# taz.de -- 100 Tage grün-rot in Baden-Württemberg: Der schwierigste Job in S… | |
> Die Erwartungen der Stuttgart-21-Gegner lasten auf den Schultern von | |
> Verkehrsminister Winfried Hermann. Doch auch er wird den Bahnhof wohl | |
> nicht oben halten können. | |
Bild: Verkehrsminister Winfried Hermann ist eingefleischter Stuttgart-21-Gegner. | |
STUTTGART, KÖLN taz | Von seinem Schreibtisch aus kann Winfried Hermann | |
jederzeit auf den Stuttgarter Kopfbahnhof gucken. Auf einem halbhohen | |
weißen Schrank an der linken Zimmerwand steht ein Bild vom Hauptbahnhof - | |
saniert, mit neuen Glasdächern und vor allem oberirdisch wie seit jeher. | |
"Ich finde, das ist immer noch ein schönes Modell", sagt der | |
baden-württembergische Verkehrsminister gelassen. Nicht zu übersehen ist, | |
was unter dem Bild steht: "Bürgerbahnhof, 27. 3. 18 h". Er hat es zu Beginn | |
seiner Amtszeit von Parkschützern überreicht bekommen. | |
Seit dem 27. März, der Landtagswahl, die die Grünen zusammen mit der SPD | |
nach 58 Jahren CDU-Regierung an die Macht brachte, ruhen alle Erwartungen | |
der Stuttgart-21-Gegner auf den Schultern der Grünen. Seit Hermann Minister | |
ist, auf den seinen. Ein linker Grüner und selbst seit 20 Jahren ein | |
eingefleischter S-21-Gegner, der den Kampf mit den anderen Projektpartnern | |
aufnehmen soll, allen voran der Deutschen Bahn. Jeden Tag erinnert ihn das | |
Bild an diese Erwartungshaltung. | |
In diesem Kampf darf er seine Glaubwürdigkeit nicht verlieren. Doch | |
zugleich entpuppt sich das Bild vom sanierten Kopfbahnhof immer mehr als | |
Luftschloss. Damit steckt Hermann wie kein anderer aus der neuen grün-roten | |
Landesregierung in einem Dilemma. Und die große Frage ist, wie er da wieder | |
rauskommt und zugleich als linker Überzeugungstäter sein Gesicht wahrt. | |
Als Hermann ins Amt berufen wurde, haben viele geglaubt, er werde sich bald | |
anpassen müssen. Das Amt würde dem langjährigen Oppositionspolitiker aus | |
Berlin schon beibringen, dass er Kompromisse schließen muss. Doch Hermann | |
trat mit dem festen Vorhaben an, sich vom Amt nicht verbiegen zu lassen. So | |
wurde aus dem Oppositionspolitiker ein Oppositionspolitiker auf der | |
Regierungsbank. | |
## Das Hermann-Problem | |
Und aus dem S-21-Problem der grün-roten Koalition bald ein Hermann-Problem. | |
Die Opposition beschuldigte ihn der Lüge und forderte gleich dreimal seinen | |
Rücktritt. Ministerpräsident Winfried Kretschmann sah sich gezwungen, | |
seinem Kabinettsmitglied öffentlich den Rücken zu stärken. | |
Die Situation Winfried Hermanns erinnert an die seiner Parteifreundin | |
Bärbel Höhn vor mehr als 15 Jahren in Nordrhein-Westfalen. Mal abgesehen | |
davon, dass das Loch, in das die damalige Landesumweltministerin zu fallen | |
drohte, wesentlich größer war: Was ist schon ein Tiefbahnhof im Verhältnis | |
zu den gigantischen Ausmaßen des Braunkohletagebaus Garzweiler II? Die | |
Verhinderung des Mammutprojekts am Niederrhein hatten sich die NRW-Grünen | |
auf die Fahnen geschrieben, entsprechend hoch war die Erwartungshaltung der | |
Anhängerschaft nach dem Regierungseintritt 1995. Die Parteispitze verkaufte | |
den Koalitionsvertrag als "Einstieg in den Ausstieg". Das war Wunschdenken: | |
Die Sozialdemokraten dachten überhaupt nicht daran, Garzweiler II zu | |
beerdigen. | |
Und heute denken sie ebenso wenig daran, den Stuttgarter Hauptbahnhof | |
oberirdisch zu belassen. Die Solidarität der SPD mit den Grünen bei S 21 | |
bezeichnet Hermann als "begrenzt". Wenn sich die Grünen mit der Bahn | |
zoffen, ist die größtmögliche Solidarität der SPD, sich rauszuhalten. Und | |
intern lassen sie die Grünen immer wieder auflaufen. | |
## Zoff zwischen SPD und Grüne | |
Das interne Kräftemessen fing schon in den Koalitionsverhandlungen an. Kein | |
Thema war so hart umstritten wie der Verkehrsbereich. Bei Stuttgart 21 | |
setzte sich die SPD durch. Die Grünen schluckten eine Volksabstimmung ohne | |
Wenn und Aber, das heißt selbst dann, wenn diese am hohen Quorum scheitern | |
sollte. | |
Als es kürzlich um die Bewertung des Kompromissvorschlags von Heiner | |
Geißler ging, war das Bild ähnlich. Die Grünen wollten ihn gründlicher | |
prüfen lassen. Doch stattdessen sollen nun die anderen Projektpartner eine | |
Stellungnahme abgeben. Weil die sich bereits negativ geäußert haben, gilt | |
die Idee des Kombi-Bahnhofs längst als gestorben. Wieder hatte sich die SPD | |
durchgesetzt. | |
"Was die Grünen unterschätzt haben, ist die Beharrlichkeit der SPD", sagt | |
der Kommunikationswissenschaftler Frank Brettschneider von der Universität | |
Hohenheim. Er beobachtet nicht nur seit langem die landespolitische Szene, | |
sondern hat sich intensiv mit dem S-21-Streit und dessen Schlichtung | |
beschäftigt. | |
Mit dem schlichten Verweis auf den Koalitionsvertrag und die gemeinsam | |
vereinbarte Volksabstimmung bräuchten sich die Sozialdemokraten auf | |
keinerlei Diskussionen einlassen. "Sie haben überhaupt nicht die | |
Notwendigkeit, ihre Position zu ändern." Eine Mauer, gegen die Hermann | |
vergeblich anrennt. | |
Vergeblich zum einen, weil sich Hermann selbst in eine schwierige Lage | |
manövriert hat. Die hohen Erwartungen, er könnte den Bahnhof stoppen, hat | |
er selbst mitgesät. Seine Gegner wissen um seine schwierige Situation. | |
Vergeblich aber auch, weil er in den Augen seines Gegenüber viel zu | |
ungeschickt agiert. | |
## Herman galoppiert taktisch zu schwach | |
"Die Grünen vergaloppieren sich immer, wenn sie versuchen, eine inhaltliche | |
Diskussion zu führen, die wir gar nicht führen wollen", sagt ein SPD-Mann | |
hinter vorgehaltener Hand. Hermann agiere zu ideologisch und damit taktisch | |
zu schwach. Statt sich in Einzelfragen zu verstricken, hätten die Grünen | |
aus der Sicht des SPD-Mannes schlichtweg auf die Bewertung beharren müssen: | |
"Der Bahnhof ist zu teuer und bringt zu wenig". | |
So aber versuchten die Grünen, ihre Gegenspieler inhaltlich zu überzeugen. | |
Dabei war der Zeitpunkt der inhaltlichen Auseinandersetzung über den | |
Bahnhof längst überschritten. "Ich glaubte an die Kraft der Argumente", | |
sagt Hermann. Doch er musste lernen, dass politische Machtinteressen eine | |
größere Rolle spielen als Sachargumente. | |
Auch Bärbel Höhn kämpfte damals. Zum großen Verdruss der SPD nutzte die | |
grüne Umweltministerin virtuos die ihr rechtlich zur Verfügung stehenden | |
Möglichkeiten, um doch noch zu verhindern, was nicht mehr zu verhindern | |
war. Fast die ganze Legislaturperiode dauerte das Ringen. Mehrfach drohten | |
die Grünen mit dem Verlassen der Koalition, mehrfach drohte ihnen der | |
Rausschmiss. Dann mussten sie kapitulierten. Sie hätten sich "auf eine | |
Machtauseinandersetzung eingelassen, die wir nicht gewinnen konnten", sagte | |
Höhn, die wie Hermann dem linken Parteiflügel zugerechnet wird, im Herbst | |
1999 in der taz. | |
## Niederlage gut verkraftet | |
Ihrer Glaubwürdigkeit schadete die Niederlage nicht. Die grüne | |
Anhängerschaft goutierte ihren Mittelweg zwischen Anpassung und | |
Fundamentalopposition. In deren Augen hatte sie wenigstens alles versucht. | |
Für Höhns Popularität in der Bevölkerung entscheidend war allerdings, dass | |
sie sich nicht auf den aussichtslosen Kampf gegen Garzweiler II | |
beschränkte. | |
Ob es um die Erweiterung von Flughäfen, den Ausbau von Autobahnen oder die | |
Wünsche der Wirtschaft zu Ansiedlungen auf der "grünen Wiese" ging - | |
überall redete die grüne Ministerin zum Leidwesen der Beton-Genossen ein | |
kritisches Wort mit. Stets verstand sich die Oberhausenerin als | |
Verbraucheranwältin. Vor allem beim BSE-Skandal setzte sich Höhn mit | |
Tatkraft zielsicher in Szene und bediente dabei nicht nur die grüne | |
Klientel. | |
## Ihm fehlt ein Thema | |
Hermann fehlt noch ein Symbolthema, mit dem er positive Schlagzeilen | |
schreiben kann. In den vergangenen Wochen zeigte er sich einmal einen Tag | |
lang im Rheintal, um zu sagen: Leute, schaut her, der Hermann kümmert sich | |
auch um andere Schienenprojekte. Er besuchte Straßenbauprojekte und fuhr in | |
dieser Woche Radwege ab. | |
Doch gegen die S-21-Schlagzeilen sticht das bisher nicht. "Er muss deutlich | |
machen, was grüne Verkehrspolitik ist", sagt Kommunikationsexperte | |
Brettschneider. "Elektromobilität wäre so ein Thema, das ohne Ende boomt. | |
Das könnte ein Bereich sein, wo Hermann punkten könnte." | |
Zumindest traut ihm das auch der Koalitionspartner noch immer zu. "Der hat | |
mehr in petto als nur Bahnhof", sagt ein Sozialdemokrat - mit der klaren | |
Ansage: "Wenn dieser Bahnhof mal weg ist, muss er sich beweisen." | |
19 Aug 2011 | |
## AUTOREN | |
N. Michel | |
P. Beucker | |
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