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# taz.de -- Nach von Boettichers Rücktritt: CDU wahlkämpft mit sich selbst
> Personalkarussell bei der CDU in Schleswig-Holstein: Nach dem Rücktritt
> von Boettichers könnte Wirtschaftsminister Jost de Jager neuer
> Spitzenkandidat werden.
Bild: Neuer Spitzenkandidat? Wirtschaftsminister Jost de Jager.
KIEL taz | Im Norden wirbelt das Personalkarussell - neun Monate vor der
Landtagswahl braucht die regierende CDU einen neuen Bewerber für den Stuhl
des Ministerpräsidenten. Der bisherige Spitzenkandidat und
Landesvorsitzende Christian von Boetticher hatte am Sonntagabend mit
stockender Stimme und Tränen in den Augen seinen Rücktritt von allen Ämtern
erklärt. Inzwischen ist er auch vom Posten des Fraktionschefs
zurückgetreten. Als möglicher Nachfolger ist Wirtschaftsminister Jost de
Jager (46) im Gespräch. Am Dienstag wollen Parteigremien das weitere
Vorgehen besprechen.
Der 40-jährige von Boetticher musste gehen, nachdem eine inzwischen
beendete Beziehung zu einer 16-Jährigen bekannt geworden war. Die
Landespartei rückte im Rekordtempo von ihrem bisherigen Spitzenmann ab,
auch Ministerpräsident Peter Harry Carstensen ließ seinen Kronprinzen
fallen, er verwies auf eine"moralische Komponente". Es sei "schlichtweg
Liebe", eine "sehr ungewöhnliche Liebe" gewesen, so von Boetticher, der
nach Beratungen mit dem Parteivorstand vor die Presse trat. Die Beziehung,
die angeblich mit einem Kontakt bei Facebook begann, habe nur wenige Monate
gedauert, sie sei "rechtlich legal", träfe aber bei vielen Menschen "auf
verständliche moralische Vorbehalte". Die Beziehung sei "kein privater,
wohl aber ein politischer Fehler", so von Boetticher: Er sei seinen
Maßstäben nicht gerecht geworden.
## Kronprinz mit wenig Rückhalt
Doch dass von Boetticher so schnell kippte, gilt als Indiz dafür, dass der
bisherige Kronprinz wenig Rückhalt in der Partei hat. Denn der
hochgewachsene Adelige, der als Landespartei- und Fraktionschef sowie
designierter Spitzenkandidat alle Top-Posten der Nord-CDU innehatte,
verkümmerte schnell zum Scheinriesen: In Landtagsdebatten setzte er kaum
Akzente, auf Bundesebene fiel er nur mit dem verlorenen Kampf gegen die
Aussetzung des Wehrdienstes auf, und er verprellte die Basis im Norden.
Wieder spielte Facebook eine Rolle: Der Landesparteichef sagte ein Treffen
mit Kommunalpolitikern wegen dringender Termine ab, postete aber später, er
wolle die Mondfinsternis genießen.
Die eigene Partei habe die Notbremse gezogen und einen Vorwand gesucht, um
von Boetticher loszuwerden, heißt es in Kieler Kreisen. Die CDU hält sich
bedeckt. Die offizielle Version: Mit von Boetticher sei "einer der größten
Leistungsträger verloren gegangen" so Vizefraktionsvorsitzender Hans-Jörn
Arp.
Der mutmaßliche Nachfolger de Jager übernimmt in einer schwierigen Lage:
Die CDU, die bei der Wahl 2009 stärkste Kraft wurde, hat in Umfragen stark
verloren, die Koalitionspartnerin FDP könnte sogar an der 5-Prozent-Klausel
scheitern. Zurzeit gilt ein Bündnis aus SPD und Grünen nach der nächsten
Wahl als möglich. Die SPD hat sich dazu bereits bekannt. Ihr Landeschef
Ralf Stegner bekräftigte gestern, es mache keinen Unterschied, wer in der
Nord-CDU welche Position bekleidet. Auch für die Grünen ändere der
Personalwechsel wenig, sagte Marlene Löhr, Landesvorsitzende der Grünen,
der taz. "Uns kommt es auf die Inhalte an, wir werden nach der Wahl mit der
SPD ebenso wie mit der CDU sprechen."
In Schleswig-Holstein muss 2012 neu gewählt werden, da das
Landesverfassungsgericht die Sitzverteilung im aktuellen Landtag für
ungültig erklärt hat. Daher ist es unwahrscheinlich, dass von Boetticher
sein Landtagsmandat niederlegt: Gegen einen Nachrücker könnte die
Opposition klagen, sofortige Neuwahlen wären die Folge.
15 Aug 2011
## AUTOREN
Esther Geisslinger
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