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# taz.de -- Boettichers "Teenie-Affäre": Liebe in den Zeiten der Sittlichkeit
> Was ist so schlimm daran, wenn ein 40-Jähriger eine Minderjährige liebt?
> Viele Mädchen fühlen sich von erwachsenen Männern eher verstanden als von
> Gleichaltrigen.
Bild: Boetticher nach seinem Rücktritt: Er konnte nur verlieren.
Warum regen sich eigentlich alle so auf? Da hatte ein 40-jähriger Mann eine
Beziehung zu einem 16-jährigen Mädchen. Das ist rechtlich unbedenklich.
Warum also diese Skandalisierung? Da geht es um "moralische Komponenten"
und "moralische Vorbehalte". Es ist die Rede von einer "Sex-Affäre" und von
einer "Teenie-Affäre". Dabei soll es "schlichtweg Liebe" gewesen sein. Das
sagt jedenfalls der, den es betrifft: Christian von Boetticher. Bis
Sonntagabend war der eher fade Mann CDU-Landesvorsitzender in
Schleswig-Holstein und Spitzenkandidat seiner Partei für die Landtagswahl
im Mai 2012. Wegen seiner "Affäre mit einer Minderjährigen" im Frühjahr
2010 trat der CDU-Hoffnungsträger nun von Amt und Kandidatur zurück - unter
Tränen und mit stockender Stimme.
Wenn dieser Fall moralische Aufregung verdient, dann nicht auf der Ebene
Auweia-was-hat-der-böse-Mann-getan. Als moralisch fragwürdig erscheinen
vielmehr die sittlichen Zeigefinger aus der christlich-konservativen Ecke.
Sie sind scheinheilig und verlogen. Den selbsternannten Gutmenschen geht es
nämlich weniger um das fragwürdige Privatleben ihres Parteifreundes. Eher
können sie doch froh darüber sein, dass sie von Boetticher, der jüngst in
den eigenen Reihen in die Kritik geraten war, auf pikante Weise loswerden.
Welcher Politiker ist heute moralisch so rein, dass er sich erlauben darf,
über Männer wie Boetticher den Stab zu brechen? Auch wenn nicht jeder Fall
publik wird, wir wissen es doch längst: Viele Parlamentarier haben
außereheliche Affären (und dabei Sex!), nicht wenige gehen ins Bordell.
Manche Politiker zeugen Affären-Kinder. Erinnert sei hier nur an den
damaligen Verbraucherminister Horst Seehofer (CSU), der 2007 ein Verhältnis
mit der Büroleiterin eines seiner Parteikollegen hatte. Und die Ehefrau zu
Hause? CDU-Parteiikone Heiner Geißler sagte dazu in einem taz-Interview:
"Männer sollten sich öfter mal fragen, ob sie ihre Ehefrau als Putzfrau zum
Nulltarif halten."
## Der Albtraum vieler Eltern
Abseits der politischen Fragen bleibt aber noch eine lebensweltliche
Dimension. Ohne diese hätte das Thema gar nicht solche Brisanz erzeugen
können. Warum geht ein 40-Jähriger eine Beziehung mit einer 16-Jährigen
ein? Der Reiz der Jugend, des Unverdorbenen? Mangelndes Selbstwertgefühl?
Angst, einer Gleichaltrigen nicht genügen zu können? Wir wissen es nicht.
Und: Was treibt eine 16-Jährige in die Arme eines sehr viel älteren Mannes?
Der Reiz am Alter, an der Lebenserfahrung? Vaterersatz? Auch das wissen wir
nicht.
Fakt aber ist: Affären zwischen älteren Männern und jungen Mädchen sind so
selten nicht. Sie sind der Altraum vieler Eltern! Ein Mann, der das Alter
des Vaters hat, als Geliebter der Tochter - das geht einfach nicht. Aber
kann das die Wahl der Tochter verhindern?
Mädchen kurz vor der Volljährigkeit finden die meisten gleichaltrigen
Jungen bescheuert. Als Liebespartner kommen sie schon gar nicht in Frage:
zu kindisch, zu unerfahren, zu sehr fixiert auf Kumpels und Büchsenbier.
Bei älteren Männern fühlen sich manche junge Frauen seelisch und
intellektuell eher aufgehoben.
Dennoch ist jedem jungen Mädchen, das sich in der Liebe ausprobiert, in
jedem Fall eine Beziehung auf Augenhöhe zu wünschen und kein Verhältnis mit
ungleichen Machtverhältnissen. Und das ist in einem Fall wie dem
vorliegenden wohl die wahrscheinlichere Variante.
"Es war schlichtweg Liebe", hatte von Boetticher gesagt. Warum aber hat er
seine "Liebe" fallen lassen, als er Spitzenkandidat wurde? Boetticher ist
Profi genug, um zu wissen, dass ein Politiker nichts weniger braucht als
Schlagzeilen um Amouren, die verpönt sind und dazu noch ein fragwürdiges
traditionelles Geschlechterbild transportieren. Es hätte ihn auch nicht
gerettet, wenn er zu seiner "Liebe" gestanden hätte. Denn: Liebe findet nie
ohne soziales Umfeld statt, sondern ist gesellschaftlich genormt. Alle
hätten wissen wollen: Was ist das für ein Mädchen? Warum erlauben das die
Eltern? Was ist mit dem Boetticher los?
Solchen öffentlichen Druck halten kaum Beziehungen zwischen zwei
Erwachsenen aus.
Boetticher konnte nur verlieren. In jedem Fall.
15 Aug 2011
## AUTOREN
Simone Schmollack
Simone Schmollack
## TAGS
Schwerpunkt Frankreich
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