# taz.de -- Libyens Ölquellen sollen wieder sprudeln: Gaddafis Schwarzkasse | |
> Libyens Revolutionäre sind dringend auf die Einnahmen aus dem Öl- und | |
> Gassektor angewiesen. Sie haben kein Interesse daran, die bestehenden | |
> Verträge zur Disposition zu stellen. | |
Bild: Für die libyschen Rebellen ist der Kampf um die letzte Gaddafi-Bastion s… | |
BERLIN taz | In Tripolis wurde noch gekämpft, da machten Italiens Ölmogule | |
in Bengasi bereits ihre Aufwartung. Der italienische Ölgigant Eni | |
unterzeichnete am 29. August mit dem Nationalen Übergangsrat der libyschen | |
Rebellen ein Memorandum über die "schnelle und vollständige" Wiederaufnahme | |
der Eni-Aktivitäten in Libyen. Eni war vor dem Krieg der größte | |
ausländische Ölförderer in Gaddafis Reich – Symbol der engen Freundschaft | |
zwischen dem libyschen Diktator und Italiens Berlusconi-Regierung. | |
Libyens Revolutionäre sind auf Öl und Gas angewiesen. 95 Prozent der | |
Exporteinnahmen, 75 Prozent der Staatseinnahmen und die Hälfte des | |
Bruttosozialprodukts kommen aus der Ausfuhr dieser Rohstoffe. Das Land ist | |
der drittgrößte Ölproduzent Afrikas - im Jahr 2010 betrug die Förderung | |
1,55 Millionen Barrel pro Tag - und hat mit 42 Milliarden Barrel die | |
größten nachgewiesenen Ölreserven des Kontinents. | |
Das libysche Öl ist von guter Qualität und auf den Weltmärkten heiß | |
begehrt. Seit Gaddafi nach 2003 hoffähig wurde, die internationalen | |
Sanktionen beendet wurden und Libyen seinen Öl- und Gassektor für | |
ausländische Investoren öffnete, stehen Interessenten aus aller Welt | |
Schlange: aus Italien und Großbritannien, Frankreich und Deutschland, | |
Russland und China, Algerien und Brasilien. | |
Mit Beginn des libyschen Bürgerkriegs im Februar 2011 brach der Ölsektor | |
und damit die libysche Wirtschaft zusammen. Förder- und Raffinerieanlagen | |
wurden beschädigt, die Exporthäfen waren heiß umkämpft, ausländische | |
Techniker mussten evakuiert werden. | |
Die libyschen Ölgesellschaften wurden mit UN-Sanktionen belegt. Der | |
östlichste Ölhafen, Tobruk, geriet unter Rebellenkontrolle, das zentrale | |
Sirte-Becken mit den Ölhäfen Ras Lanuf und Brega wurde Kriegsfront, im | |
Westen eroberte Gaddafi nach einem blutigen Feldzug die wichtigste | |
Ölexportstadt Zawiya zurück. Gaddafi konnte nichts mehr legal exportieren, | |
da sein Firmenimperium international geächtet war. | |
Die Rebellen konnten allerdings auch nicht liefern, weil die Ölfelder und | |
Pipelines aus dem Landesinnern sabotiert wurden. Auch die Gaspipeline | |
"Greenstream" von Libyen nach Italien, ein Joint Venture zwischen beiden | |
Ländern, wurde stillgelegt. | |
Eni hat jetzt versprochen, dringend benötigten Treibstoff nach Libyen zu | |
liefern - dafür soll die Gaspipeline "Greenstream" spätestens Mitte Oktober | |
wieder in Betrieb gehen. Wie lange es nach Kriegsende dauern wird, bis die | |
Öl- und Gasproduktion wieder Vorkriegsniveau erreicht, ist aber umstritten. | |
Die Schätzungen schwanken zwischen 4 Monaten und 3 Jahren. Die ostlibyschen | |
Ölfelder Sarir und Misla, die mit dem Hafen Tobruk verbunden sind, könnten | |
laut Rebellen schon in wenigen Wochen wieder in Betrieb gehen, womit ein | |
Viertel der Vorkriegsproduktion gewährleistet wäre. | |
Für die Rückkehr ausländischer Techniker und für Investitionen in die | |
Wiederherstellung von Förder- und Exportanlagen brauchen die ausländischen | |
Konzerne Rechtssicherheit und verlässliche libysche Partner. Die von | |
manchen kritisierte schnelle internationale Anerkennung der libyschen | |
Aufständischen als legitime Regierung diente auch dazu, die Rebellen in die | |
Pflicht zu nehmen, sich in der Kontinuität des libyschen Staates zu sehen, | |
der in allen Abkommen mit ausländischen Konzernen eine Mehrheit hält. | |
Alle bestehenden Verträge würden respektiert, haben hochrangige Vertreter | |
der Aufständischen mehrfach versichert. "Die Verträge im Ölsektor sind | |
absolut heilig", sagte Wiederaufbaubeauftragter Ahmed Jehani vergangene | |
Woche. "Die Verträge wurden ausgehandelt, es steht nicht zur Debatte, sie | |
aufzulösen." | |
## Verträge einhalten | |
Ähnlich äußerte sich der neue Direktor der staatlichen libyschen | |
Ölgesellschaft NOC. "Ich habe internationale Ölfirmen getroffen, und das | |
Erste, was ich ihnen sagte, war, dass wir alle Verträge respektieren", | |
sagte Nouri Berouin nach seiner Ernennung in Bengasi am Dienstag. | |
Von interessierter Seite werden gegenteilige Gerüchte geschürt. So schrieb | |
letzte Woche die französische Tageszeitung Libération, die Aufständischen | |
hätten Frankreich 35 Prozent des libyschen Öls versprochen. Als Quelle galt | |
ein an den Emir von Katar gerichtetes Schreiben einer "Volksfront zur | |
Befreiung Libyens" von Anfang April, dem zufolge der Nationalrat auf einer | |
Konferenz in London ein entsprechendes Versprechen gemacht habe - eine | |
recht dubiose Quelle. | |
Es ist jedoch durchaus denkbar, dass ausländische Lobbyisten versuchen, | |
noch vor Festigung einer neuen Regierung in Libyen Druck auszuüben, in der | |
Annahme, der Nationalrat sei leichter weichzuklopfen, als es Gaddafi war. | |
Spielraum für Neuverhandlungen gibt es durchaus. | |
## Verträge durchleuchten | |
Viele bisherige Vereinbarungen sind über Absichtserklärungen und | |
Bohrverträge - die nicht identisch sind mit Förderverträgen - noch gar | |
nicht hinausgekommen. Gaddafi selbst hat mehrfach die Konditionen seiner | |
Partner verändert. Und die Rebellen wollen seine Geschäfte ohnehin unter | |
die Lupe nehmen. | |
Als Erstes wird bereits die staatliche libysche Investitionsbehörde LIA | |
durchleuchtet, die die mit Öleinnahmen gefütterten 65 Milliarden Dollar | |
Auslandsinvestitionen des Gaddafi-Clans hält. Vermutet werden | |
Unregelmäßigkeiten durch die Verquickung von Gaddafis Privatinteressen mit | |
den Interessen des libyschen Staates. LIA hält unter anderem Anteile an Eni | |
in Italien. Auch eine Durchleuchtung des libyschen Ölsektors würde | |
sicherlich Unregelmäßigkeiten zutage fördern. | |
Die staatliche Ölfirma NOC (National Oil Corporation) Libya ist ein Gigant, | |
zweitgrößtes Unternehmen des Kontinents hinter seinem algerischen Pendant | |
Sonatrach. NOC, entstanden aus der Verstaatlichung der zuvor von Italien | |
und Großbritannien dominierten libyschen Ölindustrie durch Gaddafi Anfang | |
der 1970er Jahre, hat die neue ausländische Gier nach Libyens Öl und Gas | |
auszunutzen gewusst. | |
Es hat Interessenten gegeneinander ausgespielt, sich einen Mehrheitsanteil | |
in allen Joint Ventures gesichert und bei Verträgen mit ausländischen | |
Förderern außerordentlich vorteilhafte Konditionen für die libysche Seite | |
ausgehandelt: Shell versprach NOC 85 Prozent seiner gesamten | |
Produktionsmenge, Petro-Canada 88 Prozent, Gazprom und chinesische Firmen | |
sagten gar über 90 Prozent zu. | |
## Devisen beschaffen | |
## | |
Keine libysche Regierung hat ein Interesse daran, diese Verträge komplett | |
aufzuschnüren. Es geht eher darum, dass die daraus resultierenden libyschen | |
Einnahmen dem Land zugutekommen - statt wie bisher Gaddafi als Schwarzkasse | |
zu dienen. Das heißt, NOC entsprechend umzustrukturieren. | |
Unter dem Dach von NOC Libya koexistierten bislang mehrere | |
Staatsunternehmen in einem schwer durchschaubaren Geflecht. Das Wichtigste | |
von ihnen, Agoco (Arabian Gulf Oil Company), das die ostlibyschen Ölfelder | |
von Sarir und Misla betreibt, sagte sich zu Kriegsbeginn von Gaddafi los | |
und lief zu den Rebellen über, was allerdings nicht verhinderte, dass das | |
Unternehmen mit UN-Sanktionen belegt wurde. | |
Die Rohstoffgeschäfte des Nationalrats laufen über Agoco, ohne NOC, und es | |
ist möglich, dass die bisher zu 100 Prozent von NOC gehaltene Firma | |
eigenständig wird. "Nationale Ölfirmen werden unabhängiger werden", | |
versprach der neue NOC-Chef Berouni diese Woche. Dann hätte Libyen | |
tatsächlich Spielraum für neue Verträge. | |
Am dringendsten ist aus libyscher Sicht zunächst nicht die Wiederaufnahme | |
der Ölförderung; wichtiger sind die Freigabe der gesperrten libyschen | |
Auslandsguthaben zwecks Devisenbeschaffung, die Einfuhr dringend benötigter | |
Treibstoffe und die Wiedereröffnung der beschädigten oder nicht mehr | |
versorgten libyschen Ölraffinerien in Ras Lanuf, Zawiyah, Tobruk, | |
Marsa-Brega und Sarir für die inländische Versorgung. Die interessantesten | |
Verträge wird es kurzfristig bei der Modernisierung und Reparatur von | |
Raffinerien und Pipelines geben. | |
4 Sep 2011 | |
## AUTOREN | |
D. Johnson | |
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