# taz.de -- Kommentar Hungersnot in Somalia: Somalia muss regierbar werden | |
> Die politische Dimension der Hungersnot in Somalia wird oft ausgeblendet. | |
> Somalia braucht staatliche Strukturen, aber nicht nach westlichem Modell. | |
Bild: Verteilung von Essen in einem Flüchtlingscamp in Kenia. | |
Es ist kein Zufall, dass die Hungersnot am Horn von Afrika Somalia am | |
schwersten getroffen hat. Keine Gesellschaft übersteht einen zwanzig Jahre | |
währenden Staatszerfall. Dennoch wird die politische Dimension der | |
Katastrophe in der medialen Diskussion weitgehend ausgespart. Ähnlich | |
ignorant ist der Westen schon mit der Piraterie verfahren. Und so war es | |
falsch, dass die Internationale Gemeinschaft die Unfähigkeit der | |
Übergangsregierung TFG (Transitional Federal Government) in den letzten | |
Jahren hingenommen hat. | |
Die ausländischen Akteure müssen sich endlich von der Idee eines | |
Zentralstaats europäischen Modells in Mogadischu verabschieden und | |
stattdessen dezentrales Regieren befördern. Das bedeutet auch, zu der vor | |
elf Jahren eingesetzten Übergangsregierung auf kritische Distanz zu gehen. | |
Denn diese Übergangsregierung hat bis heute bei der Lösung der somalischen | |
Kernaufgaben keinerlei Fortschritte vorzuweisen. Stattdessen schreit die | |
Korruption ihres aufgeblähten, aber wenig effektiven Apparates zum Himmel. | |
Nur dank einer 9.000 Mann starken Mission der Afrikanischen Union Amisom | |
konnte sie bis vor Kurzem lediglich in einem kleinen Teil Mogadischus | |
regieren. | |
Was tun? Man muss das Risiko eingehen und eine Vielzahl von | |
Staatsfunktionen zumindest übergangsweise alliierten lokalen Autoritäten | |
überlassen. | |
Trotz des andauernden Staatszerfalls haben Klan-Gemeinschaften und lokale | |
Akteure Systeme entwickelt, die ein Mindestmaß an Rechtsstaatlichkeit und | |
Sicherheit ("law and order") garantieren und eine Administration des | |
Gemeinwesens ermöglichen. Komplexe und wechselnde Allianzen zwischen | |
Klanführern und lokalen politischen Eliten, Geschäftsleuten und | |
zivilgesellschaftlichen Persönlichkeiten schaffen hier und dort informelle | |
Sicherungssysteme und befördern oftmals auch ein abwehrende Haltung gegen | |
die radikalisierten islamistischen Al-Shabab-Milizen. | |
## Die Übergangsregierung hat keinen Rückhalt | |
Angesichts der fatalen Haltung der Miliz in dieser Notlage haben einzelne | |
Klans ihre Unterstützung eingestellt. Zudem scheint die al-Shabab intern | |
zersplittert. So gibt es vielleicht die Chance, moderatere Milizionäre | |
zurückzugewinnen. Allerdings bleibt ungewiss, ob die erfolgreiche | |
Vertreibung der al-Shabab aus Mogadischu diese langfristig schwächt oder | |
nur gefährlicher macht. | |
Natürlich ist ein Staatsaufbau, der die lokalen Strukturen einbezieht, | |
kompliziert und er bedarf eines langfristig angelegten, aber flexiblen | |
politischen Engagements. Seit dem Staatskollaps 1991 standen internationale | |
Bemühungen hingegen unter dem Imperativ der Wiederherstellung des | |
Zentralstaats. | |
Die im Exil gebildete und erst durch den äthiopischen Einmarsch in | |
Mogadischu eingesetzte Übergangsregierung verfügt über keinen Rückhalt in | |
der Bevölkerung. Mit ihr setzte die Internationale Gemeinschaft den alten | |
Weg der zentralisierten Macht "von oben" fort. Zudem wurde unter Präsident | |
Sharif deutlich, dass die TFG keinesfalls bereit ist, Macht zu teilen. | |
Der ihr gestellten Aufgabe, föderale Strukturen zu stärken, wirkt sie eher | |
entgegen. Entsprechend haben sich die Spannungen mit dem teilautonomen | |
Puntland verschärft, und die Allianz mit dem am Sufi-Islam orientierten und | |
den al-Shabab entgegenstehenden Klanverbund Ahlu Sunna WalJama (ASWJ) ist | |
zerbrochen. | |
Am heutigen 20. August wäre das Mandat der TFG ausgelaufen. Trotz hier und | |
da laut gewordener Kritik westlicher Geberstaaten (zu denen neben den USA | |
vor allem die EU, Italien, Großbritannien und die skandinavischen Staaten | |
gehören) wurde im Juli auf einer UN-Konferenz ihr Mandat um ein weiteres | |
Jahr verlängert, was auf "business as usal" hindeutet. | |
Für eine Strategie der Koexistenz von staatlicher Struktur (in einer eher | |
schlanken Version) mit dezentralen Elementen und informellen | |
Sicherheitsarrangements ist es auch für europäische Außenpolitik nicht zu | |
spät, wenn man ernsthaft bemüht sein will, Konfliktlösung und Staatsaufbau | |
zu unterstützen. | |
Erst wenn das Regieren wieder funktioniert, können Entwicklungsstrategien | |
zur langfristigen Sicherung der Ernährung Somalias auch wirklich greifen. | |
19 Aug 2011 | |
## AUTOREN | |
Kirsten Maas-Albert | |
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