Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Aufstiegschancen in Deutschland: Jung, eingewandert, ausgebremst
> Junge Migranten in Berlin scheitern eher in der Schule als Einwanderer in
> Paris, fand das DIW heraus. Viele deutsche Migranten holen aber später
> das Abitur nach.
Bild: Im ersten Anlauf geschafft: Der deutsch-britische Ministerpräsident von …
BERLIN taz | Ideal sind die Bildungs- und Arbeitsmarktchancen für die
Nachkommen von Migranten weder in Deutschland noch in Frankreich - doch
beim gerechten Zugang zum Bildungssystem kann Deutschland einer Studie
zufolge einiges von seinem Nachbarn lernen. "Französische Migrantenkinder
schaffen es viel leichter zum Abitur als deutsche", sagt die Soziologin
Ingrid Tucci. Die Wissenschaftlerin am Deutschen Institut für
Wirtschaftsforschung Berlin (DIW) hat drei Jahre lang beobachtet, welche
beruflichen Karrieren Jugendliche in einer Pariser Vorstadt und in der
Berliner Großwohnsiedlung Gropiusstadt einschlagen. Ihr Fazit: Das
selektive deutsche Schulsystem bremst Migranten eklatant aus; doch wer
zunächst durchfällt, erhält später leichter eine zweite Chance auf dem
Bildungs- und Arbeitsmarkt.
Die Studie, die der taz vorab vorliegt, wird am Mittwoch veröffentlicht.
Neu an ihr ist vor allem die untersuchte Zeitspanne: Gemeinsam mit drei
Kollegen führte Ingrid Tucci 175 qualitative Interviews in Paris und Berlin
und analysierte ihre Biografien über drei Jahre. "Wir wollten nicht nur den
Status quo festhalten, sondern sehen, wie sich Karrieren entwickeln." Tucci
hat selbst französische Wurzeln und lebt seit fast 20 Jahren in
Deutschland.
"Zunächst einmal haben wir gesehen, wie früh die Bildungskarriere in
Deutschland in eine einzige Richtung gelenkt wird", sagt Tucci. "In
Frankreich lernt man länger gemeinsam." Mit der Zeit sei aber auch deutlich
geworden, dass die Einwanderer in Deutschland mehr in die Institutionen
vertrauen. "Das ist eigentlich ein Widerspruch, aber es ist gut - denn es
schafft ein gewisses Gleichgewicht in der Gesellschaft." Wer scheitere,
könne immer noch später sein Abitur, einen anderen Schulabschluss oder eine
Berufsausbildung nachmachen - und ergreife diese Chance auch. Wer in
Frankreich durchs Abitur oder von der Realschule fliege, entwickele
hingegen oft einen regelrechten Hass auf Staat und Gemeinschaft. Tucci
verweist auf die Unruhen in den Pariser Vorstädten, die auf solcher
Perspektivlosigkeit ganzer Bevölkerungsgruppen gründeten.
## Eine zweite Chance
Diese Möglichkeiten der "zweiten Chance" in Deutschland gelte es
auszubauen, fordert die Soziologin. "Es müssen Personen da sein, die solche
Perspektiven aufzeigen." Tucci wehrt sich gegen den Vorwurf, die Politik
mit solch privatem Engagement aus der Pflicht zu entlassen. Wichtig seien
grundsätzlich gemeinsame Anstrengungen, sagt sie. Die Befragungen hätten
gezeigt, dass ein Vorstoß allein wenig bringe.
Mentoren, die Migranten in ihrer Jugendphase prägen, müssten nicht
unbedingt Lehrer oder Eltern sein; auch ehrenamtlich arbeitende Manager
oder andere Menschen aus dem sozialen Umfeld kämen in Frage. Gerade in
Frankreich habe es sich als positiv erwiesen, wenn so eine Bezugsperson von
außen komme. "Viele Migrantenkinder bewegen sich nie aus ihren Vorstädten
heraus und lernen nur durch Mentoren oder Betreuer andere Milieus kennen",
erklärt Tucci.
Erstrebenswert wäre, dass sich die sozialen Wirklichkeiten mehr mischen und
sich gar nicht erst solche Inseln der Perspektivlosigkeit innerhalb der
Stadt bilden. Tucci glaubt allerdings nicht, dass sich dies realisieren
lasse: "Die Frage ist, wie man das macht - welcher Bessergestellte schickt
sein Kind schon freiwillig in eine Schule im sozialen Brennpunkt?"
11 Oct 2011
## AUTOREN
Kristina Pezzei
## TAGS
Husby
## ARTIKEL ZUM THEMA
Nach den Unruhen in Schweden: Verfahren gegen Polizisten eingestellt
Im Mai erschoss ein Polizist einen Einwanderer und löste heftige Proteste
gegen Rassismus aus. Nun hat die Staatsanwalt festgestellt, es sei Notwehr
gewesen.
Bildung in Baden-Württemberg: Öney will Pflegekräfte statt Putzkräfte
Die Integrationsministerin in Baden-Württemberg will die Teilhabe von
Migranten an Bildung und Arbeit verbessern. Ein Testprojekt mit
anonymisierten Bewerbungen soll helfen.
Ungleiche Chancen bei der Ausbildung: Türkischer Name, trübe Aussichten
Jugendliche mit türkischen und arabischen Wurzeln haben es schwerer, eine
Lehrstelle zu bekommen. Selbst mit besseren Abschlüssen werden nur wenige
fündig.
Vietnamesen an Gymnasien: Mustermigranten werden weniger
Bislang waren junge Vietnamesen für ihre ausgezeichneten Leistungen
bekannt. Doch ihre Leistungen ähneln immer mehr denen deutscher Kinder.
Armutsgefahr in Deutschland: Das Risiko Herkunft
Migranten sind doppelt so oft armutsgefährdet wie Bio-Deutsche.
Schlüsselfaktor ist Bildung, doch Lehrer können mit Vielfalt noch nicht
umgehen.
Lebensverhältnisse in Deutschland: Durchlässiger nach unten
Der Datenreport 2011 zeigt: Geschlechterbilder sind immer noch
traditionell. Soziale Herkunft spielt im Westen eine abnehmende, im Osten
eine zunehmende Rolle.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.