# taz.de -- Neonazis im Reservistenverband: Rechtsextreme ballern mit | |
> Neue E-Mails aus dem Innenleben der NPD zeigen: Beim Reservistenverband | |
> können NPD-Funktionäre ungestört mit Bundeswehrwaffen hantieren. | |
Bild: Steckt dahinter womöglich ein Kopf mit brauner Gesinnung? | |
BERLIN/HAMBURG taz | Beim Reservistenverband der Deutschen Bundeswehr | |
dürfen Mitglieder und Funktionäre der rechtsextremen NPD ungerührt | |
Schießübungen abhalten und mit Waffen aus dem Bundeswehrbestand hantieren. | |
Der Reservist Gerd Fritzsche ist ein solcher Fall. Das zeigen neue Emails | |
aus dem Innenleben der NPD. | |
Der parteilose Kreistagsabgeordnete sitzt als Kandidat der NPD im Kreistag | |
des Landkreises Leipzig. Der taz bestätigte Fritzsche, dass er wiederholt | |
an Waffenübungen der Bundeswehrorganisation teilnahm. In einer Email an | |
zahlreiche NPD-Funktionäre, die der taz vorliegt, behauptet er, dass auch | |
der sächsische NPD-Landtagsabgeordnete Winfried Petzold sowie Sachsens | |
NPD-Landesvize Helmut Herrmann mit ihm im Leipziger Schützenhof beim "Kurz- | |
oder Langwaffenschießen" Übungen absolvierten. | |
In der Email heißt es: "Dank meiner Hilfe haben Hermann, Petzold und seine | |
Frau auch Waffenbesitzkarten und entsprechende Waffen (Pistolen und | |
Gewehre) durch den Reservistenverband der Bundeswehr in Leipzig erhalten." | |
Von der Mail will Fritzsche heute nichts mehr wissen. Die zwei betroffenen | |
NPD-Politiker waren für die taz am Freitag nicht zu erreichen. | |
Doch Michael Sauer, Vizepräsident des Reservistenverbandes, eine | |
Organisation mit rund 250 hauptamtlichen Mitarbeitern, die dem | |
Verteidigungsministerium unterstellt ist und jährlich über 16 Millionen | |
Euro vom Staat erhält, bestätigt: "Die drei Herren sind bei uns | |
Mitglieder." Es sei bekannt, dass einer der Männer ein kleinkalibriges | |
Gewehr, ein anderer eine Pistole besitze. Fakt ist auch: Im "Schützenhof" | |
finden tatsächlich Schießübungen des Verbandes statt. | |
## Reservistenverband fühlt sich machtlos | |
Zwar beschafft der Reservistenverband weder Privatwaffen, noch verteilt er | |
Waffenbesitzkarten. Doch wer Mitglied bei den Reservisten ist, wird vom | |
Ordnungsamt, das die Besitzerlaubnis vergibt, im Regelfall als waffenkundig | |
eingeschätzt. So können waffenbegeisterte Rechtsextreme über die Reserve | |
der Bundeswehr an Waffen kommen - und anschließend entspannt im Verein | |
üben. | |
Plus: Wer Mitglied bei der Reservistenorganisation ist, kann auch eigene | |
Gäste mit zu den Schießübungen bringen. So bietet der Staat unfreiwillig | |
eine Übungsstruktur für Rechtsextreme, die an ihrer Waffentauglichkeit | |
feilen wollen. Kameradenausflug zum Ballerstand? Kein Problem. | |
Das gefällt auch dem Reservistenverband nicht - doch er fühlt sich | |
machtlos. Mit einer Satzungsänderung versuchte der Verband in der | |
Vergangenheit eine Grundlage zu schaffen, um Rechtsextreme aus den eigenen | |
Reihen verbannen zu können. Doch heute räumen auch die Spitzenfunktionäre | |
ein, dass ihre eigene Satzung diesbezüglich wirkungslos ist. "In | |
zahlreichen Prozessen haben wir zwar gerne, aber leider erfolglos viel | |
Lehrgeld bezahlt", sagt Sauer. Das sei zwar gut investiertes Geld, weil es | |
beweise, dass der Verband keine rechtsextremen Mitglieder haben wolle. | |
## Ohne NPD-Verbot geht es nicht | |
Doch nützen, so Sauer, würde die neue Regelung kaum etwas. "Solange die NPD | |
nicht verboten ist, sind uns die Hände gebunden. Die Dauerlösung wäre, man | |
hätte den Mut, verfassungsfeindliche Parteien zu verbieten." | |
Das Argument reicht Kerstin Köditz nicht. Sie ist Sprecherin für | |
antifaschistische Politik der Linksfraktion im sächsischen Landtag - und | |
fordert nun Konsequenzen vom Reservistenverband. Alle drei genannten | |
Personen seien einschägig in Erscheinung getreten, heißt es von ihr. "Die | |
NPD ist zwar nicht verboten. Aber in jedem Verfassungsschutzbericht wird | |
die Partei als militant kämpferisch gegen die demokratische Grundordnung | |
beschrieben. So blauäugig kann ein Vize-Präsident des Reservistenverbandes | |
doch nicht sein." | |
Doch der Reservistenverband steht mit der Problematik nicht ganz allein. | |
Ganz ähnlich erging es in der Vergangenheit dem Bundeswehrverband, der sich | |
- anders als der Reservistenverband - nicht von Staatsgeldern, sondern von | |
seinen Mitgliedsbeiträgen finanziert und eine Art "Gewerkschaft der | |
Soldaten" ist. | |
## Juristisch kompliziert | |
Nachdem der Bundeswehrverband im Mai 2009 den NPD-Bundesvorsitzenden Udo | |
Voigt hinauswerfen wollte, zog dieser vor die Verbandsschiedskommission. | |
Diese nahm die Entscheidung des Bundesvorstandes zurück - weil Voigt | |
niemals rechtskräftig verurteilt wurde. Noch heute ist Udo Voigt, | |
Spitzenmann unter Deutschlands Neonazis, zahlendes Mitglied im | |
Bundeswehrverband und weiterhin auch Hauptmann der Reserve. Schwer | |
vorzustellen, was das im Ernstfall bedeuten sollte. | |
Die Situation ist juristisch kompliziert, denn auch die Fachleute sagen, es | |
könne nicht für jeden Einzelnen einen Gesinnungscheck geben. Rainer Arnold, | |
verteidigungspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, sagt zwar: | |
"Es ist wichtig, dass die Verbände im Kampf gegen Rechtsextremismus immer | |
wieder deutliche Ansagen machen und alle Möglichkeiten nutzen, die | |
rechtlich haltbar sind." Aber die Probleme der Politik dürften nicht auf | |
dem Rücken der Verbände ausgetragen werden. Arnold: "Hier hilft nur ein | |
NPD-Verbot." | |
Und so zeigt sich einmal mehr, was eine Folge des gescheiterten | |
NPD-Verbotes ist, das aufgrund der Schwemme von Verfassungs-Spitzeln unter | |
den Rechtsextremen nicht zustande gekommen war: Erst die Bundeswehr, dann | |
der Reservistenverband - und ab geht es zum Waffenhändler. So kann eine | |
rechtsextreme Schießkarriere laufen. | |
7 Oct 2011 | |
## AUTOREN | |
A. Speit | |
M. Kaul | |
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