# taz.de -- Rassismus in Sachsen: Lust auf Hoyerswerda? | |
> Warum nicht, dachte sich Manuel Nhacutou und kam nach 20 Jahren wieder in | |
> die Lausitz. Er war schockiert, denn trotz vieler Bemühungen, hat sich | |
> nicht viel geändert. | |
Bild: Die Zeitzeugen Emmanuel Gärtner, Emmanuel Agyeman und Manuel Nhacutou zi… | |
Vorher hat Manuel Nhacutou gar nicht so viel darüber nachgedacht, er wollte | |
einfach mal sehen, wie es so ist, 20 Jahre danach. Sie standen also vor | |
seinem alten Wohnheim, einem Plattenbau, elf Stockwerke hoch. Ein Filmteam | |
war dabei. | |
Und dann kamen dieser Typ im Thor-Steinar-Pullover und die anderen. "Bimbo" | |
riefen sie, und "Huschhusch, zurück in den Busch". Drumherum standen | |
Anwohner und schauten zu. "Es war hart", sagt Manuel Nhacutou. "Es ist das | |
Gleiche passiert wie vor 20 Jahren." | |
Hoyerswerda in der Lausitz, Modellstadt der DDR. 36.000 Menschen wohnen | |
hier, als die Mauer fiel, waren es noch doppelt so viele. Der | |
Altersdurchschnitt liegt bei 50,3 Jahren. Die sächsische Stadt hat sich in | |
das Gedächtnis der Nation eingebrannt: Rechtsradikale Skinheads zogen hier | |
1991 vor die Ausländerwohnheime, riefen "Ausländer raus", warfen | |
Molotowcocktails. Und Leute aus der Nachbarschaft schauten zu, manche | |
applaudierten. Es waren ganz normale Bürger. | |
"In Hoyerswerda hat der häßliche Deutsche sein Coming-out", schrieb der | |
Spiegel. Politiker kamen vorbei, die Asyldebatte bekam eine neue Dimension. | |
Mit dem ersten Pogrom in Deutschland seit 1945 wird Hoyerswerda vielleicht | |
irgendwann in den Geschichtsbüchern stehen. | |
Manuel Nhacutou sitzt auf einem Podium in Berlin-Kreuzberg, die | |
Rosa-Luxemburg-Stiftung hat ihn und zwei andere Zeitzeugen eingeladen. Es | |
ist stickig, der Saal ist voll, an die 300 Leute sind gekommen. Manuel | |
Nhacutou ist Mitte vierzig, er kam 1983 aus Mosambik in die DDR, als | |
Vertragsarbeiter im Braunkohletagebau. Oberlippenbart, Lederjacke, ein | |
bulliger Typ, er sieht aus wie ein Cop aus dem Fernsehen. | |
Aber seine Stimme ist weich, und er sagt Sätze, die im Gedächtnis bleiben: | |
"Damals hieß es, Ausländer nehmen uns Arbeitsplätze weg, jetzt komme ich | |
wieder und erlebe dieselbe Situation. Dabei hatte ich doch keinen | |
Arbeitsplatz in der Tasche." | |
## "Seid nett zu ihnen!" | |
Katharina Elle findet das traurig. "Es ist wie mit den beiden Töpfen Teer | |
und Honig", sagt sie. "Man kann in den Teertopf noch so viel Honig füllen, | |
es ändert sich im Grunde nichts. Aber ein bisschen Teer reicht schon, um | |
den Honig ungenießbar zu machen." Sie arbeitet für die Kulturfabrik | |
Hoyerswerda, leitet das neue Projekt "Mitwisser gesucht". Sie machen | |
Workshops für die Klassen 8 bis 10, Planspiele, Zeitzeugengespräche, | |
Medienkritik. "Wir erzählen zu 1991 keine einfache Täter-Opfer-Geschichte", | |
sagt die junge promovierte Literaturwissenschaftlerin. | |
Es ist Mittwochabend, gerade war die Eröffnung der "interkulturellen | |
Woche", Elle hat sie moderiert. In der Aula des Christlichen Gymnasiums | |
Johanneum hat auch der Oberbürgermeister geredet, er ist von der CDU. | |
Stefan Skora ist ein kleiner, schmaler Mann mit Halbglatze, früher war er | |
erst Büroleiter und dann Stellvertreter seines Vorgängers von der PDS. "Das | |
Bild der Stadt hat sich sichtbar gewandelt", sagt er. Hoyerswerda sei eine | |
lebenswerte Stadt heute. Man dürfe den jüngsten Vorfall nicht aufbauschen. | |
20 Jahre danach: Wie soll man sich erinnern? Hoyerswerda tut sich schwer | |
mit seinem Erbe, das verwundert nicht. Und viele sind einfach genervt | |
davon, dass ihre Stadt vor allem mit dem Spätsommer 1991 verbunden wird. | |
"Die sollen das ruhen lassen", ruft der Mann, der gerade den Müll | |
runterbringt. Albert-Schweitzer-Straße 20-22, hier war das | |
Vertragsarbeiterwohnheim, heute wohnen hier Leute, die sich nichts anderes | |
leisten können. Von links bis rechts, alle lebten hier gut zusammen, sagt | |
der Mann, "das sind alles vernünftige Leute". Sie hätten eben nicht filmen | |
sollen, sagt er. Die Leute hätten nur den Kinder etwas erklären wollen. | |
"Das sind Neger, die kommen aus Afrika, wo es es Bananen gibt", das hätten | |
sie gesagt. Dann beteuert er ganz freundlich, dass er kein Rassist sei und | |
nicht ausländerfeindlich. So etwas wie 1991, "das darf nicht passieren". | |
Und man dürfe nicht alles auf die Arbeitslosigkeit schieben, sagt er noch. | |
Er selbst lebt von Hartz IV. | |
## Übergriffe oder Pogrome? | |
Vielleicht hat der Mann ja die Lokalzeitung gelesen. "Selbst, wenn es mal | |
schwerfallen sollte: Seid nett zu ihnen!", hieß es dort, gemeint waren die | |
Journalisten von auswärts. "Es fällt sonst todsicher auf die Stadt zurück." | |
Hoyerswerda sorgt sich also um sein Image; die Wirkung allerdings ist | |
begrenzt. Katharina Elle grübelt immer wieder darüber, ob es nicht eine | |
verlorene Generation gibt. | |
Der Lausitzer Platz im Zentrum der Neustadt, gäbe es nicht McDonald's und | |
Co., man röche die DDR. Zwei Männer sitzen draußen vor dem Asia-Imbiss, sie | |
sind um die 50. "Irgendwie war das ja schon Scheiße 1991", sagt der eine | |
Mann. Und dann folgt ein 15-minütiges Aber. "Da hat sich so viel Hass | |
aufgestaut, der musste sich irgendwann entladen." "Die wollten doch nur die | |
Privilegien", schimpft sein Kollege neben ihm und spachtelt weiter seine | |
Nudeln mit Huhn. "Ich hab was gegen Asylbewerber, natürlich", sagt der | |
erste. Diese Bonzen, warum helfen wir den Griechen überhaupt, die Politiker | |
haben nur Scheiße im Kopf, erhöhen immer ihre Diäten. So. | |
Was diese beiden Männer verkörpern, ist mehr als Politikverdrossenheit, es | |
ist Verdrossenheit an der Demokratie. Es will nicht recht passen zum | |
Wohlfühlklima in der lichten Schulaula des Johanneum, himmelblaue Wand, | |
Querflöten- und Geigentöne. | |
Wenn jemand sagt, in den 20 Jahren habe sich doch gar nichts getan, wird | |
der Oberbürgermeister wütend. Er zählt dann auf, was in der Stadt alles | |
gemacht wurde: mobile Jugendarbeit, Schüleraustausche, Aktionen der | |
Kirchen, das "Jahr der Vielfalt". Schon damals seien es ja nur 400 bis 500 | |
Leute gewesen, die die Übergriffe guthießen. Und natürlich gebe es auch | |
heute Probleme, aber auch nicht mehr als anderswo. Sie seien doch in vielem | |
Vorreiter, sagt Bürgermeister Thomas Delling, etwa beim Umbau der | |
schrumpfenden Stadt. Er ist SPD-Mitglied und war vor 20 Jahren | |
stellvertretender Landrat. "Ich wünsche mir eine differenzierte | |
Darstellung." | |
Die "Orange Box", ein zweistöckiger Quader, steht auf einer Wiese zwischen | |
Alt- und Neustadt. Unten sind die Polizeiberichte von den Tagen im | |
September und Zeitungsartikel ausgestellt. Es wird geschildert, wie sich | |
der Hass hochschaukelte, wie der Mob erst vor dem Vertragsarbeiterwohnheim | |
Stellung bezog und dann auch zum Flüchtlingswohnheim zog. Wie überfordert | |
die Polizei war. Sieben Tage lang. | |
"Wir wollen ein Denkmal, das wir irgendwann unseren Kindern zeigen können", | |
sagt Emmanuel Agyeman, der damals im Flüchtlingswohnheim lebte. Das Haus | |
gibt es nicht mehr, der ganze Block wurde - wie so viele - abgerissen. | |
Bäume wurden gepflanzt. Oben in der Box gibt es Fotos von ein paar der rund | |
400 Ausländer, die heute in der Stadt leben. Sie tun es gerne, werden sie | |
zitiert. Die Ausländer, die damals unter Polizeischutz die Stadt verlassen | |
mussten, kommen nicht zu Wort. | |
## Ein Denkmal für die Kinder | |
Manche sind deshalb unzufrieden mit der Ausstellung. Den Kritikern geht es | |
auch um Begriffe. Die Stadt spricht von "ausländerfeindlichen | |
Ausschreitungen" oder "Übergriffen". Es muss "rassistischer Pogrom" heißen, | |
fordert die "Initiative Pogrom 91". Die Menschen damals hätten den Tod von | |
Menschen in Kauf genommen. Der Oberbürgermeister findet den Begriff gar | |
nicht passend: "Pogrom verbinde ich mit Mord und Völkermord". Und ergänzt: | |
"Den Wunsch der Betroffenen nach einem Erinnerungsort nehmen wir ernst." | |
Vor kurzem hat er sich bei allen, die betroffen waren, öffentlich | |
entschuldigt. | |
Die Mitglieder der Initiative waren vor 20 Jahren noch zu jung, um | |
mitzubekommen, was passiert ist. Später bekamen sie Ärger mit Nazis und | |
gründeten eine Antifa-Gruppe. Sie fragten sich, warum keiner von dem | |
spricht, was 1991 passiert ist. So schildern sie ihre Motivation. Für | |
Samstag haben sie eine Demo angemeldet. Noch wird gestritten, welche Route | |
sie nehmen dürfen, gerne würden sie an der Lausitzhalle vorbei. Dort trifft | |
sich an dem Tag, an dem vor 20 Jahren die Ausschreitungen gegen die | |
Ausländer begannen, der Bund der Vertriebenen. | |
Manuel Nhacutou fliegt Mitte der Woche nach Mosambik zurück, seit 1995 | |
wieder sein Zuhause. Im Gepäck: Ein Geschenk des Oberbürgermeisters, eine | |
DVD mit einem Dokumentarfilm über die Stadt. Der Titel: "Lust auf | |
Hoyerswerda". | |
16 Sep 2011 | |
## AUTOREN | |
Sebastian Erb | |
## TAGS | |
Hoyerswerda | |
Rechte | |
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