# taz.de -- Menschenhandel und Prostitution in Nigeria: Einmal Elend und zurück | |
> Ngozi war begeistert: Für 5.000 Dollar bot ein Freund an, sie aus Nigeria | |
> nach Italien zu bringen. Doch aus dem Traum vom besseren Leben wurde ein | |
> Albtraum. | |
Bild: Kampagne gegen Prostitution in Benin City. | |
BENIN CITY taz | Ngozi steht hinter dem Tresen ihres kleinen Ladens. Gut | |
zehn Quadratmeter ist das Geschäft groß, in dem die junge Frau auf | |
unlackierten dunkelbraunen Regalen Instantkaffee, Milchpulver, Spaghetti | |
und Margarine verkauft. Draußen stehen ein paar schiefe Hocker, und auf | |
einem sitzt ein Kunde, der ungeduldig auf seine Cola wartet. | |
Die schmale Frau, die blauen Stoff um die Hüften geschwungen hat und ein | |
ausgeleiertes T-Shirt trägt, stellt sie ihm auf den kleinen Tisch, sagt | |
etwas zu ihm und verschwindet wieder im Geschäft. Vor ein paar Jahren noch | |
hätte sie ihm keine Cola gebracht, sondern ihren Körper. Er war ihre | |
Dienstleitung und ihr Kapital. | |
Ngozi, die ihren richtigen Namen gar nicht erst nennen möchte, spricht | |
nicht gerne darüber. Sie ist zurückhaltend und vorsichtig. Denn | |
irgendjemand könnte womöglich erfahren, wie sie an ihr kleines Geschäft | |
gekommen ist und wo sie zuvor gelebt hat. | |
Etwas später, als sie im Büro der Organisation Society for the Empowerment | |
of Young Persons (SEYP) sitzt, das im gleichen Gebäudekomplex wie ihr | |
kleiner Laden liegt, taut sie dann doch ein wenig auf und erinnert sich, | |
wie es damals war, im Januar 2000. Es war die Zeit des Umbruchs. Nigeria | |
hatte gerade die lange Phase der Militärherrschaft beendet und machte sich | |
auf den Weg, um ein demokratischer Staat zu werden. Auch für Ngozi, die | |
heute 28 Jahre alt ist, war es die Zeit des Wandels. | |
"Ein Freund der Familie hat uns besucht und von seiner Tochter erzählt, die | |
in Europa zur Schule geht", erinnert sie sich, "und dann bot er an, mich | |
ebenfalls dorthin zu schicken." Eine verlockende Idee, denn er versprach | |
ihr einen Schulabschluss und eine Ausbildung. | |
Die 5.000 Dollar, die die Reise kosten sollte, könnte sie in Europa | |
zurückzahlen. Ihre Familie war begeistert, witterte die Chance, dass | |
wenigstens ein Kind es zu Geld bringt, und willigte ein. | |
Für Jennifer Ero, die sich als Leiterin von SEYP um Rückkehrerinnen aus | |
Europa kümmert, ist das normal. "Häufig sind es Verwandte oder Freunde der | |
Familie, die die jungen Frauen ins Ausland lotsen." | |
Was genau dort passiert, wollen die Familien gar nicht wissen oder sind | |
tatsächlich ahnungslos und glauben an eine gute Ausbildung und an eine | |
Arbeitsstelle, etwa als Frisörin oder Kinderfrau. | |
Auch Ngozi glaubte daran. Sie wurde auch nicht stutzig, als sie vor der | |
Abreise in Benin City einen Juju-Priester besuchen musste. Juju ist im | |
Süden Nigerias ein weit verbreiteter Glaube an dunkle Mächte. | |
Mysteriös geht es auch in den kleinen Schreinen zu, die versteckt überall | |
in Benin City zu finden sind. | |
"Er schnitt mir meine Fingernägel und zupfte mir ein paar Haare aus", | |
erzählt Ngozi in stockendem Pidgin-Englisch. Dann schlachtete er ein Huhn, | |
ließ ein bisschen Blut auf Fingernägel und Haare tropfen und orakelte einen | |
Zauberspruch. Dieser - verbunden mit ihrem Schwur zu schweigen - sollte sie | |
über viele Jahre begleiten. | |
## Angst einflößen | |
Genau das macht den Menschenhandel in Nigeria einerseits so perfide und | |
lässt andererseits kaum zu, die Drahtzieher überhaupt zu finden und vor | |
Gericht zu stellen. Denn in weiten Teilen Westafrikas ist Aberglaube extrem | |
verbreitet und die Angst vor bösen Geistern riesengroß. | |
"Mir haben sogar Frauen, die in Europa waren, von ihrem Entsetzen erzählt, | |
wenn sie sich beispielsweise beim Kochen in den Finger schnitten. Dann | |
überlegten sie, ob sie vielleicht doch geredet hätten und die paar | |
Blutstropfen schon ein böses Omen waren", sagt Jennifer Ero. | |
Ngozi schaut etwas verlegen, so als würde sie sich für ihren Glauben an den | |
Zauberspruch schämen. Dann wandern ihre Gedanken wieder, zuerst ins | |
nördlich von Nigeria liegende Nachbarland Niger und dann in die Wüste von | |
Algerien. | |
"Dort haben sie uns zwei Wochen nur Brot und Cola gegeben. Zwei von uns | |
sieben Mädchen sind gestorben." Ein Auto gab es nicht mehr, weshalb sie | |
immer nachts durch die Wüste laufen mussten. "Schritt für Schritt, mit | |
unseren eigenen Beinen." Nach Wochen erreichten sie die Grenze zu Marokko, | |
wurden dort von einem anderen sogenannten Patron ausgelöst und fürs Erste | |
in der Hauptstadt Rabat untergebracht. | |
Es ist eine typische Vorgehensweise, die das Aufspüren der Menschenhändler | |
so kompliziert macht, erklärt Orakwue Arinze. Er ist Pressesprecher von | |
Naptip ("National Agency for Prohibition of Traffic in Persons and Other | |
Related Matters"), der nationalen Behörde zur Bekämpfung des | |
Menschenhandels. | |
Seit 2003 hat sie in vielen nigerianischen Städten Büros errichtet und | |
versucht, durch ein engmaschiges Netzwerk das Verschleppen der meist jungen | |
Frauen zu verhindern. Wenn es glückt, dann präsentiert die Behörde ihre | |
Erfolge stolz auf ihrer Homepage. | |
Doch Zahlen darüber, wie oft es misslingt, gibt es nicht. Es wird | |
geschätzt, dass jährlich Zehntausende den Weg in den Norden antreten. "Für | |
uns ist es daher wichtig, eng mit anderen Ländern zusammenzuarbeiten und | |
Daten auszutauschen. Nur so haben wir eine Chance." | |
Bei Ngozi ist es nicht gelungen. Viele Monate lang war sie in Marokko | |
gefangen und wartete auf die Überfahrt nach Spanien. Mit anderen jungen | |
Frauen saß sie schließlich in einem kleinen Boot, stand Todesängste aus und | |
kam in Europa an. | |
## Papiere abgenommen | |
Am Flughafen von Madrid wurde sie weiter verkauft und mit dem Flugzeug nach | |
Mailand gebracht. Wer genau ihre Papiere gefälscht hat, weiß sie nicht. Nur | |
noch, dass die neue Madame in Italien diese gleich wieder einkassiert hat. | |
"Sie ist dann mit mir zu einem Markt gegangen, um neue Kleidung zu kaufen. | |
BHs, Tangas. Alles ,small, small, small'", sagt Ngozi, der plötzlich klar | |
wurde, dass diese knappen Stoffstückchen nur für eins gut sind: um auf dem | |
Straßenstrich von Mailand die 5.000 Dollar zu verdienen, die die Madame von | |
ihr forderte. | |
So viel hätte schließlich ihre Reise gekostet. Zusätzlich stellte sie ihr | |
jeden Monat 550 Dollar für Unterkunft und Verpflegung in Rechnung. "Wenn | |
ich manchmal abends nach Hause gekommen bin und ihr gesagt habe, ich hätte | |
keinen Freier gehabt, dann hat sie mir nicht geglaubt." | |
Dass eine junge Nigerianerin, die kaum Italienisch gesprochen hat, in den | |
Straßen von Mailand ihren Körper verkauft hat, verwunderte ihre Freier | |
offenbar nicht. "Einer hat mich mal gefragt, woher ich komme. | |
## Zurück in die Heimat | |
Er bot mir seine Hilfe an. Ich habe ihn nie wieder gesehen." Ganze neun | |
Monate später war der Spuk vorbei. Die italienische Polizei nahm Ngozi fest | |
und schickte sie zurück nach Benin City. Ausgerechnet Benin City, von wo | |
aus sich täglich junge Frauen auf den Weg nach Europa machen. | |
Dieser Ruf eilt der Stadt im Süden Nigerias, in der gut eine Million | |
Menschen leben, seit vielen Jahren voraus. Dabei war es einst eine Stadt, | |
die für ihre Geschichte, für den traditionellen Herrscher, den Oba, sowie | |
die imposanten Bronzestatuen, an die überall in der Stadt Nachbauten | |
erinnern, bekannt war. Ein Hauch davon ist noch zu spüren. Aber eben nur | |
ein Hauch. | |
Doch für Nduka Nwanwene, Leiter der Naptip-Aufklärungsabteilung, kommt der | |
Wandel nicht ganz überraschend. Benin City war schließlich über | |
Jahrhunderte ein wichtiger Handelsstützpunkt, den die Portugiesen bereits | |
Ende des 15. Jahrhunderts für sich entdeckt haben. | |
Ein Jahrhundert später wurde die Stadt zu einem der Zentren des | |
westafrikanischen Sklavenhandels, ein einträgliches Geschäft - bis heute. | |
## Traum vom besseren Leben | |
Denn Mitte des 20. Jahrhunderts begannen auch Nigerianer, für | |
Handelsgeschäfte Richtung Norden zu reisen. "Sie entdeckten schnell, dass | |
sich mit Prostitution weit mehr Geld verdienen lässt", sagt Nwanwene. | |
Während es zuerst hauptsächlich Verwandte waren, die die Reisen | |
organisierten, sprechen die Menschenhändler heute oft Schülerinnen an, die | |
vom besseren Leben im Ausland träumen. | |
Deshalb gehöre es nun zu den Hauptaufgaben von Naptip, Aufklärungsarbeit in | |
den Schulen zu leisten, Flugblätter zu verteilen und in den Dörfern im | |
Bundesstaat Edo auf die Gefahren aufmerksam zu machen. | |
Im Laufe der Jahre haben die Mitarbeiter aber noch eins gelernt: Wenn die | |
jungen Frauen aus Europa zurückkehren, ist ein zweiter Besuch bei einem | |
Juju-Priester notwendig. "Er muss den Zauber von ihnen nehmen, denn sonst | |
sagen sie weder vor der Polizei noch vor Gericht aus", sagt Nwanwene. | |
## Wieder mit leeren Händen | |
Ngozi hat den Besuch längst hinter sich. Nur deshalb kann sie einigermaßen | |
über das Erlebte sprechen. Auf ihr lastet allerdings ein neuer Druck: Sie | |
muss den Kredit bezahlen, den ihr SEYP zur Verfügung gestellt hat. Die | |
Organisation gibt den Frauen zweckgebunden Geld, damit sie sich eine | |
Zukunft aufbauen können. Für Ngozi liegt sie in ihrem kleinen Laden, | |
deshalb ist der Druck erträglich. | |
Ngozi schaut auf ihr Handy. Es wird Zeit, wieder hinter den Tresen zu | |
gehen, sagt sie und lächelt ein wenig. "Irgendwann schaffe ich das schon. | |
Dann ist Europa wirklich Vergangenheit." | |
Vielleicht bekommt sie dann noch eins hin: Sie will ihre Familie | |
unterstützen, endlich. Denn neben dem Stempel Prostituierte klebt noch ein | |
weiterer an ihr: Versagerin. "Ich habe mich so schlecht gefühlt, als ich | |
mit leeren Händen aus Italien zurück kam." | |
28 Sep 2011 | |
## AUTOREN | |
Katrin Gänsler | |
## TAGS | |
Menschenhandel | |
Schwerpunkt Syrien | |
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