geld, wenn sie Kohle durch Abfall ersetzen, | |
sie brauchen dann auch nicht mehr so viel CO2-Verschmutzungsrechte zu | |
erwerben. Das RWE-Braunkohlekraftwerk in Berrenrath mutierte deshalb schon | |
zum Industriekraftwerk. Der Multi plante sogar, die Hälfte des | |
Gesamtbrennstoffeinsatzes mit Müll zu bestreiten, und wollte seine Öfen | |
dafür obendrein unter Berufung auf die Ausnahmeregelungen des | |
Bundesimmissionsschutzgesetzes auf bloß 740 Grad hochfahren. Nach | |
Bürgerprotesten zog die Firma den Antrag allerdings zurück. | |
Auch an anderen Orten in Nordrhein-Westfalen regt sich mittlerweile | |
Widerstand. Und die Politik reagiert ebenfalls. Die rot-grüne | |
Minderheitsregierung in NRW hat eine Bundesratsinitiative angekündigt, um | |
die Vorschriften für die Müllmitverbrennung im Bundesimmissionsschutzgesetz | |
zu ändern. Sie strebt eine Angleichung der Technik an den Stand von MVAs, | |
eine Anpassung der Grenzwerte, eine Streichung der Ausnahme-Tatbestände und | |
eine Dokumentationspflicht über die Stoffströme an. | |
Angesichts der Mehrheitsverhältnisse dürfte es dieser Vorstoß allerdings | |
schwer haben. Union und FDP sehen nämlich keinen Handlungsbedarf. | |
10 Aug 2011 | |
## AUTOREN | |
Jan Pehrke | |
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