# taz.de -- Ausnahmezustand im Jemen: Scharfschützen gegen Demonstranten | |
> Das Vorgehen der Sicherheitskräfte im Jemen wird immer brutaler. Bei | |
> Demonstrationen gegen Präsident Salih in der Hauptstadt Sanaa erschossen | |
> Scharfschützen Dutzende Regierungsgegner. | |
Bild: Studenten protestieren vor der Universität in Sanaa. | |
SANAA/ISTANBUL dpa/afp/dapd | Im Jemen herrscht praktisch Ausnahmezustand, | |
das Land versinkt immer tiefer in Chaos und Gewalt. Die Republikanische | |
Garde des Präsidenten Ali Abdullah Salih schoss am Montag in der Hauptstadt | |
Sanaa wie bereits am Tag zuvor mit scharfer Munition auf unbewaffnete | |
Demonstranten. 22 Menschen, unter ihnen ein Kind, seien getötet worden, | |
berichteten Ärzte und Helfer eines improvisierten Lazaretts. In der | |
südlichen Stadt Taiz starben zwei Demonstranten, als die Sicherheitskräfte | |
mit Tränengas und scharfer Munition in eine Anti-Salih-Kundgebung schossen, | |
bestätigten Krankenhausärzte. | |
Gegner des Präsidenten hätten in der Nacht zum Montag ihre Zeltstadt auf | |
dem "Platz des Wandels" (Taghier-Platz) vergrößert, berichteten | |
Augenzeugen. Sicherheitskräfte vertrieben dann am Montag die neuen | |
Zeltbewohner mit Waffengewalt. "Die Lage ist sehr angespannt", sagte ein | |
Bewohner der Hauptstadt. Die meisten Geschäfte blieben geschlossen, ebenso | |
die Schulen und Universitäten. | |
Bereits am Sonntagabend hatten Sicherheitskräfte in Sanaa 26 Demonstranten | |
erschossen. Die Protestbewegung hatte am Sonntag eine Demonstration inder | |
Hauptstadt organisiert, bei der Zehntausende Salihs Rücktritt forderten. | |
Augenzeugen berichteten von Scharfschützen auf den Dächern, die gezielt auf | |
die Demonstranten geschossen hätten. Es war der massivste Angriff der | |
Sicherheitskräfte auf die Protestbewegung seit Monaten. | |
Die Salih-Loyalisten behaupteten, die Sicherheitskräfte hätten in die Menge | |
geschossen, weil Demonstranten versucht hätten, ein Elektrizitätswerk | |
anzugreifen. Dies wurde von der Protestbewegung bestritten. Der Sprecher | |
einer Gruppe von Soldaten, die sich den Salih-Gegnern angeschlossen hatten, | |
forderte in einer Rede, die von einigen TV-Sendern übertragen wurde, die | |
Minister auf, sich ebenfalls auf die Seite der Protestbewegung zu stellen. | |
Der seit 1978 regierende Staatschef lässt sich seit einem Bombenanschlag im | |
Juni, bei dem er schwer verletzt wurde, in Saudi-Arabien behandeln. Seit | |
Mai weigert sich der 69-Jährige beharrlich, einen Kompromiss-Plan der | |
Golfstaaten für eine geordnete Übergabe der Macht zu akzeptieren. Die | |
Protestbewegung, die ihre Demonstrationen im Februar begonnen hatte, | |
fordert kategorisch seinen Rücktritt. Außerdem will sie Salih und mehrere | |
hochrangige Funktionäre vor Gericht stellen. | |
## Uneinheitliche Protestbewegung | |
Die Gegner des Präsidenten bilden keine einheitliche Front. Zu ihnen | |
gehören linke Parteien, parteilose Jugendliche, schiitische Rebellen, | |
sunnitische Extremisten und Menschenrechtler. Ein von der Protestbewegung | |
gegründeter Nationalrat wird von einigen dieser Gruppen nicht anerkannt. | |
Der jemenitische Außenminister Abubakr al Kirbi erklärte am Montag, seine | |
Regierung sei zu politischen Reformen bereits. Vorwürfe bezüglich | |
unangemessener Gewalt seitens der Polizei und regierungstreuer Milizen wies | |
er jedoch zurück. Er warf seinerseits einigen Oppositionsgruppen vor, in | |
terroristische Aktivitäten verwickelt zu sein. "Wir haben Beweise | |
vorgelegt, dass viele Anschuldigungen gegen die Sicherheitskräfte jeder | |
Grundlage entbehren", sagte al Kirbi beim Treffen des Menschenrechtsrats in | |
Genf. | |
Die US-Gesandte beim Menschenrechtsrat, Eileen Chamberlain Donahoe, sagte, | |
Washington sei besorgt über "die immer beunruhigenderen Berichte über | |
Gewalt" im Jemen. Es sei nun Zeit für einen politischen Wandel, und die | |
Verantwortlichen für die blutige Niederschlagung der Proteste müssten zur | |
Rechenschaft gezogen werden, sagte Donahoe. | |
Unterdessen hat die Hilfsorganisation Oxfam vor einer Hungerkatastrophe im | |
Jemen gewarnt. Durch die politische Krise in dem Land sei die Wirtschaft | |
gelähmt und die Lebenshaltungskosten seien rasant gestiegen, erklärte Oxfam | |
in einem am Montag veröffentlichten Bericht. Immer mehr Menschen litten | |
dadurch unter Hunger und Mangelernährung. Frauen und Kinder seien dabei die | |
ersten Opfer wirtschaftlicher Not, von der laut der Organisation ein | |
Drittel der Bevölkerung im Jemen betroffen ist. Bei der Hälfte der Kinder | |
wirke sich der Nahrungsmittelmangel bereits auf das Wachstum aus; und ein | |
Viertel der Frauen zwischen 15 und 49 Jahren leide unter schwerer | |
Unterernährung. | |
19 Sep 2011 | |
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