# taz.de -- Chemie-Nobelpreis für Dan Shechtman: Verbotene Symmetrie | |
> Seine Entdeckung stellt die Grundlagen der Chemie in Frage. Für die | |
> Entdeckung der sogenannten Quasikristalle erhält der Israeli Dan | |
> Shechtman den Nobelpreis für Chemie. | |
Bild: Dan Shechtman - so stellt man sich einen Nobelpreisträger vor. | |
STOCKHOLM taz | Sie haben ein perfektes Muster, das unendlich ist und sich | |
nie wiederholt. Und sie haben uns gezwungen, das erste Kapitel in Büchern | |
über feste Materialien umzuschreiben." Faszination schwingt mit, wenn Sven | |
Lidin, Chemieprofessor an der Uni Stockholm und Mitglied der königlichen | |
Wissenschaftsakademie, erklärt, für welche Entdeckung sein Gremium in | |
diesem Jahr dem Israeli Dan Shechtman den Chemie-Nobelpreis verliehen hat: | |
die Quasikristalle. | |
Feste Materialien, ob Eis oder Gold, bilden Kristallstrukturen mit streng | |
periodischer Anordnung, bei der sich ein und dasselbe Atommuster in exakter | |
Regelmäßigkeit wiederholt. Im Elektronenmikroskop zeigen sich kristalline | |
Beugungsmuster mit zwei-, drei-, vier- oder sechsfacher Symmetrie. Alle | |
anderen wären aus geometrischen Gründen ausgeschlossen: Es würden | |
Zwischenräume übrig bleiben. So stand es noch bis Anfang der 1990er Jahre | |
in den von Lidin angesprochenen Lehrbüchern. | |
Deshalb auch traute Shechtman, Doktor der Physik und später Professor für | |
Materialwissenschaften am israelischen Technologieinstitut Technion in | |
Haifa, seinen Augen nicht, als er 1982 die Kristallstruktur einer | |
Aluminium-Mangan-Legierung unter dem Mikroskop betrachtete und eine | |
zehnfache Symmetrie zählte. Seine Kollegen am National Institute of | |
Standards and Technology (Nist) in den USA, an dem er damals als | |
Gastforscher arbeitete, hielten seine Entdeckung für absurd. | |
Die abweisende Reaktion seiner Forschergruppe, die darin gipfelte, dass der | |
Laborchef ihm nahelegte, diese doch bitte zu verlassen, war verständlich. | |
Was er entdeckt haben wollte, rüttelte an 100 Jahre alten Grundlagen der | |
Chemie, sagt Lidin: "Kristalle sind das am perfektesten geordnete Material | |
in der Natur." Dieser Ordung widersprachen Bausteine mit fünf- oder | |
zehnfacher Symmetrie: Kristalle mit regelmäßigen Mustern, die | |
mathematischen Regeln folgten, aber sich nie wiederholten. | |
## Künstlerische und mathematische Konstruktion - keine Chemie | |
Dabei war das, was in der Chemie als unmöglich angesehen wurde, als | |
künstlerische und mathematische Konstruktion bekannt. Roger Penrose, | |
britischer Professor für mathematische Physik, legte in den 1970er Jahren | |
aus zwei verschiedenen Rauten Muster, die sich nie wiederholten, und | |
beschrieb diese mathematisch. Und im 12. Jahrhundert setzten arabische | |
Künstler nicht periodisch aufgebaute Ornamente aus fünf verschiedenen | |
Kachelmustern zusammen. Diese sind in der spanischen Alhambra und am | |
iranischen Heiligtum Darb-i Imam zu sehen. | |
Zwei Jahre vergingen, bis Shechtmans Entdeckung von einer | |
wissenschaftlichen Zeitschrift zur Veröffentlichung akzeptiert wurde, und | |
nach zehn Jahren erkannte auch die International Union of Crystallography | |
die Notwendigkeit an, die bisherige Definition für Kristalle zu ändern. Aus | |
"ein Stoff, in dem die einzelnen Atome, Moleküle oder Ionen in einem | |
regelmäßig angeordneten, sich wiederholenden dreidimensionalen Muster | |
gepackt sind", wurde nun "jeder Feststoff mit einem im Wesentlichen | |
diskreten Beugungsdiagramm". Eine Definition, die viel Raum für neue | |
Entdeckungen lässt und umschreibe, "dass wir eigentlich nicht so recht | |
wissen, was Kristalle kennzeichnet", sagt Professor Lidin. Mittlerweile | |
sind Hunderte Arten von Quasikristallen mit fünf-, zehn- und zwölffacher | |
Symmetrie bestimmt worden. | |
Die praktische Verwertung ihrer Struktureigenschaften steht noch am Anfang. | |
Beispielsweise ist Stahl mit quasikristallinen Strukturen besonders hart, | |
gleichzeitig aber auch elastisch, Er ist ein schlechter Strom- und | |
Wärmeleiter und auf seiner Oberfläche haften andere Substanzen nur schwer. | |
Im Jahr 2009 wurden in einem Mineral aus der nordostsibirischen | |
Tschuktschen-Region Quasikristalle mit zehnfach symmetrischem | |
Beugungsmuster gefunden: Man gab ihnen den Namen Icosahedrite. | |
6 Oct 2011 | |
## AUTOREN | |
Reinhard Wolff | |
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