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# taz.de -- Schuldenbremse in Deutschland: Kein Modell für alle Euro-Staaten
> Die Schuldenbremse hat sich in der Praxis noch nicht bewähren können. Sie
> funktioniert nur mit einem starken Bundesverfassungsgericht.
Bild: In Deutschland gibt's eine eigentümliche Verfassungskultur: Richter in K…
BERLIN taz | Noch ist die Schuldenbremse in Deutschland kaum zu spüren. Sie
steht zwar schon seit 2009 im Grundgesetz, zugleich wurden jedoch
großzügige Übergangsregelungen beschlossen.
Konkret gilt Folgendes: Im Bundeshaushalt soll die jährliche
Neuverschuldung maximal 0,35 Prozent der deutschen Wirtschaftsleistung
(Bruttoinlandsprodukt, BIP) betragen - allerdings erst ab 2016. Die
Länderhaushalte müssen sogar ganz ohne Schulden auskommen - ab 2020. Bis
dahin sollen sich die Haushalte Schritt für Schritt den Vorgaben annähern.
"Mit dem Abbau des bestehenden Defizits soll im Haushaltsjahr 2011 begonnen
werden."
Doch auch die Schuldenbremse kennt Ausnahmen: Im konjunkturellen Abschwung
soll der Staat etwas mehr Schulden machen können, die dann mit Überschüssen
im konjunkturellen Aufschwung wieder ausgeglichen werden. Außerdem wird die
Schuldengrenze bei Naturkatastrophen und "außergewöhnlichen Notsituationen,
die sich der Kontrolle des Staates entziehen", außer Kraft gesetzt. Die
dabei aufgenommenen Schulden sollen dann aber "binnen eines angemessenen
Zeitraums" zurückgezahlt werden.
Damit sind die Streitfälle vorprogrammiert. Bund und Länder werden immer in
der Versuchung sein, sich auf die Ausnahmeregelungen zu berufen. Denn die
Einhaltung der Defizitgrenzen verlangt Kürzungen, die wiederum zu Protesten
führen und so die Wahlchancen der jeweiligen Regierung beeinträchtigen.
Letztlich wird das Bundesverfassungsgericht entscheiden müssen, wann ein
wirtschaftlicher Auf- oder Abschwung vorliegt, was eine außergewöhnliche
Notsituation ist und wie lange sich der Staat auf deren Folgen berufen
kann. Effizient ist eine Kontrolle aus Karlsruhe nur, wenn das Gericht
bereit ist, den laufenden Haushaltsvollzug mit einstweiligen Anordnungen zu
stoppen. Es würde dagegen niemand schrecken, wenn ein Bundeshaushalt Jahre
später für verfassungswidrig erklärt würde.
## Eine deutsche Besonderheit
Unter welchen Druck ein Gericht dabei geraten kann, hat das
Landesverfassungsgericht von Nordrhein-Westfalen im Januar erfahren, als es
einen Nachtragshaushalt stoppte. Die Süddeutsche sprach von "Anmaßung", von
einer "Störung der Gewaltenteilung", wenn Richter letztlich über den
Staatshaushalt entscheiden.
In Deutschland ist zu erwarten, dass das Bundesverfassungsgericht solche
Anfechtungen aushält und die Schuldenbremse letztlich durchsetzt. Die
Karlsruher Richter erfahren in der Bevölkerung eine enorme Wertschätzung
und die Politik ist froh, wenn sie sich bei unpopulären Entscheidungen auf
Karlsruher Vorgaben berufen kann.
Doch diese eigentümliche Verfassungskultur ist eine deutsche Besonderheit.
In vielen anderen Staaten ist eine derartige Richtermacht nicht denkbar.
Staaten wie Irland haben zum Beispiel nicht einmal ein eigenständiges
Verfassungsgericht. Die Vorstellung, es gebe keine Defizite mehr, wenn erst
einmal in jeder Nationalverfassung eine Schuldenbremse enthalten ist, geht
allzu sehr von der Situation in Deutschland aus. Diese auf Europa zu
übertragen, ist naiv.
Zu berücksichtigen ist auch, dass die EU die Verfassungen der
Mitgliedsstaaten nicht direkt ändern kann. Dies setzt in jedem Staat ein
aufwendiges Verfahren, teilweise mit Volksabstimmung voraus.
Viel näher läge es, endlich den seit Einführung des Euro geltenden
Stabilitäts- und Wachstumspakt zu verschärfen. Danach müssen die
Euro-Staaten ihr jährliches Defizit auf drei Prozent des BIP beschränken
und das Gesamtdefizit auf 60 Prozent des BIP. Als Sanktion bei Verletzung
dieser Ziele sind Strafzahlungen vorgesehen. Dazu kommt es jedoch nie, weil
sich die Defizitsünder gegenseitig schützen und Sanktionen verhindern. Seit
Jahren wird schon über strengere Regeln diskutiert, zuletzt wurden sie bei
einem EU-Gipfel Ende Juli versprochen.
18 Aug 2011
## AUTOREN
Christian Rath
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