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# taz.de -- Ausstellung "Polen – Deutschland": Schweinsgalopp durch 1.000 Jah…
> Die Ausstellung im Berliner Martin-Gropius-Bau ist eine Schau der
> Superlative. Schade, dass sie sich nicht an den deutsch-polnischen Alltag
> von heute heranwagt.
Bild: Die Buchstaben ergeben das polnische Wort "między" ("zwischen") – so h…
BERLIN taz | "Tür an Tür. Polen – Deutschland. 1.000 Jahre Kunst und
Geschichte" heißt die Ausstellung im Berliner Martin-Gropius-Bau. Wenn der
Besucher gleich beim Eintreten in den ersten Raum vor einer wuchtigen,
ziemlich verrammelt aussehenden Bronzetür steht, könnte man auf die Idee
kommen, diese Tür widersetze sich so heimlich wie symbolträchtig der
Intention der Ausstellung, die doch die kulturellen Verflechtungen zwischen
Polen und Deutschland aufzeigen möchte.
Geht es doch nicht so offen zu in den deutsch-polnischen Beziehungen?
Missinterpretieren ließe sich auch das eigens für die Ausstellung
angefertigte begehbare Kühlhaus des Bildhauers Gregor Schneider: Es ist
wohl kein psychoklimatischer Kommentar auf das deutsch-polnischen
Verhältnis.
In der deutsch-polnischen Nachbarschaft ging es zuweilen eher hitzig und
nicht selten mythisch aufgeladen zu. Davon erzählt wie kaum ein anderes
Ereignis die Schlacht bei Grunwald im Jahr 1410. Dem Komplex Grunwald ist
der im Zentrum befindliche Lichthof des Martin-Gropius-Baus gewidmet. Ihn
hat der polnische Künstler Jaroslaw Kozakiewicz mit einem Stahlgitterkäfig
versehen. Dieses "Archiv der Geschichte" birgt unter anderem eines der
bedeutendsten Nationalgemälde Polens, Jan Matejkos "Preußische Huldigung"
(1882) in sich. Kozakiewicz Installation möchte den mythologischen Spuk um
Grunwald historisieren und ihm so seine Wirkungsmacht nehmen.
In Polen ragt die Schlacht als Erfolgsmythos bis in die Gegenwart und wird
jährlich durch ein Reenactment des Gefechts erinnert. 1410 siegten die
Streitkräfte des Königreichs Polen unter König Jagiello glorreich über den
Deutschritterorden, es war eine herbe Niederlage des Ordensstaats Preußen.
Der Befreiungsschlag gegen den Orden, der als Vorgeschmack auf kommende
Unterdrückungen unter Bismarck und Hitler gelesen wurde, wurde bis in die
letzten Jahre der Volksrepublik Polen immer wieder als Mythos reaktiviert
und als Motor des polnischen Patriotismus instrumentalisiert.
"'Krzyzak' (Kreuzritter) - war das schlimmste Schimpfwort für einen
Deutschen, und die Daten des Erfolgs galten als Sternstunden polnischer
Geschichte", schreibt der Historiker Udo Arnold in einem der vielen
bündigen und äußerst lesenswerten Beiträge des knapp 800 Seiten starken
Katalogs.
## Kulturpolitische Sensation
Hier im Hof zeigt sich der selbstkritische Höhepunkt dieser Ausstellung,
die für die deutsch-polnischen Beziehungen schon eine kleine Sensation ist.
Der Titel "Tür an Tür" ist zwar etwas schrebergartenhaft geraten (der
polnische Titel, "obok" - "Nebenan" ist da gelungener). Das sollte aber
nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Ausstellung eine
kulturgeschichtliche Schau der Superlative ist. In einem Schweinsgalopp
durch 1.000 Jahre gemeinsame Geschichte, illustriert mit 800 Exponaten,
erfährt man viele interessante Details über die Nachbarschaft und kann
historische Linien verfolgen.
Es fängt an mit der erwähnten Bronzetür vom Ende des 12. Jahrhunderts.
Diese zeitgenössische Kopie der Tür der erzbischöflichen Kathedrale in
Gnesen weist gestalterische Anleihen der Tür des Doms zu Hildesheim auf und
dokumentiert den künstlerischen Austausch zwischen den Ländern. Weiter geht
es mit den dynastischen Verbindungen des polnischen Adels hin zu
kulturellen Hotspots wie Krakau, wo der Holzbildschnitzer Veit Stoß, Bürger
Nürnbergs und Krakaus in Personalunion, seinen für das Spätmittelalter
bahnbrechenden Marienaltar (1477-89) schuf.
Natürlich fehlt in dieser Ausstellung auch nicht der Verweis auf die
"Polenbegeisterung". Sie brach europaweit wegen des Novemberaufstandes im
Jahr 1831 aus, der sich im russischen Besatzungsgebiet ereignete. Nach der
ersten Teilung Polens 1772 war Polen von Zarenreich, Preußen und der
K.-u.-k.-Monarchie aufgeteilt worden. "Für Eure und Unsere Freiheit"
lautete das Motto des Aufstands, das unmittelbar anschlussfähig war auch
für die Demonstranten, die im Namen von bürgerlichen Freiheitsrechten und
nationaler Einheit im Mai 1832 auf das Hambacher Schloss zogen.
Das Hambacher Fest wurde denn auch für einen - wenn auch ideologisch
gebrochenen - Neuanfang in der (ost)deutsch-polnischen Nachkriegsgeschichte
instrumentalisiert. Davon zeugt ein Gemälde des DDR-Malers Hans Mocznay von
1977, der besonders die Ankunft der polnischen Delegation auf dem Fest in
den Mittelpunkt rückt. Der "edle Pole" (Werner Benecke) ist eins der
wenigen positiven Stereotype in der polnisch-deutschen Geschichte.
## Zu prachtvoll der Glanz
Negative und reißerische dagegen, die üblicherweise die Beziehung
überschatten, sucht man in dieser Ausstellung vergebens. Selbst im Saal,
der sich dem brutalsten Kapitel der deutsch-polnischen Nachbarschaft - dem
deutschen Kriegsterror zwischen 1939 und 1945 - widmet, findet man nicht
die künstlerischen Radikalpositionen etwa eines Zbigniew Libera, auf den
das umstrittene Lego-KZ zurückgeht.
Stattdessen werden die zurückhaltenden und sehr persönlichen Arbeiten der
Bildhauerin Alina Szapocznikow gezeigt, die in ihren Objekten den
Aufenthalt in mehreren Konzentrationslagern verarbeitete. Zu sehen sind
hier auch die Gemälde aus der Erschießungsserie (1949) von Andrzej
Wroblewski, die trotz drastischer Titel und Motive doch ästhetisch
ansprechend sind. Es wäre verfehlt, die Atmosphäre dieses Raumes milde zu
nennen.
Man durchquert ihn im Schein des gedimmten, fast sakralen Lichts auf
scharfkantigen Stahlgittern, was dazu beiträgt, dieses Kapitel als ein aus
der Geschichte herausgehobenes zu lesen. Zu gegenwärtig und prachtvoll
wirkt der Glanz der noch eben beäugten Kronen und Becher, der die
Ausstellung überstrahlt; zu feingeistig und intellektuell sind die Werke
der avantgardistischen Umstürze der Zwischenkriegszeit, um einen klaren
Blick in menschliche Abgründe, auf deutsche Täter zu werfen - oder die in
Polen vom Historiker Jan Gross erst kürzlich wieder angestoßene Diskussion
um polnische Mittäterschaft zu spiegeln.
## Kultur mit nationalem Bezugsrahmen
Dass der Schwerpunkt der Ausstellung vor dem Zweiten Weltkrieg liegt, ist
logisch. Das Begehren in Polen wie im vereinten Deutschland, eine jeweils
oktroyierte Gesellschaftsordnung beziehungsweise den Holocaust zu
überwinden, indem man an eine Epoche vor Hitler/Stalin anknüpft, ist der
Ausstellung aber deutlich eingeschrieben. Deutsch-polnische
Erinnerungskultur soll sich hier einmal anders darstellen. Das größte
Problem jedoch steckt in der Konzeption der Schau, die Kultur zwar als
Austauschprozess - aber immer mit nationalen Bezugsrahmen versteht. Das
sorgt für Ausschlüsse.
Grenzt es nicht an einen paradoxen, deutsch-polnisch geprägten
Eurozentrismus, den großen Anderen der Ausstellung, die östlichen Nachbarn
aus der gemeinsamen Geschichte auszuschließen? Die Ukraine und Russland
sind mit Polens Geschichte nicht nur territorial verwoben. Die polnische
Kuratorin Anda Rottenberg kokettiert im Katalog mit einer spezifisch
polnischen Perspektive der Ausstellung. Der Eindruck, es handle sich um die
Anstrengung, für Polen einen rechtmäßigen Platz in der "west"-europäischen
Kulturgeschichte zu erhalten, drängt sich aber auch ohne sie auf. Das nicht
zuletzt vor dem Hintergrund der diesjährigen EU-Ratspräsidentschaft Polens,
die diese Ausstellung flankiert.
Dass diese Ausstellung eben auch eine staatstragende Leistungsschau ist,
zeigt sich an zwei weiteren Leerstellen. Warum finden die Händler vom
"Polenmarkt" keine Erwähnung, der Ende der 1980er Jahre auf dem Potsdamer
Platz in Berlin zum Ort der intensiven Alltagsbegegnung wurde? Wo sind die
sich in Deutschland unter widrigen Bedingungen verdingenden Polinnen und
Polen? Sie sind moderne Helden der Arbeit an der Basis dieser
Nachbarschaft.
Bis 9. Januar. Katalog: "Tür an Tür. Polen - Deutschland. 1.000 Jahre Kunst
und Geschichte". DuMont, 780 Seiten, 22 Euro
28 Sep 2011
## AUTOREN
Philipp Goll
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