# taz.de -- Rainald Grebe macht Wahlkampf: "Ich ziehe keine Wowereit-Perücke a… | |
> Der Musiker bringt den Berliner Wahlkampf auf die Bühne, macht jedoch | |
> kein "Launiges Politkabarett". Dafür hat er sich viel zu akribisch | |
> vorbereitet: Sogar die Wahlprogramme hat er studiert. | |
Bild: Mit Indianer-Perücke: Rainald Grebe bei seinem Konzert in der Waldbühne… | |
taz: Herr Grebe, Sie haben Songs über Brandenburg geschrieben - und stets | |
von sich gesagt, Sie seien kein politischer Künstler. Jetzt machen Sie ein | |
Stück über den Wahlkampf. Warum? | |
Rainald Grebe: Weil es mich irgendwann geärgert hat, dass ich an das Thema | |
Politik nicht rankomme. Wenn ich mir andere ansehe, die sich scheinbar | |
mühelos politisch positionieren, denke ich, dass mir das anscheinend nicht | |
gegeben ist. Und mache mir selbst Vorwürfe: Wie sieht das denn aus, wenn | |
man sich selbst nicht entscheiden kann, weder für eine Partei noch für eine | |
Privatinitiative? Immer wenn sich ein Künstler in den Wahlkampf gemischt | |
hat, ob Schlingensief oder Kerkeling als "Horst Schlämmer", hab ich mich | |
gefragt: Wieso kann ich das eigentlich nicht? | |
Jetzt haben Sie sich selbst das Politisieren verordnet. Wie haben Sie | |
recherchiert? | |
Ich habe bei der Vorbereitung mit einem Journalisten zusammengearbeitet. | |
Das war gut, denn meinen Namen kennt man inzwischen - es passiert schon | |
mal, dass Politiker auf mich zukommen mit einem Anliegen. Was ich immer | |
abgelehnt habe. Wir haben etwa vierzig Interviews geführt, von oben bis | |
unten. Ich wollte alle mal kennenlernen, vom Spitzenkandidaten bis zur | |
Werbeagentur oder dem Spandauer Ortsverein. Und erfahren, wie ihr | |
Arbeitsalltag aussieht. Auch das Volk haben wir interviewt, Leute auf der | |
Straße. | |
Was hat Sie dabei besonders interessiert? | |
Das kam auf die jeweilige Person an, ich wusste ja erst mal nix. Der | |
Pankower Bürgermeister etwa hat mich beim Einkaufen angesprochen, dann | |
haben wir uns verabredet. Schnell war klar: Das ist Lokalpolitik. Man denkt | |
ja immer, Berlin ist groß. Aber im Kleinen ist es provinziell, voll | |
nickeliger Kleinigkeiten wie Baumfällungen oder Parkplätze. Im Konkreten | |
liegen aber unglaublich viele Fallen. Zum Beispiel gibt es in meiner | |
Nachbarschaft eine Kleingartenkolonie voller Protestschilder gegen die | |
Deutsche Bahn, der das Gelände gehört. Man denkt, aha, der Konzern will den | |
Leuten die Gärten wegnehmen. Bei näherer Betrachtung stellte sich heraus, | |
dass die Bahn das Land an eine Baugruppe verkauft hatte - waren das nicht | |
immer die Guten? Und wieso haben sich die Grünen, die sonst immer fürs | |
Grüne sind, im Bezirksparlament enthalten? | |
Hat Sie die Lokalpolitik ratlos gemacht? | |
Viele Konflikte, wie der Streit über den Umbau der Kastanienallee oder die | |
Flugrouten, scheinen mir unlösbar. Da möchte ich nicht in der Haut der | |
Politiker stecken. Was die da aushalten müssen - Hut ab, habe ich manchmal | |
gedacht. Ich kann mich als Künstler schön raushalten. Aber die machen das | |
von morgens bis abends. Bei den Anwohnerprotesten, die ja zurzeit recht | |
modern sind, ist mir aufgefallen: Es wird immer gleich mit ganz großen | |
Begriffen operiert: K 21 sagt man in der Kastanienallee … | |
… und hängt sich damit an den Protest gegen das Bahnhofsprojekt Stuttgart | |
21, obwohl es in der Kastanienallee letztlich um schmalere Bürgersteige | |
geht. | |
Und am Müggelsee redet man von "Montagsdemonstrationen" gegen die | |
Flugrouten. Historische Begriffe für Sachen, die von außen betrachtet klein | |
und poplig sind. | |
Das klingt, als seien Ihnen die sogenannten Wutbürger nicht sehr | |
sympathisch … | |
Ich tendiere oft zu den Berufspolitikern. Gerade, wenn ich mit vielen | |
Seiten gesprochen habe und merke: So einfach ist es nicht! Der Wutbürger | |
mit seiner Wut, das ist so ne Sache. Ich wohne in Pankow, wo demnächst die | |
Flugzeuge wohl nicht mehr in 300 Metern Höhe drüberfliegen werden. Am | |
Müggelsee fliegen die in 1.100 Metern drüber - und der Wutbürger und | |
Regisseur Leander Haußmann hat tatsächlich gesagt: Der Wannsee hatte die | |
Wannseekonferenz, am Müggelsee wurde die Volksbühnenbewegung gegründet, | |
hier hat Heinrich George gespielt. Da sehe ich dann den Politiker daneben | |
und denke: Ach Gott, der wird jetzt von allen Seiten bedrängt. Aber es geht | |
nicht um Heinrich George. Sondern um endlose Details, in die man sich | |
reinfrickeln muss, um so eine Materie wie die Flugrouten überhaupt zu | |
durchblicken. | |
Ist Politik also ein unbefriedigendes Geschäft? | |
Wenn man einfache Lösungen will, ja. Man muss schon auf Details stehen. | |
Können Sie sich jetzt besser entscheiden, wen Sie am 18. wählen? | |
Im Gegenteil. Früher dachte ich: Eigentlich habe ich keine Ahnung, aber ich | |
wähl einfach mal. Jetzt weiß ich ein bisschen was, aber noch viel zu wenig, | |
um mir ein Bild zu machen, und denke: Eigentlich dürfte ich gar nicht | |
wählen. | |
Der Durchschnittswähler weiß ja auch nicht mehr als das, was in der Zeitung | |
und in den Wahlprogrammen steht … | |
Wer liest die schon freiwillig? Ich habe es versucht, bin aber teilweise | |
gescheitert. Gerade die Grünen und die SPD schreiben ein derart schwammiges | |
Zeug - das ist wie im Mediationsseminar: Erst reden wir miteinander, dann | |
lasst uns miteinander reden, jeder ist wertvoll. Dieses Sanft-Gute, | |
schrecklich! Aussagen wie mehr Bildung oder bezahlbare Wohnungen für alle, | |
von denen hat keiner was. Das konkreteste Wahlprogramm hat die CDU, die | |
benennen 100 Punkte, wo es schiefläuft in der Stadt, und 100 mögliche | |
Lösungen. So genau will es vielleicht dann auch keiner wissen, aber sie | |
haben es zumindest versucht. | |
Apropos "zumindest versucht": Waren Sie eigentlich auch bei der FDP? | |
Nein, das habe ich nicht mehr geschafft - ich kann ja nicht mit allen | |
sprechen. Die Piratenpartei hat auf meine Anfragen hin nicht geantwortet, | |
darum ist sie jetzt auch außen vor. | |
Vielleicht hatten die Piraten Angst, von Ihnen verspottet zu werden. Wie | |
hat eigentlich Renate Künast auf Sie reagiert - sie hat es ja derzeit nicht | |
gerade leicht? | |
Ich habe mich hauptsächlich mit ihrem Wahlkampfmanager unterhalten, der | |
inzwischen gefeuert ist. Ihr habe ich nur kurz die Hand geschüttelt, als | |
ich sie auf einen dieser typischen Termine begleitet habe: Grundschule | |
besuchen, Ziegen füttern … Frank Henkel habe ich getroffen und Klaus | |
Lederer. Sonst eher die zweite Reihe, die erschien mir wichtiger. | |
Sie haben auch Kleinstparteien wie die Bergpartei und die Freiheit | |
getroffen, welchen Eindruck hatten Sie von denen? | |
Die Bergpartei meint es durchaus ernst, das ist keine Spaßpartei. Die | |
kämpfen für ihren Kiez, den sie in- und auswendig kennen, und kleben ihre | |
Plakate selber, sehr sympathisch. Aber ich habe auch mit Leuten von "Die | |
Freiheit" und "Pro Deutschland" gesprochen, ich wollte ja mit allen reden. | |
Als Schüler habe ich das schon mal gemacht: Anfang der Neunziger habe ich | |
mich bei allen möglichen rechten Parteien rumgetrieben, um herauszufinden, | |
was die vorhaben. Die kamen am Schluss sogar zu meinen Eltern nach Hause, | |
um mich zu überzeugen. Damals waren das fiese Glatzen mit Schaftstiefeln. | |
Heute treten sie dezenter auf. Leute wie Manfred Rouhs von "Pro | |
Deutschland" sind recht schlau, die könnten es schon in ein paar | |
Bezirksparlamente schaffen. Aber um größere Wählermengen zu binden, sind | |
die zu zerstritten. | |
Sie haben als Schüler im rechtsextremen Milieu recherchiert - waren Sie | |
politisch aktiv? | |
Ich hatte ein Buch von Günter Wallraff gelesen und wollte unbedingt auch | |
investigativer Journalist werden. Bei den Rechten gab ich an, ganz wertfrei | |
über die "Bewegung" berichten zu wollen, für die Schülerzeitung. In | |
Wirklichkeit war es ein Schulprojekt. Aufregend war das, aber am Ende hat | |
es mich doch auf die Bühne gezogen. | |
Wie bringen Sie den Wahlkampf auf die Bühne, wird das eine Satireshow? | |
Nein, launiges Politkabarett gibt es nicht. Eine Wowereit-Perücke ziehe ich | |
garantiert nicht an. Ich mache es mir schon schwerer. Wir arbeiten | |
dokumentenecht, mit O-Tönen aus Interviews, Wahlkampfreden, Programmen. Bei | |
den Proben dringe ich immer tiefer in die Materie ein, um zu sehen, wie | |
unser gesammeltes Material auf der Bühne funktioniert. Ohne gängige | |
Kritikmuster am Politbetrieb zu wiederholen. Dafür gibt es eigentlich noch | |
keine Form. Ich suche noch. | |
Wenn Sie selbst schon bei der Lektüre der Wahlprogramme ungeduldig wurden - | |
wie verhindern Sie, dass Ihre Zuschauer den Saal verlassen? | |
Intelligentes Streichen von Textpassagen vielleicht? Wobei man dann | |
aufpassen muss, nichts Sinnentleertes zu produzieren: Das wäre Parodie. | |
Vielleicht muss das Publikum erst durch eine gewisse Strecke Langeweile | |
durch, bevors interessant wird. | |
Fühlen Sie sich jetzt, nach Ihrer Recherche, in der Lage, eine eigene | |
Position zu entwickeln? | |
Eher - wobei jeder Hauptstadtjournalist noch 80-mal mehr Ahnung hat als | |
ich. Bevor ich politisch Stellung beziehe, will ich ganz genau wissen, | |
worum es geht. Vom Kleingarten bis zum Flughafen. | |
Bei so akribischer Meinungsbildung - wie wollen Sie sich da bis zur Wahl | |
entscheiden? | |
Keine Ahnung! Sehen Sie sich die Linkspartei an, die plakatiert "Gegen | |
Wildwestmieten". Vor nicht allzu langer Zeit haben die selbst 300.000 | |
Wohnungen verscherbelt. Da fragt man sich: Wem kann ich eigentlich glauben? | |
Ich bin nicht annähernd so weit, meinungsfähig zu sein. | |
Und was machen Sie am 18. 9.? | |
Theater spielen! Und vermutlich wählen, vielleicht sogar die Bergpartei. | |
Aber genau weiß ich es noch nicht. | |
Gibt es ein bestimmendes Thema in diesem Wahlkampf? | |
Nein, es gibt sehr viele verschiedene. Und über allen thront Klaus Wowereit | |
mit seinen Wellnessplakaten und schaukelt das Ganze nach Hause. So wird es | |
ja wohl kommen. | |
Ihr Lieblingswahlslogan? | |
"Berlin verstehen" ist schon ne Nummer, da gruselt es mich, wenn ich | |
vorbeifahre. | |
Nach eingehender Selbstbefragung: Hätten Sie das Zeug zum Politiker? | |
Absolut nicht. Man muss ein Faible für Vereinsstrukturen haben, und man | |
braucht auch etwas Masochismus, um all die Sitzungen und Diskussionen als | |
Alltag zu akzeptieren. Schon die Körper der meisten Politiker sprechen | |
Bände. Das viele Sitzen, das schlechte Essen … Interessant ist ja, dass die | |
meisten Politiker nicht zufällig in einer Partei landen. Sie haben aktiv | |
nach einer gesucht und sich überall mal umgesehen. Auf die Idee wäre ich | |
nie gekommen, ich fand Vereine immer anstrengend. | |
Und wenn Sie sich jetzt, als frisch Politisierter, eine Partei suchen | |
müssten? | |
Der moderne Protest läuft eher über Einzelproteste, das scheint | |
erfolgversprechender zu sein als das Konzept einer großen Partei für alles. | |
Die Idee, alles überschauen zu wollen und überall mitzureden, ist mir | |
suspekt. Auf kommunaler Ebene geht es vielleicht auch ohne Volksparteien. | |
26 Aug 2011 | |
## AUTOREN | |
Nina Apin | |
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