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# taz.de -- Zentralstelle für Kriegsdienstverweigerer: Wegen Erfolgs geschloss…
> Vom Vaterlandsverräter zum Helfer - das Bild derer, die den Dienst an der
> Waffe ablehnen, hat sich gewandelt. Auch dank des Chefs der Zentralstelle
> für Kriegsdienstverweigerer.
Bild: Das Büro von Peter Tobiassen im Herbst 2010. Jetzt ist Schluss.
BOCKHORN taz | Es endet alles in einem alten Kinderzimmer. An einer Wand
hängt noch ein Poster von Janis Joplin, das eine der beiden Töchter einst
beim Auszug zurückließ. Neben dem Schreibtisch mit einem schicken neuen
Rechner steht ein Schrank mit Aktenordnern. Nicht viel für eine 54 Jahre
alte Organisation.
"Die meisten Unterlagen sind schon in Berlin, im Evangelischen
Zentralarchiv", sagt Peter Tobiassen. Nicht entschuldigend klingt er da,
auch nicht wehmütig, obwohl der 56-Jährige hier sein Lebenswerk zu den
Akten legt. Für Tobiassen ist das einfach so: Er hat für ein Ziel
gearbeitet, 33 Jahre lang, und jetzt ist es erreicht. Ende, aus.
Ist er nicht trotzdem traurig? Tobiassen blickt ein paar Sekunden stumm
durch seine schmal geränderte Brille. "Nöö", sagt er dann, "nöö, das wäre
ja komisch."
Peter Tobiassen ist ein großer, schlanker Mann, der beim Reden zügig auf
den Punkt kommt. "Wenn ich jetzt traurig wäre", sagt er ruhig, "dann wäre
ich ja wie ein Forscher, der gegen eine Krankheit geforscht hat und sich
dann aufregt, dass die Medizin gefunden ist."
Die Krankheit, welcher der trockene Norddeutsche sein Arbeitsleben gewidmet
hat, das war die Wehrpflicht. Der angebliche Pfeiler bundesrepublikanischer
Werte ist seit diesem Sommer Geschichte, und mit ihm der Zivildienst. Und
damit endet auch die Arbeit des Geschäftsführers und letzten Angestellten
der "Zentralstelle für Recht und Schutz der Kriegsdienstverweigerung aus
Gewissensgründen e. V.". Kurz: Zentralstelle KDV. Tobiassen hat sein Leben
lang daran gearbeitet, seinen Job überflüssig zu machen, und jetzt ist es
so weit.
Tobiassen setzt sich auf die Terrasse vor seinem Haus, in dem seine Frau
aufgewachsen ist. Es wäre die perfekte Idylle hier in der friesischen
Gemeinde Bockhorn, Ortsteil Ellenserdammersiel. Wären da nicht der Lärm von
Autobahn und Bahnstrecke nach Wilhelmshaven, der hinüberhallt. Tobiassen,
der sein ganzes Leben in dieser Gegend verbracht hat, hat viel Zeit jetzt.
Sein Bürotelefon klingelt nur noch selten. Noch vor einem Jahr riefen jeden
Tag Dutzende junger Männer an, die wissen wollten, wie sie der Einberufung
zur Bundeswehr entgehen konnten. Erst recht, als sie fürchten mussten, zu
den allerletzten Wehrpflichtigen zu gehören.
## Behördendeutsch
Mehreren zigtausend Ratsuchenden hat Tobiassen in den vergangenen 33 Jahren
bei der Zentralstelle geholfen. Fünfzehn bis 20 Beratungsgespräche waren es
am Tag. Wenn die Wehrpflicht eine Krankheit war, dann bestand Tobiassens
Therapieansatz aus Gesprächen und geduldigen Erklärungen.
"Lesen Sie mal das", sagt Tobiassen und zeigt Zettel mit ausgedruckten
E-Mails. In einer bittet "Anonym" um Hilfe. Er habe seinen Antrag auf
Kriegsdienstverweigerung nicht fristgerecht eingereicht. Jetzt habe ihm das
Amt einen "Abhilfebeschied" geschickt, gegen den er "Klage beim zuständigen
Verwaltungsgericht einlegen" könne. Tobiassen schrieb zurück: "Hallo
Anonym, wogegen wollen Sie vorgehen? Sie sind mit diesem Bescheid doch als
Kriegsdienstverweigerer anerkannt." Der junge Mann hatte das
Behördendeutsch nicht verstanden.
Etwas ungehalten kann Tobiassen auch werden. "Sehr viele Ratsuchende
fragten, was die Behörde denn hören wolle. So ein Irrglaube. Da ist eine
Menge Untertanengeist dabei." Denn viele Wehrpflichtige hätten gar kein
Bewusstsein dafür gehabt, was es heißt, ein Recht auf
Kriegsdienstverweigerung zu haben. Eine Gewissensentscheidung muss niemand
einer Behörde gegenüber begründen. Ein Gewissen kann man nämlich nicht
überprüfen. Tobiassen sagt: "Das war den Sachbearbeitern im Bundesamt für
den Zivildienst manchmal schwer beizupuhlen."
Wohl kaum jemand kennt sich im Dickicht aus Anträgen, Fristen und
Widersprüchen besser aus als der gelernte Sozialarbeiter. "Ich bin da so
reingerutscht", sagt Tobiassen.
## Kaum Geld und kleine Büros
Im Jahr 1973 stellte er seinen eigenen Antrag auf Kriegsdienstverweigerung.
Nach zwei Jahren Behördenhickhack leistete er seinen Zivildienst in einem
Bremer Kinderladen - damals noch 16 Monate. Tobiassen wurde Vertrauensmann
der Zivis, arbeitete für deren Selbstorganisation. Im Jahr 1978 fing der
Mann mit den hellblonden Haaren an, bei der Zentralstelle auszuhelfen.
Weil deren damaliger ehrenamtlicher Vorsitzender Ulrich Finckh in Bremen
Gemeindepastor war, nahm die Zentralstelle seit Anfang der siebziger Jahre
ihren Sitz in der Hansestadt. Viel Geld und große Büros hatten sie ohnehin
nie. Auch seine eigene Stelle musste Tobiassen erst erfinden. Geld kam
anfangs durch Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen. Später habe das Arbeitsamt sie
nicht mehr unterstützen wollen, erzählt Tobiassen: weil die Zentralstelle
doch eine staatsfeindliche Organisation sei.
Dabei beschränkte sich die Zentralstelle von ihrer Gründung an auf einen
einzigen Punkt. Immer wieder erinnerten sie schlicht an Paragraf 4 des
Grundgesetzes: "Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der
Waffe gezwungen werden." Doch wer das tat, machte sich verdächtig. Damals
legte Franz Josef Degenhardt in seinem Lied "Befragung eines
Kriegsdienstverweigerers" einem Richter die Frage in den Mund: "Also, Sie
berufen sich hier pausenlos aufs Grundgesetz. Sagen Sie mal, sind Sie
eigentlich Kommunist?"
Tobiassen hat den gesellschaftlichen Wandel seither hautnah miterlebt: Von
feigen Vaterlandsverrätern wandelten sich die Zivis in der öffentlichen
Wahrnehmung zu den unverzichtbaren Helfern im Alltag. Darüber hat er sich,
anders als viele Linke, nicht gefreut. Im Gegenteil. "Man hat die
gesellschaftliche Dienstleistung anerkannt, nicht die
Kriegsdienstverweigerung." Die Begründung des Zivildiensts hält er für
irrwitzig: "Warum soll jemand Ersatzleistungen bringen für etwas, das er
für ein Verbrechen hält? "Das ist in etwa so, als bringe ein Ehemann eine
Ersatzleistung, weil er keinen Ehebruch begeht."
Deshalb ist Tobiassen auch stolz darauf, dass er den weit verbreiteten
Glauben an die Unverzichtbarkeit der Zivis erschüttert hat. Tobiassens
Waffen waren die Zahlen. Rohmaterial lieferten ihm kleine Anfragen von
Linken- und Grünen-Politikern ans Verteidigungs- oder Familienministerium.
Aus denen zog er seine Schlüsse. Einmal erklärte er, das Sozialwesen könne
gar nicht zusammenbrechen, wenn die Zivis ausbleiben, denn sie bildeten ja
nur ein bis zwei Prozent der Mitarbeiter. "Das war eine grobe Schätzung.
Aber niemand widersprach. Sie musste also stimmen."
Die kleine Zentralstelle schaffte es wieder in die Zeitung. Manche seiner
Zahlen schafften es vor ein paar Jahren gar bis in eine Urteilsbegründung
des Bundesverfassungsgerichts. Der Mentalitätswandel, findet Tobiassen, ist
auch das Werk seiner kleinen Organisation: "Ich glaube nicht, dass der
Wandel uns geprägt hat. Wir haben diese Debatte geprägt."
## Selbstabwicklung
Als der Vorsitzende Finckh 2003 sein Amt abgab, verlagerte Tobiassen das
Büro einfach vom 80 Kilometer entfernten Bremen nach Bockhorn: ins
Dachgeschoss des Nachbarhauses. Zu dritt arbeiteten sie hier bis Ende
vergangenen Jahres. Das Ende der Wehrpflicht habe er kommen sehen, sagt
Tobiassen. Schon die Einführung der sechsmonatigen Dienstzeit zeigte: Nicht
nur die Wehrgerechtigkeit war seit Langem ein Witz. Auch der Gedanke,
Rekruten in immer kürzeren Zeitläufen auszubilden, war unrealistisch.
Seit Februar verwaltet Tobiassen nun seine eigene Abwicklung im ehemaligen
Kinderzimmer. Das spart Miete. Ende des Monats ist auch hier Schluss. Dann
stellt er das Infotelefon ab. Das Ende von 54 Jahren Zentralstelle KDV.
Bewerbungen für einen neuen Job sind raus, sagt Tobiassen nur.
Bis heute bekommt er Anrufe. Erst am Vortag riefen zwei Zeitsoldaten an:
ein Mann, der nach 13 Jahren bei der Armee Zweifel an seiner Arbeit
bekommt, weil er die Welt seit der Geburt seines Kindes anders sieht. Und
eine junge Frau, die vor zwei Jahren, mit 17, zum Bund ging. "Stellen Sie
sich das vor", sagt Tobiassen. "In Deutschland gibt es Kindersoldaten."
Es wird Abend, Tobiassen muss los, zu einer Baustelle in Oldenburg. Seine
Frau, eine Berufsschullehrerin, und er haben das Haus schon verkauft. Ihre
beiden erwachsenen Töchter leben in Göteborg und Berlin. Die Tobiassens
wollen nicht alt werden in der Einsamkeit Frieslands. Darum ziehen sie mit
Mitte 50 noch einmal um. In ein Mehrgenerationenhaus mit Jungen, Alten und
Kindern. Die Entscheidung haben sie schon vor der Aussetzung der
Wehrpflicht gefasst. Die künftigen Eigentümer planen und lassen selbst
bauen.
Tobiassen macht wieder den Geschäftsführer. Er organisiert das Ganze und er
vermittelt, wenn es Streit über die Farbe der Türen gibt. Ob er sich freue
über die neue Zeit? Tobiassen überlegt kurz. "Jooh", sagt er dann, "jooh."
29 Aug 2011
## AUTOREN
Matthias Lohre
## TAGS
Wehrpflicht
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