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# taz.de -- Polen vor Fußball-EM: Der neue Stolz der Stadt
> Mauern mit "Anty Jude"-Schmierereien, Hooligans in Lauerstellung und ein
> Länderspiel, das Polen glücklich macht: Eine Visite in Danzig.
Bild: Arena in Gummiboot-Optik: polnischer Fan vor bernsteinfarbenem Koloss.
DANZIG taz | Grinsen. Lächeln. Strahlen. Franciszek Smuda, der Trainer der
polnischen Nationalmannschaft, war gut drauf. 2:2 hatte seine Mannschaft
gegen Deutschland gespielt. "Gegen gute Deutsche", wie er sagte. Nur kurz
sei er traurig gewesen, weil die Deutschen in der allerletzten Sekunde noch
den Ausgleich erzielt hatten.
Die Stimmung in der Kabine sei unmittelbar nach dem Spiel auch nicht gerade
überschäumend gewesen, berichtete Smuda, aber bald schon seien alle Spieler
stolz gewesen. 2:2 gegen den Dritten der Weltrangliste. Es war eh nur der
Schiedsrichter, der den Polen den ersten Sieg über eine deutsche Mannschaft
geklaut hat.
Smuda wechselte kurz vor Schluss noch einmal aus. "Da hat mir der
Offizielle gesagt, es seien noch 16 Sekunden zu spielen, aber die haben
dann anderthalb Minuten gedauert." Smuda fühlte sich als der wahre Sieger
des Spiels. Und die Stimmung auf den Rängen sei auch so toll gewesen. Und
nun freue er sich auf die EM. Zum ersten Mal hatte seine Nationalmannschaft
in einer der neuen Nobelarenen gespielt. "Eine der besten in Europa", ist
sich Smuda sicher.
Sie liegt im Norden Danzigs, in Letnica, einem Stadtteil mit Potenzial, wie
es in einer Stadionbroschüre heißt. "Unser Lamborghini", so der Titel des
Heftes. Das Stadion wird als neuer Stolz der Stadt gesehen. 160 Millionen
Euro sind verbaut worden für die Arena in Gummiboot-Optik. Die
Neo-Bootik-Kathedrale wirkt noch arg fremd in der Gegend, in die man sie
hineingesetzt hat. Bernsteinfarben, so wird der gelbliche Farbton in der
Stadionbroschüre genannt, strahlt sie in die dreckigen Karosseriebaufirmen,
in die Hallen von Möbeltrödlern und Schrotthändlern.
## City Dressing
Die Bewohner der Vorstadthäuser, die neben dem neuen Stadion elender
wirken, als sie es vielleicht sind, werden wissen, dass sie vielleicht
schon bald neue Quartiere suchen müssen. Aus den Fenstern strecken sie am
Tag des Spiels ihre dunklen Gesichter, denen man lebenslange harte Arbeit
ansieht, und beobachten das Treiben der Mittelschichtfans, die sich ein
Länderspielticket geleistet haben.
Diese stören sich ebenso wenig wie die Anwohner an den Hinterlassenschaften
der Fans von Lechia Gdansk, dem polnischen Erstligaklub, der seit Beginn
der Saison im neuen Stadion spielt. Durchgestrichene Davidsterne sind auf
die grauen Mauern gesprayt. "Anty Jude" steht daneben.
Vier Spiele werden während der EM in Danzig stattfinden. Bis dahin muss
noch viel überpinselt oder abgehängt werden in der Stadt. Gut möglich, dass
das gelingt. Zum sogenannten City Dressing müssen sich alle Gastgeberstädte
verpflichten und die Straßen in der Innenstadt und auf den Wegen zum
Stadion in den Turnierfarben schmücken.
In Danzigs Innenstadt hat man damit bereits begonnen. Die EM-Plakate
verdrängen die Tafeln, die auf das Jan-Hewelius-Jahr 2011 hinweisen. Vor
400 Jahren wurde der Astronom, dessen Mondkartografie so wegweisend war, in
Danzig geboren. Der Wissenschaftler muss der Massenkultur weichen.
## Gute-Laune-Event statt Hooligan-Problem
Lange waren sie unterwegs am Dienstag, die Massen. Das Stadion mag zwar
fertig sein, an der Straßenbahnlinie, die es mit der Stadt verbinden soll,
wird aber noch gebaut. Mehrere Kilometer wanderten die Fans von der
nächstgelegenen S-Bahn-Station an einem Heizkraftwerk vorbei zum Spiel. Die
paar deutschen Fans, die unterwegs waren, beschwerten sich darüber nicht.
EM-Stimmung auch bei ihnen.
"Da habe ich schon Schlimmeres erlebt", meint einer, der aus Düsseldorf mit
dem Auto nach Danzig gefahren ist. Er findet es super, dass das Bier so
billig ist in Polen. Er wundert sich nur über eines: "Ticket-Juden sind
hier keine unterwegs." Kein Schwarzmarkt. 37.000 Karten von 44.000 waren
verkauft worden.
"Hurra, hurra, die Deutschen, die sind da" – nur eine Handvoll Deutscher im
beinahe leeren Gästeblock bemühte sich, negativ aufzufallen. Mit denen
hatten die 1.600 Polizeibeamten keine Probleme. Genauso wenig wie mit den
berüchtigten polnischen Hooligans. Wer die Fans rund um das Stadion
beobachtet hat, der glaubt, was Dariusz Lapinski, Verantwortlicher im
staatlichen Organisationskomitee der EM, vor dem Spiel zu deutschen
Journalisten gesagt hatte: "Niemand muss Angst haben, nach Polen zu
kommen."
Das Hooliganproblem spiele sich auf der Vereinsebene ab. Lapinski ist sich
sicher, alles im Griff zu haben: "Ausschreitungen gibt es nur, wenn man als
Veranstalter etwas falsch macht." Die paar Lechia-Glatzen, die vor dem
Stadion herumlungerten, als wollten sie sehen, was so los ist in ihrem
Barrio, konnten das Gute-Laune-Event nicht beeinträchtigen.
## Ein gut gemeintes Gastgeschenk
Gut gelaunt war auch Bundestrainer Joachim Löw. "Ich möchte mich an dieser
Stelle noch einmal ausdrücklich für die Gastfreundschaft hier bedanken",
sagte er, nachdem er ein paar Fragen über den an diesem Tag schlechten
Außenverteidiger Christian Träsch und den wieder einmal überragenden Thomas
Müller, der erst nach der Pause ins Spiel kam, beantwortet hatte.
So ganz konnte zwar keiner verstehen, was er gemeint hatte, als es sagte,
er sei "glücklich" darüber, dass sein Team auch einmal nicht gut gespielt
habe. Aber darum ging es nicht an diesem beinahe offiziellen Vorabend der
Europameisterschaft. Er sei in den letzten Monaten des Öfteren in Polen
gewesen, habe mögliche Quartiere und Trainingsanlagen besichtigt und freue
sich nun auf die Rückkehr nach Danzig im nächsten Sommer.
Im Dwor Oliwski, also dem Gutshof Oliwski, einem zum luxuriösen Hotel
umgebauten Herrensitz auf einer Anhöhe zwischen Danzig und dem
Ostseebadeort Sopot gelegen, wird das deutsche Team während des EM-Turniers
logieren. Schön soll es werden. Auch für die polnische Auswahl.
Der wünscht Löw auch alles Gute für das Turnier. Und gut sei es, dass die
polnische Auswahl nicht gewonnen habe. "Dann wird die Euphorie zu groß, das
ist schlecht", sagte er und verkaufte den polnischen Gastgebern den
gemeinen Ausgleich durch Cacau auch noch als gut gemeintes Gastgeschenk.
7 Sep 2011
## AUTOREN
Andreas Rüttenauer
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