| # taz.de -- Debatte Geopolitik in Nahost: Iran verliert an Bedeutung | |
| > Fällt das Assad-Regime, stürzt Teheran noch lange nicht, aber verliert | |
| > einen zentralen Partner. Sieger ist die Türkei, die sich strategisch sehr | |
| > klug positioniert. | |
| Bild: Mitglied des Iranischen Nahost-Expertenrats. Teherans ambivalente Haltung… | |
| In den achtziger Jahren, also in in ihrer Anfangsphase, waren die | |
| Beziehungen der Islamischen Republik Iran zum Baath-Regime in Syrien in | |
| erster Linie gegen den Irak Saddam Husseins gerichtet, mit dem sich Iran | |
| damals im Krieg befand. In weiterer Folge wurde Syrien auch der wichtigste | |
| Partner zur Unterstützung iranischer Verbündeter im Libanon und unter den | |
| Palästinensern. | |
| Die gemeinsame antiisraelische und antiamerikanische Ausrichtung ist nach | |
| wie vor die Grundlage der Kooperation dieser beiden Regime, die von ihrer | |
| Ideologie her betrachtet eigentlich Feinde sein müssten. So regiert in | |
| Syrien die nationalistische und säkulare Baath-Partei, während Iran eine | |
| Islamische Republik ist. | |
| Trotzdem ist die Beziehung stabil, vielleicht gerade weil sie so schwierig | |
| ist: Sowohl im Libanon als auch im Irak nach Saddam Hussein vertreten beide | |
| Länder eigene, großteils entgegengesetzte Interessen, die zunächst auf der | |
| bilateralen Ebene und dann mit politischen Akteuren vor Ort abgestimmt | |
| werden mussten. | |
| Gleichwohl waren Syrien und Iran in der Lage, ihre antiisraelische Allianz | |
| aufrechtzuerhalten und sich darüber hinaus auch gegenüber Saudi-Arabien | |
| Rückendeckung zu geben. Dass dies über drei Jahrzehnte gut gehen konnte, | |
| darf getrost als Schulbeispiel für eine Allianz herangezogen werden, in der | |
| gemeinsame Interessen erfolgreich über ideologische und strategische | |
| Gegensätze obsiegten. | |
| Das kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass letztendlich zwei Regime | |
| ein Zweckbündnis eingingen, die sonst keine nennenswerten strategischen | |
| Partner haben. Aus Teheraner Sicht ist diese Allianz sogar der Baustein für | |
| eine größere Zukunft. | |
| ## Antiamerikanismus als Kitt | |
| Die iranischen Entscheidungsträger gehen nämlich davon aus, dass früher | |
| oder später ohnehin alle prowestlichen Regime in der Region entweder | |
| abgewählt oder vom Volk hinweggefegt werden. Die nachfolgenden Regierungen | |
| würden dann mehr auf das eigene Volk und weniger auf die USA hören. | |
| Daraus schlussfolgern die Anhänger des Teheraner Regimes, dass Regierungen, | |
| die sich gegen die USA und Israel stellen, grundsätzlich populär sind und | |
| die volle Unterstützung der Bevölkerung genießen. Infolgedessen wurde der | |
| Rückhalt des syrischen Regimes in der Bevölkerung überschätzt - wider | |
| besseres Wissen der iranischen Nachrichtendienste übrigens, von denen | |
| angenommen wird, dass sie seit Jahren lose Kontakte zur syrischen | |
| Opposition der Muslimbruderschaft halten. | |
| Die Gleichsetzung von Populismus mit Antiamerikanismus war schon im Falle | |
| Tunesiens und Ägyptens obsolet. Doch der Volksaufstand gegen das syrische | |
| Regime diskreditiert die ideologische Position des Teheraner Regimes auch | |
| im eigenen Land. Unter normalen Umständen würde man dem nicht zu viel | |
| Bedeutung beimessen. | |
| Doch der arabische Frühling findet zu einem Zeitpunkt statt, wo die | |
| innenpolitische Lage in Teheran äußerst angespannt ist, weil die diversen | |
| Fraktionen um die zukünftige Aufteilung der Macht ringen und die seit 2009 | |
| andauernde Legitimitäts- und Autoritätskrise noch lange nicht überwunden | |
| ist. | |
| Den Grund dafür gab Revolutionsführer Chamenei selbst, als er in seiner | |
| Rede anlässlich des Revolutionstages am 11. Februar 2011 den Sturz Mubaraks | |
| als Bestätigung der eigenen islamischen Revolution von 1979 interpretierte. | |
| Damit wollte er eigentlich ein Zeichen der Versöhnung mit den Reformkräften | |
| setzen, indem er auf das gemeinsame revolutionäre Erbe verwies, das nun von | |
| der Geschichte bestätigt wurde. | |
| ## Irans strategischer Fehler | |
| Die Vertreter der Grünen Bewegung wie Mir Hossein Mussawi und Mehdi Karrubi | |
| widersprachen dieser Lesart und brachten die arabischen Proteste mit der | |
| Protestbewegung des Jahres 2009 in Verbindung, was ihre Verhaftung und | |
| infolgedessen Unruhen auf den Straßen zur Folge hatte. Spätestens damit | |
| begann der arabische Frühling auf die iranische Innenpolitik zu wirken. | |
| Damit wird aber das Überleben des syrischen Regimes bzw. die Diskussion | |
| darüber auch innenpolitisch interessant: Hätte Chamenei auf die | |
| ideologische Überhöhung verzichtet und sich darauf beschränkt, den | |
| arabischen Frühling wohlmeinend zu kommentieren - es wäre ein Leichtes | |
| gewesen, sich vom syrischen Regime in Etappen zu distanzieren. | |
| Stattdessen sprach sich der Revolutionsführer noch im Sommer dieses Jahres | |
| offen für das syrische Baath-Regime aus, indem er die eigene, gegen die | |
| Grüne Bewegung gerichtete Propaganda auf die bürgerrechtlich-islamistisch | |
| motivierte Protestbewegung in Syrien übertrug und diese als vom Westen | |
| initiiert und gesteuert diffamierte. | |
| Trotzdem weiß Teheran, dass Syrien einen tiefgreifenden Wandel braucht. So | |
| riet Irans Außenminister dem syrischen Präsidenten, mehr auf die Stimme des | |
| Volkes zu hören. | |
| ## Die Türkei als Sieger | |
| Die ambivalenten Signale aus Teheran schaden dem Ansehen des Iran gleich | |
| dreifach, nämlich bei der syrischen Regierung, bei der Opposition und bei | |
| der Bevölkerung. Und sie bringen die Position des wichtigsten Verbündeten | |
| des Regimes, die libanesische Hisbollah, in Bedrängnis, die sich ebenfalls | |
| zugunsten der syrischen Baath ausgesprochen hat und nun die eigene Position | |
| vorsichtig verändern muss. | |
| Wie auch immer die Situation in Syrien sich verändern wird, es ist davon | |
| auszugehen, dass es nicht beim bloßen Verlust von Ansehen bleiben wird, | |
| sondern mittelfristig mit einer Verringerung des politischen Einflusses und | |
| strategischen Gewichts Teherans zu rechnen ist. Schon seit einigen Jahren | |
| spürt Teheran die Konkurrenz durch das türkische Modell in der arabischen | |
| Welt. Die klare Haltung und die deutlichen Worte Ankaras an die Adresse | |
| Damaskus haben die Türkei endgültig als einen konstruktiven und wichtigen | |
| strategischen Spieler im Nahen Osten etabliert. Eine Realität, mit der sich | |
| Teheran nur schwer abfindet. | |
| Freilich darf man nicht den voreiligen Schluss ziehen, dass nach dem | |
| eventuellen Fall des syrischen Regimes die iranische "Herrschaft des | |
| Rechtsgelehrten" als Nächstes stürzen wird. Doch der Zusammenbruch des | |
| einzigen Verbündeten wäre ein schwerer strategischer und ideologischer | |
| Rückschlag für die Islamische Republik. | |
| 9 Sep 2011 | |
| ## AUTOREN | |
| Walter Posch | |
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