# taz.de -- Armutsgefahr in Deutschland: Das Risiko Herkunft | |
> Migranten sind doppelt so oft armutsgefährdet wie Bio-Deutsche. | |
> Schlüsselfaktor ist Bildung, doch Lehrer können mit Vielfalt noch nicht | |
> umgehen. | |
Bild: Ihre Herkunft bestimmt wie armutsgefährdet sie sind. | |
BERLIN taz | EinwandererInnen und ihre Kinder sind in Deutschland doppelt | |
so häufig von Armut bedroht wie MitbürgerInnen mit deutschen Vorfahren. Den | |
am Montag veröffentlichten Zahlen des Statistischen Bundesamts zufolge hat | |
sich ihre Situation damit seit Jahren kaum verbessert. 26 Prozent der | |
Menschen mit Migrationshintergrund sind aktuell von Armut bedroht, während | |
dieser Anteil unter den Deutschen ohne Migrationshintergrund nur 12 Prozent | |
beträgt. | |
Seit 2005 erhebt das Statistische Bundesamt im jährlichen Mikrozensus, wie | |
sich die Lebenssituation von MigrantInnen und deren Kindern in Deutschland | |
entwickelt. Als arm gelten demnach alle Menschen, die weniger als 60 | |
Prozent des durchschnittlichen Einkommens zur Verfügung haben. | |
Als wichtigste Stellschraube für ein Leben in Armut oder Wohlstand sehen | |
die ExpertInnen den Schulabschluss. Wie auch beim Armutsrisiko haben sich | |
dabei für junge Menschen mit Migrationshintergrund seit 2005 keine | |
relevanten Verbesserungen ergeben. Zwar macht inzwischen jeder fünfte | |
Jugendliche mit ausländischen Wurzeln Abitur, gleichzeitig verlässt | |
weiterhin fast jedeR zehnte die Schule ohne Abschluss. Und diese Gruppe ist | |
den Statistikern zufolge mit 43-prozentiger Wahrscheinlichkeit | |
armutsgefährdet. | |
## Lehrer müssen den Umgang mit Vielfalt lernen | |
"Deutsche Schulen müssen sich noch viel stärker auf ihre heterogene | |
Schülerschaft einlassen, als das bisher geschieht", fordert Yasemin | |
Karakasoglu, Professorin für Interkulturelle Bildung an der Uni Bremen. | |
Immer noch werde versucht, die SchülerInnen durch Fördermaßnahmen an die | |
Schulen anzupassen, statt die Schulen zu öffnen. | |
"Spätestens seit Pisa ist jedoch klar, dass diese Homogenisierung nicht | |
funktioniert", sagt Karakasoglu. Jeder angehende LehrerInnen müsse den | |
Umgang mit unterschiedlichen Menschen erlernen. Dies sei bisher nur Kür, | |
keine Pflicht. Karakasoglu appelliert auch an die Länder, endlich eine | |
einheitliche Strategie zur Sprachstandserhebung und zur Kooperation mit den | |
Eltern zu entwickeln. | |
Doch Jugendliche mit Migrationshintergrund haben auch dann noch schlechtere | |
Chancen auf dem Arbeitsmarkt, wenn sie dieselben schulischen Leistungen | |
erreichen wie ihre deutschen AltersgenossInnen. Einer Studie der | |
Universität Konstanz aus dem Jahre 2010 zufolge erhielten BewerberInnen mit | |
türkischen Namen weniger positive Rückmeldungen als vergleichbar | |
qualifizierte Deutsche. | |
Über die Situation der MigrantInnen im Bildungssystem wird sich am | |
Donnerstag auch die Kanzlerin informieren. Angela Merkel (CDU) ist zu Gast | |
in der Kultusministerkonferenz der Länder. Auf der Tagesordnung steht auch | |
die von Karakasoglu angemahnte Sprachförderung. | |
17 Oct 2011 | |
## AUTOREN | |
Karen Grass | |
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