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# taz.de -- Britische Indie-Musik durch Brand zerstört: When the music is over
> Im Nord-Londoner Stadtteil Enfield ging während der aktuellen Krawalle in
> Großbritannien ein Sony-Lagerhaus mit hunderttausenden von
> Indie-Tonträgern in Flammen auf.
Bild: Alles Schutt und Asche - hier ein Möbelhaus.
LONDON taz | "Wo zum Teufel sind die Bullingdon Boys?", schimpfte ein
stinksaurer Alex Kapranos von der britischen Indie-Band Franz Ferdinand auf
der Social-Networking-Webseite Twitter, "oder kommt ihr nur aus den Ferien
zurück, wenn Fortnum & Mason ausgeraubt wird?"
Der Grund für den Wutausbruch des Sängers und Gitarristen: Im Nord-Londoner
Stadtteil Enfield ging während der aktuellen Krawalle in Großbritannien ein
dreistöckiges, 20.000 Quadratmeter großes Lagerhaus des Elektronikkonzerns
Sony in Flammen auf und mit ihm hunderttausende von CDs, DVDs und
Schallplatten von
[1][//spreadsheets.google.com/spreadsheet/ccc?key=0ArWCHu2wAZl6dFVqd1EybjMw
eWo3LWhhYV80Q1VGQ2c&hl=en_GB#gid=0:unabhängigen, kleinen Musiklabels und
Filmverleihs] im Vertrieb der britischen Pias-Entertainment-Gruppe - Pias
steht für Play it again, Sam, und ist der größte unabhängige Musik-Vertrieb
im Vereinigten Königreich. Unter dem Dach der Sony-Lagerhalle in Enfield
sind etwa 150 Indie-Labels vereint.
Für viele dieser Plattenfirmen dürfte das katastrophale Folgen haben, denn
solche Labels operieren oft am Rande des Existenzminimums. Was mit einer
Veröffentlichung verdient wird, muss sofort in die nächste investiert
werden. Mit den "Bullingdon Boys" sind im übrigen der britische Premier
David Cameron und Finanzminister George Osborne gemeint, die während ihrer
Studienzeit in Oxford dem extrem exklusiven Bullingdon Club angehörten.
Unter den Schallplatten, die den Flammen zum Opfer fielen, befand sich auch
die neue 7-Inch-Single der Arctic Monkeys "The Hellcat Spangled Shalalala",
die am 15. August in die Läden kommen sollte. Das unabhängige britische
Label Domino, bei dem die Brit-Rocker unter Vertrag sind, bestätigte, dass
alle Singles vernichtet wurden. Ein Sprecher von Domino erklärte, man habe
"einen Großteil" seiner CD- und Schallplatten-Vorräte in dem Feuer
verloren: "Wir sind sehr verärgert über den Verlust und die Zerstörung
unseres Bestands."
## Ohne Ware kein Merchandise
Zu diesen Indie-Labels gehören neben anderen auch die britischen
Plattenfirmen 4AD (Bon Iver), Warp und die Beggars Group (Adele, Vampire
Weekend, Radiohead). Martin Mills, Gründer von Beggars, sprach von 750.000
verlorenen Tonträgern und nannte das Unglück einen "entsetzlichen
Rückschlag" für den britischen Indie-Sektor.
Der Brite glaubt, dass viele kleinere Plattenfirmen Probleme mit der
Wiederbeschaffung der zerstörten Bestände haben dürften. "Physischer Handel
ist immer noch absolut entscheidend für den unabhängigen Bereich", erklärte
der britische Musikexperte Paul Scaife, "und vermutlich dürften viele
kleinere Labels nicht versichert sein – das könnte der Unterschied zwischen
Überleben und Konkurs sein."
Das Indie-Label Sunday Best Recordings kam mit einem blauen Auge davon,
aber spürte die Auswirkungen der Katastrophe doch gewaltig: "Es wird uns
nicht in den Ruin treiben", sagte Sunday-Best-Boss und Festival-Promoter
Rob Da Bank, "aber wir haben eine Tour von ‘Kitty, Daisy and Lewis Tour’
geplant und wollten auf den Gigs CDs und Merchandise an den Mann bringen."
Das dürfte ohne Ware allerdings schwierig werden.
Ebenfalls stark betroffen von dem vernichtenden Brand sind britische
Filmverleihe aus dem Arthouse-Sektor wie Artifial Eye, das British Film
Institute (BFI) und Dogwoof. Das British Film Institute – eine führende
Vereinigung der britischen Filmindustrie, die unter anderem Editionen von
Kinoklassikern vertreibt – beklagte den kompletten Verlust seiner Bestände,
insgesamt rund 120.000 Einheiten. Der daraus resultierende Umsatzverlust
dürfte beträchtlich sein.
"Uns ist ein großer Schaden entstanden", resümierte auch Tom Abell,
Geschäftsführer von Peccadillo Pictures, "die Bestände können ersetzt
werden, aber wir haben nichts mehr zu verkaufen und das bedeutet
Cash-Flow-Probleme. Peccadillo füllt seine Kassen vor allem Geld mit dem
Absatz von DVDs. Es macht gerade keinen Sinn, neue Filme auf den Markt zu
bringen, wenn wir keine DVDs haben." Peccadillos gesamter DVD-Bestand von
50.000 bis 60.000 Stück ging in Flammen auf.
## Entlassungen möglich
Wie das BFI vor kurzem berichtete, sind trotz sinkender Verkaufszahlen DVDs
und Blue-Ray Discs immer noch die wichtigste Einkommensquelle der
britischen Filmindustrie.
"Unser gesamter Fundus befand sich in Enfield", sagte Steve Lewis, Home
Entertaining Manager von Artifical Eye, "mehr als 300 Titel aus unserem
Katalog, aber zum Glück sind wir versichert." Der Filmverleih hat unter
anderem Klassiker wie Krzysztof Kieślowskis Drei-Farben-Trilogie und Xavier
Beauvois’ "Von Menschen und Göttern" im Programm. Bei dem britischen
Vertrieb Dogwoof, der sich auf Dokumentarfilme wie "Food In" und "Restrepo"
spezialisiert, befürchtet man allerdings empfindliche Umsatzeinbussen.
"DVDs sind immer noch unser Haupt-Broterwerb", sagte Anna Godas,
Mitarbeitern von Dogwoof, "und wir haben 50.000 DVDs im Wert von 340.000
Euro verloren."
"Fast jeder in der unabhängigen Filmwelt ist betroffen", sagte David
Wilkinson, Chef des Verleihs Guerilla Films. "60.000 unserer DVDs fielen
dem Brand zum Opfer. Ich habe mit Kollegen gesprochen, die von Entlassungen
sprachen, denn vor allem der DVD-Verkauf hielt ihre Läden am Laufen."
Laut Sony ist das Feuer inzwischen unter Kontrolle, aber es hieß niemand
könne bislang das Gebäude betreten. Genauere Angaben über die entstandenen
Sachschäden liegen laut dem Unternehmen noch nicht vor.
11 Aug 2011
## LINKS
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## AUTOREN
Frank Heinz Diebel
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