Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Kommentar Euro-Krise: Ein Euro, drei Krisen
> Was genau treibt die EU in den Abgrund? Wer die Verwerfungen analytisch
> auseinanderhält, erkennt: Den Euro kann jetzt nur noch ein Wunder retten.
Bild: Es wird eng für den griechischen Euro.
Die Rede von der "Eurokrise" ist allgegenwärtig - und trotzdem führt dieser
Begriff in die Irre, solange er im Singular gehalten ist. Europa hat
nämlich nicht mit nur einer einzigen Eurokrise zu kämpfen, sondern mit drei
Verwerfungen gleichzeitig. Diese drei Eurokrisen müssen analytisch
auseinandergehalten werden, will man die rasante Dynamik verstehen, mit der
die Währungsunion auseinanderfliegt.
Eurokrise I ist unübersehbar: Griechenland, Portugal, Irland und vielleicht
auch Spanien sind überschuldet. Diese Eurokrise hat mit der US-Finanzkrise
ab 2008 nicht unmittelbar zu tun, folgt aber dem gleichen Muster: Es
handelt sich um eine Kreditblase, die durch eine neue und überzeugende
"Story" möglich wurde. Bei den US-Ramschhypotheken bestand diese neue Story
in der Idee, man könnte das Risiko minimieren, indem man es auf
Schachtelpapiere verteilt. In Europa war es die Einführung des Euro.
## Die Illusion der Euro-Story
Als es noch die griechische Drachme oder das irische Pfund gab, mussten die
europäischen Randstaaten sehr hohe Risikoaufschläge für jedes Darlehen
zahlen. Diese Kreditkosten sanken rapide, als der Euro eingeführt wurde.
Die Idee der Investoren war: Wenn Europa eine einheitliche Währung hat,
dann sind auch alle Kredite gleich sicher. Eine Illusion, wie man nun weiß.
Aber mehr als zehn Jahre lang funktionierte diese Euro-Story.
Plötzlich konnten sich die europäischen Randstaaten billig Geld leihen, und
um den Wahnsinn noch zu toppen, waren die Kredite für die Griechen und Iren
sogar noch billiger als für die Deutschen. Denn während die Zinsen
europaweit ungefähr auf einem Niveau lagen, waren die Inflationsraten in
den Randstaaten deutlich höher als in der Bundesrepublik - was die
Realzinsen nach unten drückte. Da es das Geld also für fast umsonst gab,
war es nicht erstaunlich, dass Spanier, Griechen und Iren freudig
zugriffen.
Als erstes Euroland ist Griechenland nun pleite. Alle Sparanstrengungen
führen nur dazu, dass sich die dortige Rezession verschärft - und neue
Defizite entstehen. Schulden werden mit noch mehr Schulden bezahlt. Das hat
keine Zukunft.
FDP-Chef Philipp Rösler erkennt also durchaus richtig, dass Griechenland
eine "geordnete Insolvenz" benötigt. Doch verschweigt er den Deutschen, was
daraus folgt: Auf die Bundesrepublik dürften Kosten von etwa 50 Milliarden
Euro zukommen. Diese Rechnung geht davon aus, dass den Griechen die Hälfte
ihrer Staatsschulden erlassen wird - und dass davon knapp 30 Prozent auf
Deutschland entfallen, was seinem Anteil an der Wirtschaftsleistung der
Eurozone entspricht.
50 Milliarden sind also weg. Dies können die Deutschen auch dann nicht mehr
ändern, wenn sie massenhaft Unterschriftenaktionen der FDP unterstützen.
Die Frage ist nur noch, wer diese Kosten trägt: die deutschen Steuerzahler
- oder auch die Banken und Versicherungen?
## Eine Währung, 17 Anleihen
Eurokrise II ist völlig anders und wird meist gar nicht erkannt: Die
Eurozone ist falsch konstruiert. Es funktioniert einfach nicht, eine
gemeinsame Währung zu haben, aber 17 verschiedene Staatsanleihen. Das gab
es noch nie in der 2.500-jährigen Geschichte des Geldes und erweist sich
nun als Vollflop.
Der Konstruktionsfehler zeigt sich momentan an Italien, dessen Wirtschaft
stabil ist. Dies mag manchen Deutschen wundern, der weder die Mafia noch
Berlusconi goutiert. Doch Fakt ist: Das Land hatte keine Bankenkrise,
während es die Bundesrepublik auf diverse Trümmerinstitute bringt. (Wer es
vergessen hat: Hypo Real Estate, IKB, HSH Nordbank, WestLB, BayernLB,
SachsenLB, Commerzbank etc.) Zudem sind Italiens Schulden zwar hoch, aber
nicht neu, sie werden seit mehr als 20 Jahren mitgeschleppt.
Italien ist sich also seit Jahrzehnten treu. Trotzdem wird das Land
plötzlich in die Pleite getrieben - von Finanzinvestoren, die Panik
schieben. Sie stoßen italienische Staatsanleihen ab und kaufen dafür
deutsche Papiere, was ohne Währungsverluste möglich ist. Schließlich
handelt es sich immer um Euro.
Ein derartiger Angriff wäre gegen Großbritannien oder Japan nicht möglich:
Wenn alle Investoren plötzlich deren Staatsanleihen verkaufen wollten,
würde der Kurs des Pfunds oder des Yen so weit sinken, dass die panische
Flucht irgendwann zu teuer wird und von selbst endet.
Wenn Europa von diesem Automatismus profitieren will, bleibt nur: der
Eurobond. Diese gemeinsame Staatsanleihe aller Euroländer würde verhindern,
dass die Investoren von einem Euroland zum anderen ziehen und alle reihum
in die Pleite treiben.
Italien ist nicht das einzige Euroland, das in Finanzierungsnöte geraten
kann. Auch Frankreich und Belgien sind potenziell gefährdet. Dann aber wäre
der Eurorettungsschirm endgültig überfordert, der bisher als Alternative
zum Eurobond betrachtet wird. Es käme zum Euro-Crash.
## Die große Lust am Euro-Crash
Die eigentliche Wahl lautet also: Eurobond oder Crash. Nicht wenige
Deutsche scheinen sich bereits entschieden zu haben und einem Ende des Euro
lustvoll entgegenzusehen. Offenbar ist den Anhängern der neuen
Anti-Euro-FDP nicht klar, wie teuer dieser Spaß am Untergang würde. Die
neue DM würde derart aufgewertet, dass die Exporte einbrächen und die Löhne
drastisch sinken müssten. Zugleich wären alle deutschen Banken pleite, weil
die europäischen Nachbarn ihre Kredite nicht mehr zurückzahlen könnten. Wie
billig wäre da der Eurobond! Er würde die Deutschen wahrscheinlich gar
nichts kosten.
Allerdings würde auch ein Eurobond nur vorübergehend helfen, denn da ist ja
noch Eurokrise III, die gerade in Deutschland hartnäckig geleugnet wird: Es
kann nicht funktionieren, wenn die größte Nation der Eurozone darauf
besteht, permanent Exportüberschüsse zu erwirtschaften. Überschüsse in
einem Land bedeuten Defizite in anderen Staaten. Also wachsen die Schulden
weiter, noch während sich die Euroländer bemühen, sie abzubauen.
Der Euro war eine wunderbare Erfindung, weil die EU nur gemeinsam den
Turbulenzen auf den Finanzmärkten trotzen kann. Dennoch wäre es ein
politisches Wunder, wenn der Euro überlebt.
17 Sep 2011
## AUTOREN
Ulrike Herrmann
## ARTIKEL ZUM THEMA
Euro-Rettung: Schwarz-Gelb ohne Kredit
Die Bundesregierung behauptet plötzlich, ihr sei eine eigene
Bundestagsmehrheit bei den Euro-Stabilisierungsgesetzen doch einerlei. Die
Opposition höhnt.
EU-Troika muss nächste Tranche empfehlen: Griechenland wird noch kleiner gespa…
Kürzungen und Entlassungen im staatlichen Bereich, neue Steuern auf Tabak
und Spirituosen – und Heizen wird teurer. Für die neue Milliarden-Tranche
muss Griechenland noch mehr sparen.
Zahlungsstopp nicht ausgeschlossen: Schäuble droht Griechenland
Die EU-Troika macht ernst: Bundesfinanzminister Schäuble hat Griechenland
davor gewarnt, die Drohung eines Zahlungsstopps zu ignorieren. Liege Athen
nicht im Plane, gebe es keine neue Tranche.
Finanzhilfen für Griechenland: Banken kommen gut dabei weg
Statt 21 Prozent tragen die Banken nur acht Prozent der
Griechenland-Ausfälle, sagen die Grünen. Die Bundesregierung dementiert
diesen Bericht.
Entscheidung über Finanzhilfe vertagt: Griechen müssen weiter zittern
Die Finanzminister der Euro-Staaten vertagen die Entscheidung für neue
Hilfen auf Oktober – und lassen ihren US-Amtskollegen Timothy Geithner
abblitzen.
Koalitionstreit über Griechenland-Hilfe: Rösler pocht auf Debatte
Der Streit in den Regierungsparteien über Hilfen für Griechenland und
dessen mögliche Insolvenz geht weiter. Trotz eines Rüffels von Kanzlerin
Merkel will der FDP-Chef kein Blatt vor den Mund nehmen.
Streit in der Regierung: So ernst ist die Koalitionskrise
Seit die FDP-Spitze mit populistischer Euroskepsis spielt, kracht es in der
Regierung. Kann es Neuwahlen geben? Kommt eine große Koalition?
EU-Parlamentarier mahnen zur Einheit: "Mitten in einem Euro-Debakel"
Gegen den Totalzusammenbruch: EU-Parlamentarier fordern die Schaffung einer
Wirtschaftsregierung. Und kritisieren die nationalen Regierungen wegen
ihrer Unentschlossenheit.
Darf Griechenland bankrott gehen?: Rette sie, wer kann!
Ein Bankrott Griechenlands birgt Risiken, Eurobonds sind aufwändig. Lohnt
das ganze Tamtam? Ja, denn sonst wäre nicht nur Geld weg, sondern eine
grandiose Idee.
Kommentar Schuldenkrise Griechenland: Völlig verquere Analyse
CSU und FDP erwecken den Eindruck, als würde Deutschland Geld sparen, wenn
Athen in die Insolvenz geschickt würde. Unfug! Die Steuerzahler müssten die
Kosten tragen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.